Eröffnung des 34. Internationalen Hansetages

Schwerpunktthema: Rede

Lübeck, , 22. Mai 2014

Der Bundespräsident hat am 22. Mai eine Rede bei der Eröffnung des 34. Internationalen Hansetages gehalten: "Hier tauschen Menschen aus 181 europäischen Städten ihre Erfahrungen aus. Hier werden gemeinsame Projekte angestoßen – etwa für eine saubere Ostsee oder zum europäischen Binnenmarkt. Und damit ist der Hansetag ein wichtiger Beitrag zur kommunalen Zusammenarbeit, ja zum Zusammenhalt in Europa."

Bundespräsident Joachim Gauck hält eine Rede bei der Eröffnungsveranstaltung des 34. Internationalen Hansetages am Holstentorplatz in Lübeck

Aus einer Hansestadt komme ich, in einer Hansestadt bin ich geboren, und die meiste Zeit habe ich dort gelebt. Als wir noch kein einiges Deutschland hatten, konnte ich vom Holstenstor nur träumen. Und heute stehe ich als Präsident dieses großen, schönen Landes hier vor diesen wunderbaren Menschen und vor diesem Tor, und ich bin glücklich, mit Ihnen den 34. Hansetag begehen zu können.

Ich freue mich, dass meine Heimatstadt Rostock in ein paar Jahren auch Gastgeberin sein kann. Also, wenn ich Sie heute treffe, dann muss ich ja sagen: liebe Hanseatinnen und Hanseaten im In- und Ausland! Kaum eine mittelalterliche Institution ist im öffentlichen Bewusstsein heute noch so präsent wie die Hanse: Und hier in Deutschland tragen Fahrzeuge aus Bremen, aus Lübeck, aus Hamburg und – zu meiner besonderen Freude – auch wieder aus Rostock, Greifswald und Wismar und Stralsund ein stolzes "H".

Das wirtschaftliche Netzwerk der Hanse reichte im 16. Jahrhundert von Nowgorod über Visby bis London und La Rochelle. Lübeck war das Zentrum und die Lübecker nannten sich damals ganz stolz caput, das Haupt dieser Hanse. Diese Stadt war damals das entscheidende Drehkreuz für den Handel zwischen Nord- und Ostseeraum.

Lübeck hat die Hanse geprägt und die Hanse Lübeck. Und dieser hanseatische Geist lebte dann fort in den Werken Thomas Manns, der wie zwei andere Nobelpreisträger – Willy Brandt und Günter Grass – eng mit dieser Stadt verbunden ist.

In alter Zeit fanden mehr als zwei Drittel der historischen Hansetage hier in Lübeck statt. Damals hießen die Zusammenkünfte Tagfahrten, und es ging für die Gesandten darum, zu einer Einigung zu gelangen oder Beschlüsse zu fassen. Heute sind Hansetage Orte der Begegnungen in Europa. Hier tauschen Menschen aus 181 europäischen Städten ihre Erfahrungen aus. Hier werden gemeinsame Projekte angestoßen – etwa für eine saubere Ostsee oder zum europäischen Binnenmarkt. Und damit ist der Hansetag ein wichtiger Beitrag zur kommunalen Zusammenarbeit, ja zum Zusammenhalt in Europa. Und es ist schön, dass nationale Grenzen, jedenfalls in der Regel, keine Hindernisse mehr sind.

Wie schon die Hanse von damals illustriert die Hanse von heute den Nutzen von Zusammenarbeit. Handels- und Wirtschaftskontakte zu stärken ist so wichtig wie der kulturelle Austausch. So gibt es hier eine Kooperationsdatenbank für Unternehmen aus den Hansestädten ebenso wie ein Projekt, das die Jakobspilgerwege im Hanseraum erforscht. Ein weiteres schönes Beispiel ist die Arbeit der Jugendhanse, wo junge Menschen aus verschiedenen Ländern während der Hansetage zusammenkommen.

Die Hanse war damals ihrer Zeit voraus: Sie bevorzugte die diplomatische Lösung von Konflikten. Die Hanse trug dazu bei, dass ein gemeinsames europäisches Erbe entstehen konnte – in Wirtschaft, in Kultur, in Verfassung und Recht. Natürlich nicht sie alleine, aber sie hat zusammengewirkt mit den anderen kulturell und institutionell gestaltenden Institutionen, die es in den Städten von damals gab. Und jede Generation heute steht vor der Aufgabe, sich dieses Erbe und diese Traditionen anzueignen und bewusst zu machen. Ich freue mich darüber, dass hier in Lübeck ein Europäisches Hansemuseum entsteht, das einen differenzierten Blick auf die Geschichte der Hanse werfen wird.

Verbunden mit dem Wissen um das gemeinsame Erbe ist die Erkenntnis, dass die europäische Integration ein Leben in Frieden und Freiheit, in Sicherheit und Wohlstand ermöglicht. Ein demokratisches und friedliches Europa ist keine Selbstverständlichkeit. Das machen wir uns in diesem Jahr zum Beispiel dadurch bewusst, dass wir daran denken, dass vor 100 Jahren in Europa der Erste Weltkrieg ausbrach. Und auch der Blick in das ganze vergangene Jahrhundert zeigt uns die Wechselfälle der Geschichte in Hass, das Blutvergießen und all das zerstörerische Wirken von Menschen und menschlichen Zusammenschlüssen, die unser Europa verwüstet haben. Deshalb schauen wir in diesen Tagen eben mit so besonderer Freude auf das, was die Menschen in Europa mit der Europäischen Union geschaffen haben. Das ist nicht selbstverständlich, dass wir das geschafft haben. Das machen wir uns gerade bewusst an den Tagen vor der Europawahl. Natürlich wünsche ich mir, dass Sie alle und Ihre Familien und Ihre Freunde sich beteiligen. Wir wollen doch mitwirken und mitbestimmen, was in Europa geschieht und dass Frieden in Europa dominiert. Und deshalb meine herzliche Bitte: Nehmen Sie an dieser Wahl teil!

In den vergangenen 34 Jahren – seitdem so etwas wie ein neuer Verbund der alten Hansestädte wieder existiert – hat sich Europa sehr stark gewandelt. Denken Sie an die Osterweiterung der Europäischen Union: Dieses nun schon historische Ereignis liegt jetzt zehn Jahre zurück. Damit sind die heutigen Hansetage auch ein Forum des Dialogs zwischen Städten aus langjährigen Mitgliedsstaaten und aus neuen Mitgliedsstaaten. Und auch aus Ländern, die der europäischen Union nicht angehören. Und ich möchte Sie alle dazu ermutigen, den Dialog, den Sie begonnen haben, und den kulturellen Austausch fortzuführen, damit die Partner auch weiterhin von den Erfahrungen des jeweils anderen profitieren können.

Für eines möchte ich besonders danken – gerade in den Mauern dieser alten Stadt: dass sich Menschen von sich aus zusammenfinden, um dem allgemeinen Fortschritt zu dienen, um kulturellen Austausch zu pflegen, um einander zu verstehen. Und das tun sie, ohne dass die jeweiligen Regierungen oder Präsidenten sie dazu beauftragt hätten. Das machen sie, weil sie Freude an Begegnung haben. Und es ist so wichtig, dass wir unsere Gesellschaft begreifen als eine, die nur funktioniert, wenn nicht nur die Regierungen, sondern auch die Bürgerinnen und Bürger von unten das mit Leben erfüllen, was wir Demokratie nennen. Eine offene Gesellschaft, die den Austausch liebt, das Recht achtet und für Frieden und Freiheit eintritt. In dem Sinne eine gute Zukunft für alle künftigen Hansetage!