Konzert der Deutschen Kammerphilharmonie Bremen

Schwerpunktthema: Rede

Schloss Bellevue, , 15. Juni 2014

Der Bundespräsident hat am 15. Juni bei einem Konzert der Deutschen Kammerphilharmonie Bremen in Schloss Bellevue eine Rede gehalten. Er würdigte deren Engagement in der ästhetischen Bildung: "Die wichtigste Freiheit, die sich die Deutsche Kammerphilharmonie Bremen nimmt, ist aber die Freiheit, konsequent ungewohnte und experimentelle Wege musikalischer Vermittlung zu gehen."

Bundespräsident Joachim Gauck mit der Deutschen Kammerphilharmonie Bremen bei einem Wandelkonzert in Schloss Bellevue

Ich grüße Sie alle recht herzlich hier am Sonntagmittag im Schloss Bellevue. Es gibt Musik, und es gibt Bewegung.

Wir Zuhörer bewegen uns von Raum zu Raum, um unterschiedlichen Arten von Musik zu begegnen. Wir wandeln von einer Darbietung zur anderen, und so heißt das, was wir heute Mittag hier erleben, Wandelkonzert. Haben Sie keine Angst: Es funktioniert, wir haben es schon ausprobiert.

Aber auch wenn wir dann in den einzelnen Räumen still werden und zuhören, wird uns etwas bewegen, darüber bin ich mir ganz klar. Es ist ganz sicher, dass es so sein wird. Denn es ist Musik, der wir begegnen, und sie wird uns bewegen – und nicht nur, wenn sie, wie der letzte Satz aus Beethovens Siebter Sinfonie, seit langem schon und zu Recht eine Apotheose des Tanzes genannt wird.

Auch die anderen Stücke werden uns bewegen, auch wenn sie nicht zum Tanzen auffordern: Musik bewegt den, der sich öffnet, immer, weil sie unseren eigenen Seelen- und Gemütsbewegungen Ausdruck gibt, auch wenn wir vielleicht nicht so empfinden wie die großen Künstler es tun. Aber sie laden uns ein, laden unsere Seelenlandschaften ein, in Bewegung zu sein. Und Rhythmus, Klang, Takt, Melodie sind eben nicht nur musikalische Dinge, sondern sie verwandeln sich in uns zu Impulsen, die zu unserem Menschsein gehören.

Heute aber werden wir nicht nur durch die Musik bewegt, sondern auch durch diejenigen, die sie aufführen – wir könnten auch sagen durch den Geist, den sie verkörpern.

Denn die Musikerinnen und Musiker, die für uns aufspielen, das sind ganz besondere Gäste. Die Deutsche Kammerphilharmonie in Bremen ist etwas Besonderes in Deutschland. Wir haben eine so reichhaltige Orchester- und Musikhochschullandschaft, eine Theater- und Opernlandschaft, aber gleichwohl ist dieses Orchester darin etwas Besonderes – und zwar nicht nur wegen der Art, wie sie musizieren. Das ist natürlich auch eindrucksvoll. Wir wissen, dass sie begeisternd musizieren. Aber das tun viele Orchester. Sie haben auch einen besonderen interpretatorischen Zugang zu dem, was sie zu Gehör bringen. Aber auch das teilen sie mit vielen anderen großen Meistern und großen Orchestern.

Und es gibt noch etwas, was man nicht bei jedem, aber doch bei manchem Orchester feststellen kann: Dass nämlich dieses Orchester Kritiker und Normalpublikum in gleicher Weise zu erreichen und zu begeistern vermag. Ihre Konzerte sind ausverkauft, und ihre Einspielungen werden zu Bestsellern.

Aber die Einmaligkeit, die ich andeutete, die hat noch einen anderen Grund, und das ist die ganz besondere soziale Verortung und damit verbunden das herausragende Engagement in der ästhetischen Bildung.

Dieses Orchester ist dem Gedanken der Freiheit verpflichtet. Die Kammerphilharmonie verdankt sich dem Impuls, einen von Direktoren und Intendanten freien Klangkörper ins Leben zu rufen. Ich hätte nicht gedacht, dass so etwas geht, es scheint aber zu funktionieren. Freiheit, das merkt man dann, ist niemals umsonst, auch nicht die Freiheit von Autoritäten. Das Orchester muss also einen großen Teil seines Umsatzes selber erwirtschaften, es ist, bei wenigen staatlichen Subventionen, auf das Engagement begeisterter Förderer angewiesen, von denen ich viele hier heute dankbar begrüße.

Die Freiheit bezieht sich auch auf die Selbstbestimmung. Es wird auch gerne und gut gelegentlich ohne Dirigent musiziert. Es entstehen dann oft sehr dichte und intensive Aufführungen. Natürlich will ich trotzdem den Dirigenten heute erwähnen – das wäre ja noch schöner, wenn wir ihn auslassen würden, so berühmt und anerkannt wie er ist. Über seine musikalische Inspiration hat sich das Orchester gefreut, und er hat das Orchester mitgeformt und seit vielen Jahren zu international beachteten Höchstleistungen geführt: Paavo Järvi. Ich freue mich sehr, Sie heute im Schloss Bellevue begrüßen zu können.

Die wichtigste Freiheit, die sich die Deutsche Kammerphilharmonie Bremen nimmt, ist aber die Freiheit, konsequent ungewohnte und experimentelle Wege musikalischer Vermittlung zu gehen. Ihr Zuhause ist an der Gesamtschule Bremen-Ost. Ich habe Sie dort einmal besucht. Dort probt das Orchester, und dort hat es sich einen hervorragenden Aufnahmeraum bauen lassen. Damit ist das Orchester unmittelbar zusammen mit Schülerinnen und Schülern, von denen viele sonst keinen täglichen Umgang mit klassischer Musik oder klassischen Instrumenten hätten.

Aber es ist nicht nur ein Nebeneinander, das sich dort in Bremen-Ost abspielt. Es ist ein von beiden Seiten intensiv genutztes Zukunftslabor entstanden, in dem immer wieder neu ausprobiert wird, welchen Ort und welche Bedeutung sogenannte ernste Musik mitten im heutigen Leben haben kann.

Das ist eine spannende Angelegenheit und eine für das ganze Feld der ästhetischen Bildung so wichtige Angelegenheit, dass ich es richtig fand, gerade diesen Klangkörper heute hier in Berlin zu Gast zu haben. Ich möchte ihn als ein Beispiel herausstellen.

Von den gemeinsamen Initiativen und Projekten kann man natürlich in so einer kurzen Sonntagsmatinee nur ganz auszugsweise etwas präsentieren. So werden wir ein Stück von den Melodien des Lebens hören, ein Projekt, das monatlich von dem Komponisten Mark Scheibe gemeinsam mit Schülerinnen und Schülern entwickelt und fortgeschrieben wird.

Und wir werden einen Ausschnitt hören aus einer Stadtteiloper. Das ist ein Projekt, das jedes Jahr in Bremen, im Ortsteil Osterholz-Tenever stattfindet. Es ist einerseits ganz auf den Stadtteil bezogen, andererseits hat es auch eine jeweils internationale Orientierung.

In diesem Jahr ist das Land Vietnam an der Reihe, woher die Legende der Drachensöhne und Feentöchter stammt, aus der Karsten Gundermann die diesjährige Stadtteiloper komponiert hat. An solch einem Opernprojekt machen so viele mit ihrem Können und mit ihrer Leidenschaft mit, dass man sich jedes Mal darüber wundern und freuen kann, wie viel Kreativität Menschen in sich entdecken können, wenn sie von etwas Schönem begeistert werden.

Jedes Mal, wenn Menschen solche kreativen Kräfte in sich entdecken, erleben sie eine kleine Wandlung: Sie erleben übrigens in solchen Fällen das, was man oft so hartnäckig bejaht und so selten erlangt: Glück – vom passiven Konsumenten zum aktiven Mitgestalter, vom Zuschauer zum Akteur. Vielleicht entdecken auch wir hier heute einen neuen kreativen Funken in uns. Dann wäre unser Wandelkonzert in des Wortes ganzer Bedeutung gelungen.

Und jetzt wünsche ich Ihnen allen viel Freude dabei!