Eröffnung des Deutschen Stiftungstages

Schwerpunktthema: Rede

Hamburg, , 21. Mai 2014

Der Bundespräsident hat am 21. Mai bei der Eröffnungsveranstaltung des Deutschen Stiftungstages eine Rede gehalten: "Das Stiftungswesen ist aus der Wirklichkeit unseres Landes einfach nicht mehr wegzudenken: nicht aus der sozialen und kulturellen Wirklichkeit, nicht aus der Bildung, nicht aus dem Sport, ja auch nicht aus dem kirchlichen Bereich. Dort und in vielen anderen Gebieten bringen Stiftungen Menschen und Dinge in Bewegung."

Bundespräsident Joachim Gauck hält eine Rede bei der Eröffnungsveranstaltung des Deutschen Stiftungstages in Hamburg

Herzlichen Dank für die freundliche Begrüßung! Bei einem Veranstaltungsprogramm mit dem Titel Mitten im Fluss und gegen den Strom muss man auf Metaphern gefasst sein. Sie, lieber Herr Professor Krull, konnten sogar fast eine ganze Rede damit füllen! Kurz vor der Wahl eines neuen Vorstandsvorsitzenden haben Sie mit Ihrem erfrischenden Vortrag noch einmal ein Zeichen gesetzt. Und Sie haben mir – nächste Metapher – eine Brücke gebaut, um Ihnen zu danken für alles, was Sie in Ihren langjährigen Funktionen im Beirat, im Vorstand und seit 2008 an der Spitze des Bundesverbandes Deutscher Stiftungen geleistet haben!

Nun verabschieden Sie sich also mit dem Motto Mut zur Veränderung. Lassen Sie mich kurz schildern, warum ich unser Stiftungswesen so sehr schätze, bevor ich gern auch auf dieses Motto zu sprechen komme.

Ein persönliches Motiv werden Sie erahnen. Ich musste ja die Hälfte meines Lebens in einem Staat leben, der bürgerliche Freiheiten mit allen Mitteln unterdrückte. Eine Kultur des Stiftens und der starken unabhängigen Stiftungen passte nicht ins System. Heute ein vereintes Deutschland mit einer freien Bürgergesellschaft erleben zu können, das beglückt mich immer und immer wieder aufs Neue. Und seit ich Bundespräsident bin, habe ich öfter denn je Gelegenheit, die Stiftungen unseres Landes in ihrer ganzen Vielfalt kennenzulernen. Schon bei meinem ersten offiziellen Termin im neuen Amt traf ich auf beeindruckende Persönlichkeiten aus Ihren Reihen. Das war im März 2012 bei der Preisverleihung des Ideenwettbewerbs Bürgerstiftungen.

Danach ging es Schlag auf Schlag oder wenn Sie so wollen: Welle auf Welle. Ob beim Wettbewerb Jugend debattiert, beim Deutschen Zukunftspreis, bei meinen Bürgerfesten oder bei den jährlichen Empfängen für die Humboldt-Stipendiaten im Schloss Bellevue in Berlin: Viele Initiativen, mit denen ich in Berührung komme, wären ohne die Unterstützung von Stiftungen nicht möglich. Das Stiftungswesen ist aus der Wirklichkeit unseres Landes einfach nicht mehr wegzudenken: nicht aus der sozialen und kulturellen Wirklichkeit, nicht aus der Bildung, nicht aus dem Sport, ja auch nicht aus dem kirchlichen Bereich. Dort und in vielen anderen Gebieten bringen Stiftungen Menschen und Dinge in Bewegung. Sie tun das – ganz klar –, indem sie privates Geld für öffentliche Zwecke zur Verfügung stellen. Aber zugleich verstehen sich viele Stiftungen auch als Innovationswerkstätten, die neue Ideen, neue Konzepte entwickeln und die imstande sind, neue Wege zu gehen.

Sie sind tat- und finanzkräftige Unterstützer und zugleich Teil der Zivilgesellschaft. Sie begegnen mir als Förderer von Kultur, Bildung und Wissenschaft, als Botschafter des sozialen Engagements oder als Wegbereiter der Völkerverständigung – und manchmal auch als Berater bei komplexen Themen wie Europa. Ich freue mich, vor einem Publikum wie diesem meine Wertschätzung für Ihre Arbeit einmal genauso großzügig verteilen zu können wie Sie Ihr Stiftungskapital.

Bitte tragen Sie meine Anerkennung auch an diejenigen weiter, die nicht hier sein können. Und ergänzen Sie nach Möglichkeit: Dem Bundespräsidenten geht es nicht allein ums Geld. Die Mitglieder im Bundesverband Deutscher Stiftungen bewegen so viel mehr. Sie stiften Sinn. Sie stiften Zusammenhalt. Ja, sie stiften Zukunft!

Ich könnte eine lange Liste von Beispielen des Gelingens nennen, die auf ein und dieselbe Schlussfolgerung hinauslaufen würde: Behalten Sie die eingeschlagene Richtung bei. Aber wie mein Vorredner es gerade so anschaulich beschrieben hat, liegt Erfolg oft gerade darin, sich neu zu erfinden – oder zumindest bereit zu sein, Kurskorrekturen, manchmal auch nur Feinjustierungen vorzunehmen. Ich will Ihnen jetzt ganz gewiss keinen akademischen Vortrag halten oder einen Masterplan abliefern, das können Sie viel besser als ich. Aber was ich gerne mit Ihnen teilen würde, das sind einige persönliche Eindrücke, die ich in meinen Gesprächen mit Stiftungsverantwortlichen gesammelt habe.

Einiges, das Sie umtreibt, entzieht sich bekanntlich Ihrer direkten Einflussnahme, zum Beispiel die seit Jahren niedrigen Vermögenserträge, die Ihre Arbeit so sehr erschweren. Anderes könnten Stiftungen, Politik und Gesellschaft durchaus gemeinsam angehen.

Zu den komplexesten Themen gehört dabei das Zusammenspiel von Zivilgesellschaft und Staat – bekanntlich immer ein Balanceakt. Im Idealfall gelingt es, dass beide Seiten sich ergänzen, ohne die originären Zuständigkeiten und die Interessen des jeweils anderen in Frage zu stellen. Dann können Stiftungen helfen, Probleme zu identifizieren und praktische Lösungen zu entwickeln. Oder sie wirken als Katalysatoren, indem sie ein Thema auf die öffentliche Agenda setzen und die Politik – mehr oder weniger nachdrücklich – zum Handeln veranlassen. Wahrscheinlich kennen Sie unzählige Belege dafür aus Ihrer Arbeit.

Ein besonders schönes Beispiel für mich ist die Stiftung „taubblind leben“. Sie entstand aus persönlicher Betroffenheit – als Treuhandstiftung mit vergleichsweise geringem Kapital – und erfuhr durch die Unterstützung des Bundesverbandes bald größere Aufmerksamkeit von privater wie von staatlicher Seite. Dank einer zuvor erfolgten Rechtsänderung konnte sie sogar ihr Stiftungskapital mithilfe einer anderen Stiftung aufstocken. Mit Rückendeckung und den nötigen Finanzen wuchsen dann natürlich auch ihre Handlungsmöglichkeiten für taubblinde Männer, Frauen und Kinder und deren Familien. Genau das sind für mich positive Verstärkereffekte beim Miteinander von Staat und Stiftungen. Und die brauchen wir, gerade wenn es um scheinbare Nischenthemen geht oder um Menschen, die auf Solidarität besonders angewiesen sind.

Auch wenn strukturelle Fragen im Mittelpunkt stehen, arbeiten Staat und Stiftungen regelmäßig zusammen, etwa bei der Initiative Bürgerstiftungen, zu deren Förderern ein Bundesministerium gehört.

Allerdings wissen wir zugleich: Im Alltag ist das Zusammenspiel von Zivilgesellschaft und Staat nicht immer – sagen wir mal – nur einvernehmlich und produktiv, etwa dort, wo öffentliche Infrastruktur abgebaut wird und wo künftig freiwilliges Engagement die Lücken füllen soll. Einerseits wird es in den Lokalnachrichten als Erfolg gefeiert, wenn ein Bürgermeister das örtliche Schwimmbad mit Hilfe von Ehrenamtlichen vor der Schließung retten kann. Andererseits spüren wir: Der Spielraum für eine solche Verlagerung von Verantwortung ist nicht beliebig ausdehnbar.

Ich glaube, dass wir intensiver als bisher darüber diskutieren müssen, wo für beide Seiten die Grenzen der Selbst- und der Fremdverpflichtung liegen. Ja, dass wir zum Teil sogar völlig neu aushandeln müssen, wie bestimmte Aufgaben – und da denke ich vor allem an die Kommunen – priorisiert und realisiert werden können. Eines ist dabei klar für mich: Stiftungen dürfen nicht einfach als Lückenbüßer gesehen werden, wenn staatliche Einrichtungen ihre Aufgaben nicht mehr oder nicht ausreichend erfüllen.

Der Balanceakt, von dem ich eben sprach, ist mit einer Vielzahl gegenseitiger Erwartungen verbunden. So gibt es regelmäßig Rufe von freiwillig Engagierten, erfolgreich eingeführte Projekte und Initiativen mithilfe staatlicher Mittel zu verstetigen und in die Breite zu tragen. Sie wissen besser als ich: Klären lässt sich das nur im Einzelfall, aber es gibt trotzdem Leitlinien, um zu verhindern, dass gute Ideen versanden. Gleichzeitig müssen wir dann sehr genau auf die ausübende Politik schauen. Ich glaube, dass der Herr Bürgermeister zu diesem Thema allein eine abendfüllende Rede halten könnte – vor allem mit Blick auf das, was der Staat künftig finanzieren muss, was er wohl in zehn, zwanzig Jahren überhaupt noch für Mittel hat, um tatsächlich das, was auf Dauer angelegt sein soll, selbst zu übernehmen und nach einer Anschubfinanzierung weiterzutragen. Sich das zu wünschen, ist das eine, den nötigen Realitätssinn aufzubringen, was staatliche Haushalte leisten können, das ist das andere. Wir müssen rechtzeitig und offen darüber reden. Was ist überhaupt zu erwarten? Wo können Stiftungsstrukturen umgewandelt werden? Wo dürfen aber keine falschen Erwartungen erzeugt werden, dass man mit einer geringen Anschubfinanzierung einen Wert von Ewigkeitscharakter schaffen könnte?

Es ist sicher hilfreich, rechtzeitig einen gemeinsamen Mehrwert zu definieren und nach einem solchen Gespräch tragfähige Strukturen zu errichten. Dann kommt es hoffentlich nicht – wie der Engagement-Experte Thomas Olk einmal beschrieb – zu der traurigen Situation, dass im Bereich der Anschubfinanzierung eine Konkurrenz zwischen staatlichen Institutionen und Stiftungen entsteht, während sich bei der Projektfortsetzung später überhaupt niemand mehr findet, der die Mittel bereitstellt.

Immerhin, das Problem ist erkannt. Im Memorandum über die Kooperation von Stiftungen und dem Bundesministerium für Familie, Frauen und Jugend wurde 2012 die Absicht bekundet, sich bei der Förderung von bürgerschaftlichem Engagement stärker abzustimmen und von Beginn an mit zu bedenken, wie modellhafte Initiativen zu selbsttragenden Bewegungen entwickelt werden können. Der Plan klingt plausibel. Nun muss er verwirklicht werden.

Warum erwähne ich das hier? Weil auch im Stiftungswesen Aspekte wie Profilierung und Wettbewerb eine Rolle spielen. Weil Sie alle den Druck kennen, die Erfolge Ihrer Arbeit für Außenstehende greifbar zu machen – bis hin zu der Versuchung, auf kurzfristige Ergebnisse und schnellen Applaus zu setzen. Das soll kein Vorwurf sein. Es ist eine Beobachtung, die für viele Verantwortungsträger gilt und den Kommunikationsmustern unserer Zeit geschuldet ist. Aber gerade die Stiftungen mit ihrem juristisch verbrieften Ewigkeitsversprechen können der modernen Kurzsichtigkeit etwas Substantielles entgegensetzen! Sie müssen sich nicht gezwungen fühlen, ihr Handeln auf Legislaturperioden oder den Redaktionsschluss der Abendnachrichten zu konzentrieren. Sie sind nur an einen Zweck, nicht aber an eine bestimmte Zeit gebunden. Was für ein kostbares Alleinstellungsmerkmal im Vergleich zu den meisten anderen Akteuren auf der politischen Bühne! Ich begrüße es deshalb sehr, dass der Bundesverband offensiv auf Nachhaltigkeit setzt und dass Sie Ihren Mitgliedern das Wissen an die Hand geben, die Wirkung ihrer Arbeit zu evaluieren.

Nachhaltigkeit, das heißt ja keineswegs, unbeweglich zu werden. Im Gegenteil: Wer Aufwand und Nutzen, Absender und Zielgruppen, Erfolge und Misserfolge konsequent analysiert und berücksichtigt, der hat beste Aussichten, seine Stiftungsziele nah an die Lebenswirklichkeit heranzubringen und voranzubringen.

Noch öfter der eigenen Wirkung und Wirksamkeit nachzuspüren, würde nicht nur vielen einzelnen Initiativen zugutekommen, es könnte auch ein Umdenken in Deutschland befördern. Ich weiß sehr wohl, dass das Thema Nachhaltigkeit theoretisch längst durchdrungen ist. Es fehlt auch nicht an Expertise. Aber es fehlt vielleicht hier und da noch an einer Praxis, die nicht nur Prestigeprojekte kennt, sondern einer alten Weisheit folgt, die wir heute schon einmal gehört haben: Steter Tropfen höhlt den Stein.

Und, um das Bild ein bisschen zu strapazieren: Erst sehr, sehr, sehr viele Tropfen bilden irgendwann einen Strom. Zu den häufigsten Anliegen, die mir in meinen Gesprächen mit Stiftungsvertretern bisher begegnet sind, gehört eine zweite Form der Kooperation, die Zusammenarbeit innerhalb der Stiftungslandschaft. Zugespitzt formuliert: Alle wünschen sich bessere Vernetzung, mehr Synthese, manchmal gar Symbiose, aber nur wenige sind zuversichtlich, dass man diesem Ziel wirklich zügig näher kommt. Ich gebe mich heute einmal als Optimist, das bin ich übrigens meistens. Weil ich etliche Initiativen kennengelernt habe, bei denen Zusammenarbeit ganz offenkundig funktioniert. Ich denke etwa an den Sachverständigenrat deutscher Stiftungen für Integration und Migration oder an den Stiftungsverbund Lernen vor Ort oder an die Kampagne Ich will Europa. Auch etliche kleine Verbundprojekte sind sehr erfolgreich. Und heute Abend im Vorgespräch habe ich viele weitere schöne Belege für diesen Entwicklungstrend gehört. Solche Beispiele können denen Mut machen, die derzeit mehr Hindernisse als Möglichkeiten für Kooperation sehen.

Ähnliches gilt für die Optimierung der regionalen Verteilung Ihrer Arbeit. Dazu gehört für mich nach wie vor der Ausbau des Stiftungswesens in Ostdeutschland. Das Gefälle zwischen den alten und den nicht mehr ganz neuen Bundesländern ist bekanntlich noch erheblich. Neben den Nachwirkungen von Sozialismus und Planwirtschaft stehen handfeste materielle Aspekte beim Aufholen des Ostens entgegen, allen voran die Tatsache, dass es dort eben nur wenige Unternehmen mit einem ausreichenden Kapitalstock gibt, die darüber nachdenken können, als Stifter in Erscheinung zu treten. Und es gibt dort deutlich weniger vermögende Privatpersonen.

Ich will noch eins hinzufügen, weil ich darüber viele Jahre geredet habe, über diese noch vorhandenen Unterschiede zwischen Ost und West. Es gibt sie nämlich statistisch tatsächlich. Man kann es beim Wahlverhalten erkennen, aber auch bei der Beurteilung vieler unserer Grundwerte. Merkwürdig nicht? Viele schlichte Gemüter kommen dann auf die Idee, dass der Ossi als solcher nicht ganz die kulturelle Höhe habe wie ein gebildeter Westmensch. Man denkt dann eigentlich mehr an Charakter: Sie sind eben so, sie wollen es alle ein bisschen gut haben, ohne sich anstrengen zu wollen. Da ist ein Charakterurteil drin, das meint, der Unterschied kommt irgendwie aus einer Bequemlichkeit oder Trägheit der Ostelbischen – war ja schon immer ein bisschen komisch, was da passierte. Aber woran liegt es denn wirklich? Es liegt doch daran, dass im Westen Menschen seit dem Jahr 1949, sogar schon ein bisschen davor, gelernt haben, Bürgerinnen und Bürger zu sein. Sie durften frei wählen, in der Schule den Mund aufmachen, konnten ihre Berufswege wählen, sie hatten freie Gewerkschaften. Sie hatten freie Medien, nichtzensierte Literatur und Theater. Und sie hatten freie Unternehmer. Sie hatten Bauern, sie hatten Handwerker, sie hatten Mittelständler und große Unternehmer. Und alle diese Dinge, die rechnen Sie jetzt einmal raus aus dem Alltag von zweieinhalb Generationen von Menschen, von Menschen, die von 1933 bis 1989 fortwährend unter Diktaturen gelebt haben. Und Diktaturen mögen keine Bürger. Sie mögen die, die den Kopf einziehen, gehorsam sind und sich anpassen. Ein bisschen Angst und sehr viel Anpassung und dann wirst Du schon hochkommen. So zu leben, würde auch Hamburgern gelungen sein, glauben Sie es mir. Nur, Sie hatten das Glück, dass Sie diesen Versuch nicht machen mussten, dass Sie anknüpfen konnten an alte hanseatische Tugenden, sei es nun eines Mäzens, eines Gewerkschaftssekretärs, eines Handwerkers, eines freien Journalisten oder was auch immer den Bürger ausmachte.

Also, ich möchte, wenn ich später einmal wiederkomme und als Rentner vorbeischaue, gern hören, was Ihnen gelungen ist zwischen Dresden und Schwerin, wie Sie dort Allianzen geschaffen haben. Und wo immer ich kann, spreche ich mit Lokal- und Landespolitikern darüber, wie wir Zivilgesellschaft in diesen Regionen stärken können. Denn wenn ich Sie rühme, doch nicht nur wegen Ihres individuellen Großmuts oder wegen Ihres Vermögens, das Sie eingebracht haben. Ich bin glücklich über Ihre Existenz, weil Sie mich und unsere Landsleute glauben machen, dass es wunderbar ist, in einer Zivilgesellschaft Teil eines Ganzen zu sein, und weil Sie zu den Menschen gehören, denen es Freude macht, Opfer zu bringen für die Allgemeinheit. Und das weiterzugeben, also auch Stiftungen dort vermehrt zu gründen, wo diese Eigenverantwortlichkeit sich eben nicht über Jahrzehnte entfalten konnte, das ist eine große Aufgabe für die nächsten 20 Jahre. Die aktuellen Zahlen geben uns durchaus Grund zur Zuversicht: Zwischen 2008 und 2013 konnten die Initiative Bürger- und Gemeinschaftsstiftungen Ost und die Stiftungsinitiative Ost mindestens 50 neue Stiftungen von der Absichtserklärung bis zur Gründung begleiten. Der Bundesverband hatte daran maßgeblichen Anteil. Auch die Reaktivierung alter Stiftungen ist gelungen.

Nicht unerwähnt lassen möchte ich die Vielzahl von Stiftungen, die zwar ihren Sitz im Westen haben, aber auch im Osten ihren Zweck verfolgen, etwa beim Denkmalschutz mit seinen großartigen Leistungen, die so unendlich wichtig waren für die devastierte Architekturlandschaft im Osten, oder Projekte wie Bürger.Innen.Land Mecklenburg-Vorpommern oder Neulandgewinner, um nur zwei Beispiele zu nennen. Danke, vielen Dank für solche Initiativen!

Unabhängig davon, wo genau Stiftungen beheimatet sind oder wo sie wirken, steigen ihre Erfolgsaussichten, wenn sie transparent handeln. Sie haben das verstanden: Ohne Transparenz ist Vertrauensbildung nur schwer möglich. Diese Einsicht ist bekanntlich keine Selbstverständlichkeit, um es vorsichtig auszudrücken. Es freut mich sehr, dass der Bundesverband zu den Trägern der Initiative Transparente Zivilgesellschaft gehört und in seinen Grundsätzen guter Stiftungspraxis Transparenz als Ausdruck der Verantwortung gegenüber der Gesellschaft und als Mittel zur Vertrauensbildung begreift. Das einmal aufgeschrieben zu haben, das können sich andere, die in der Gesellschaft aktiv sind, durchaus als Vorbild nehmen.

Erlauben Sie mir zum Schluss noch ein paar Worte zu Veränderungen, die die Stiftungswelt außerhalb Deutschlands betreffen, vor allem in Staaten, die nicht freiheitlich-demokratisch regiert werden. Was Sie, die dort aktiv sind, leisten – und vor allem, was Sie dort auch mitunter aushalten müssen –, das verdient allerhöchste Anerkennung!

Meine Bitte an Sie ist: Lassen Sie sich nicht entmutigen von schwierigen Verhältnissen. Bleiben Sie, trotz der Bedingungen, solange es nur irgend geht in diesen Regionen. Bleiben Sie präsent und im Kontakt mit den Menschen, die dort leben, die Ihre Unterstützung doch so dringend brauchen, viel dringender als die Menschen, die in unserem schönen reichen Land wohnen. Wir brauchen stifterisches Engagement an so vielen Orten der Welt. Wir brauchen das genaue Hinschauen, das Innehalten und die Frage: Was ist eigentlich die Absicht meiner Stifterin oder meines Stifters und wo kann ich diese Ziele erreichen, hier oder dort? Das kann jetzt nur eine zurückhaltende Anregung von mir sein, aber Sie sollen wissen: Ich finde es wunderbar, dass Deutsche sich zunehmend entschlossen haben, auch in anderen Teilen der Welt Freiheit und Menschenrechte und die Bewegung dorthin zu fördern und zu unterstützen. Und ich würde es sehr begrüßen, wenn deutsche Stiftungen sich noch stärker als bisher international engagieren, wenn also alle, die entsprechende Möglichkeiten sehen, in anderen Ländern Not lindern, Bildung fördern, Regionen stabilisieren, zum Aufbau der Zivilgesellschaft oder good gouvernance beitragen. Natürlich kenne ich den typischen Abwehrreflex: zu hohe Kosten! Für viele kleine und mittelgroße Stiftungen ist das sicherlich ein ausschlaggebender Punkt. Das ist einfach so. Aber wer etwas ausführlicher mit Experten spricht, der hört auch, dass oft der Mut fehlt, sich scheinbar fern liegenden Themen zuzuwenden und sich dann im Kaukasus, auf dem Balkan oder in Nordafrika zu engagieren statt in Bonn, Berlin oder München. Hinzu kommen rechtliche Hürden, die das grenzüberschreitende Wirken von Stiftungen und anderen gemeinnützigen Organisationen erschweren. Das alles ist mir bewusst. Es geht mir nur darum, dass Sie bei Ihren strategischen Überlegungen das Ausland miteinbeziehen, dass Sie darüber auch mit der Öffentlichkeit reden. Die Frage lautet also: Wie können wir die Rahmenbedingungen verbessern, wie können wir Weitblick, Courage und interkulturelle Fähigkeiten fördern, um diese Zurückhaltung, die es oft noch gibt, zu überwinden? Vielleicht finden Sie die Gelegenheit, auch während dieses Kongress darüber zu sprechen.

Lieber Herr Professor Krull, bleiben, was man ist, weil man bereit ist, sich zu ändern. Was für ein schönes Motto! Und Sie haben sich mit der Stadt Hamburg den passendsten Partner ausgesucht, den man sich dafür vorstellen kann: reich an philanthropischen Traditionen, reich an Mäzenen und immerfort offen für die Welt. Möge diese Konstellation ein gutes Omen sein für Sie alle. Wissen Sie, wovon ich manchmal träume, wenn ich die Arbeit unserer Stiftungen betrachte? Ich träume davon, dass die meisten Stiftungen nicht mehr Not wenden oder schlimme Nachteile korrigieren müssen, sondern dass Sie das Leben und die Schönheit und die Kultur feiern könnten. Mein Gott, was für ein langer Weg dorthin. Offensichtlich brauchen wir Sie noch zum Notwenden – aber daneben eben auch für die Schönheit des Lebens, als selbstbestimmte Bürgerinnen und Bürger, als Stifter. Ich danke Ihnen!