Veranstaltung "Nachhaltige Entwicklung weltweit"

Schwerpunktthema: Rede

Berlin, , 15. September 2014

Bundespräsident Joachim Gauck hat am 15. September bei der Veranstaltung "Nachhaltige Entwicklung weltweit - was kann Deutschland beitragen?" eine Ansprache gehalten: "Globale Politik im Sinne der Nachhaltigkeit zu gestalten, das stellt uns immer wieder vor neue Fragen, auch weil sich hier die klassischen Grenzen zwischen Innen- und Außenpolitik, zwischen Entwicklungs- und Umweltpolitik immer mehr aufzulösen scheinen. Nachhaltigkeit wird immer mehr ein Querschnittsthema."

Bundespräsident Joachim Gauck hält eine Ansprache bei der Veranstaltung 'Nachhaltige Entwicklung weltweit – was kann Deutschland beitragen?' im Berliner Spreespeicher

Wir schauen nach New York, wo in diesen Tagen ein neues Kapitel aufgeschlagen wird: Wird es gelingen, die globale Kooperation zu verbessern und die ausgetretenen Wege zu verlassen? Wird die Weltgemeinschaft durch die Verhandlungen enger zusammenrücken? Wird eine gemeinsame Entwicklungsagenda tatsächlich lebendige Wirklichkeit? Und wird es dabei tatsächlich um jene Frage gehen, die uns bewegt: Wie wollen wir auf diesem Planeten – mit seinen begrenzten Ressourcen – so leben, dass wir alle miteinander eine Zukunft haben?

2015 soll Bilanz gezogen werden, und dann wird der Blick natürlich auch in die Zukunft gerichtet. Ein besonderer Blick liegt dabei auf den zur Jahrtausendwende definierten Millenniumszielen. Im kommenden Herbst, genau in einem Jahr, werden dann neue Wegmarken für die Zukunft vereinbart. Ich bin gespannt, wie diese aussehen werden. 2015 ist auch das Jahr, in dem ein neues Weltklimaabkommen verabschiedet werden soll. Auf der Ebene der Europäischen Union wird es das Jahr der Entwicklung sein. Und in allen diesen Prozessen hat unser Land, hat Deutschland eine wichtige Stimme.

Die Jahrtausendziele haben die Verbesserung der Lebensbedingungen der Menschen weltweit auf die Agenda gesetzt, ein Hauptanliegen war der Kampf gegen Armut und Hunger. Mir ist das zum Beispiel bei meinem Besuch in Brasilien aufgefallen, wieviel erreicht worden ist und dass man gleichzeitig immer auch die Dinge benennen kann, die noch verbessert werden können, wo wir unsere Energien weiter einsetzen müssen und uns auch verbünden müssen. Schon jetzt ist viel Licht zu sehen: Der Anteil der ärmsten Menschen an der Weltbevölkerung hat sich halbiert. Wir spüren also, gemeinsames Handeln zeitigt Erfolge. Das ist eine großartige Entwicklung, zu der eine Vielzahl von Faktoren beigetragen hat, etwa der rasante Aufstieg der Schwellenländer und die Anstrengungen vieler Millionen Menschen in armen Ländern, um ihren Kindern eine bessere Zukunft zu ermöglichen. Selbstverständlich gingen gerade auch von den Jahrtausendzielen starke und positive Impulse aus. In vielen verschiedenen Bereichen, etwa bei der Bekämpfung von Infektionskrankheiten wie bei der Versorgung mit sauberem Trinkwasser wurde viel erreicht.

Die noch unerreichten Ziele allerdings mahnen uns, die richtigen Schlüsse zu ziehen und die Frage zu stellen: Welche Instrumente haben funktioniert, und warum? Aber wir müssen auch fragen: Welche Instrumente müssen neu justiert werden? Jene noch unerreichten Ziele mahnen uns, in unseren Anstrengungen nach 2015 nicht nachzulassen. Der Kampf gegen Hunger und Armut ist immer auch der Kampf für mehr Selbstbestimmung und die Würde des Einzelnen.

Ban Ki-moon, der Generalsekretär der Vereinten Nationen, hat die Millenniums-Entwicklungsziele als den erfolgreichsten globalen Vorstoß gegen die Armut bezeichnet. Für mich ist der richtungsweisende Begriff hier das Wort global. Denn Entwicklungsländer, Schwellen- und Industrieländer können nur gemeinsam Antworten auf jene zentralen Zukunftsfragen finden, die keine nationalen Grenzen kennen.

Was nun in New York bei den Vereinten Nationen geschieht, orientiert sich genau an dieser Einsicht, dass die Herausforderungen eben global sind. In diesem Verhandlungsprozess, an dem sich Deutschland aktiv beteiligt, ist nachhaltige Entwicklung das programmatische Leitbild. Als ich jung war, kannte ich das Wort Nachhaltigkeit gar nicht. Nachhaltigkeit ist aber spätestens seit dem Erdgipfel von Rio de Janeiro in aller Munde und ist – positiv besetzt, aber manchmal auch so diffus und auch ein wenig überstrapaziert – in unseren alltäglichen Sprachgebrauch eingegangen. Wir brauchen manchmal Erläuterungen, um einen solchen Begriff, der sich etwas nebulös darstellt, für die Bevölkerung greifbar zu machen.

Im Kern steht Nachhaltigkeit für kluges Wirtschaften – im Kleinen mag das auch gut funktionieren. Auf die globalen Fragen von heute bezogen, ist das moderne Konzept der ökonomischen, ökologischen und sozialen Nachhaltigkeit dagegen keineswegs einfach zu übertragen, denn es gibt deutlich vorhandene Zielkonflikte – etwa: Wie können wir Ressourcenschutz und Wirtschaftswachstum vereinbaren – so etwas stellt uns vor große Herausforderungen. Wir spüren diese Herausforderungen, egal, wer wir auch sind, ob Minister, Bundespräsident, oder ein engagierter Bürger. Wenn wir uns in Schwellenländern in Verhandlungen begeben und mit unseren hohen Standards argumentieren, dann wird uns von der anderen Seite, im asiatischen Raum etwa, auch einmal gesagt: Erlaubt uns doch erst einmal, auf Euer Niveau zu gelangen. Dazu brauchen wir eben Wachstum. Und dann kann es sein, dass in der Luft, die die Menschen atmen in einigen Teilen Asiens, die eben erwähnten Zielkonflikte deutlich werden. Die neuen Nachhaltigkeitsziele sollen voraussichtlich global und universell gelten, das bedeutet: für alle Länder gleichermaßen – auch für Deutschland. Das geht über klassische Entwicklungspolitik nun allerdings hinaus. Die Grenzen zwischen Gebern und Nehmern verschwimmen mehr und mehr. Und wie wir die Erde zukunftsfähig für kommende Generationen machen können, das geht uns nun alle gemeinsam an.

Deutschland ist so intensiv wie kaum ein anderes Land verbunden mit den globalen Informations- und Warenströmen, eingewoben in die multilateralen Institutionen, und es ist fest integriert in die Europäische Union. Sie wissen von mir, dass ich mir wünsche, dass unser Land die ihm zugewachsene Kraft und die Bedeutung, die unser Land in den letzten Jahrzehnten gewonnen hat, ernsthaft wahrnimmt. Immer wieder wird mir bei meinen Besuchen in Asien, in Südamerika oder auch in anderen Regionen ein Bild vom eigenen Land vorgetragen, das mich als älteren Deutschen immer wieder überrascht. Ach, so sind wir jetzt? Diese Möglichkeiten haben wir jetzt? Und das heißt, dass wir uns in allen Fragen auch bewusst machen müssen, dass wir ein Global Player sind. In einigen Bereichen spricht man gerne von der Einen Welt. In anderen Gebieten müssen wir uns erst noch daran gewöhnen, dass wir Teilhaber an den Entwicklungsprozessen oder auch an den Verteidigungsnotwendigkeiten der Einen Welt sind. Es liegt – so stark verwoben in die Netze ökonomischer und sonstiger Art – also in unserem eigenen Interesse, dass Deutschland ein internationaler Akteur ist und bleibt, der den Entwicklungen nicht nur folgt, sondern der auch positive Entwicklungen anzustoßen und zu gestalten vermag, dass wir also dort vorangehen, wo wir es schon können.

Deshalb freue mich darüber, dass viele in der Bundesrepublik, darunter viele von Ihnen hier im Saal oder auch Bundespräsident Köhler, den Millenniumsprozess so intensiv begleiten oder mitgestalten. Dass sie auch dort, wo es manchmal an Verständnis mangelt, Ihre Fähigkeiten und Überzeugungen einsetzen, um für diese Sache zu werben. Und da hat jeder seine Kommunikationsebene. Manchmal muss ein Minister das richtige Wort sprechen oder die Kanzlerin. Aber unendlich wichtig sind die Kontakte und Diskurse auf gesellschaftlicher Ebene. Die Gewerkschaften müssen miteinander ebenso intensiv verhandeln wie die Unternehmensverbände. Und natürlich wollen wir, dass nicht nur die Zivilgesellschaft zuständig ist für die positiven Entwicklungsziele, sondern wir wollen und wünschen uns Regierungen, die das zusammen mit der Zivilgesellschaft fordern und zu ihrer Sache machen. So begleite ich die Verhandlungen in New York, wo Zivilgesellschaft, Wissenschaft, Wirtschaft und andere zusammenwirken, mit meinen allerbesten Wünschen.

Globale Politik im Sinne der Nachhaltigkeit zu gestalten, das stellt uns immer wieder vor neue Fragen, auch weil sich hier die klassischen Grenzen zwischen Innen- und Außenpolitik, zwischen Entwicklungs- und Umweltpolitik immer mehr aufzulösen scheinen. Nachhaltigkeit wird immer mehr ein Querschnittsthema. Und das stellt auch traditionell die Politik vor Herausforderungen – nicht zuletzt dann, wenn Geld verteilt wird.

Trotz aller Herausforderungen haben wir auch Grund zu Optimismus, denn Deutschland hat sich früh den drängenden Fragen und Problemen gestellt. Wissenschaft und Politik pflegen einen so intensiven Austausch zu Fragen der Nachhaltigkeit wie in kaum einem anderen Land. Deutschland ist Vorreiter bei erneuerbaren Energien und auch bei vielen innovativen Technologien. Die Energiewende zeigt sehr konkret, auch gegenüber dem Ausland, dass wir in Deutschland über innovative Wege der Energieversorgung nicht nur nachdenken und reden, sondern sie auch gestalten. Es ist der Versuch, eine Balance zwischen dem Einsatz erneuerbarer Energien und der so wichtigen Wettbewerbsfähigkeit unseres Landes zu finden. Wir sind noch nicht heraus aus dem Problemfeld, wir arbeiten immer noch daran. Aber dass Sie, die Sie sich hier versammeln, so aktiv in dieser Debatte die Millenniumsziele, das Prinzip der Nachhaltigkeit vertreten und verteidigen und immer wieder Aktivitäten einfordern, das berührt mich und ich danke Ihnen allen sehr dafür.

In Deutschland haben wir erlebt, dass unser wirtschaftlicher Aufstieg auch mit Schäden an der Umwelt einherging. Heute verfügen wir über Technologien, die helfen, solche Gefährdungen der Natur zu minimieren. Und so frage ich mich, ob nicht gerade Deutschland anderen, weniger entwickelten Ländern helfen kann, nicht dieselben Fehler zu machen, sondern einen neuen Weg zu gehen.

Die erfreulich guten Voraussetzungen Deutschlands dürfen uns nicht den Blick dafür verstellen, dass es noch eine weitere wichtige Ebene gibt, um das Prinzip der Nachhaltigkeit im globalen Maßstab zu etablieren – und das ist die Ebene des Individuums. Jeder Bewusstseinswandel beginnt mit persönlichen Entscheidungen der und des Einzelnen. Jede Veränderung der Nachfrage nach Gütern führt zu veränderten Produktionsbedingungen. Natürlich sind die Zusammenhänge komplex. Aber gerade deshalb möchte ich die Menschen in unserem Land ermutigen: Machen Sie sich schlau! Übernehmen Sie auch dort Verantwortung, wo Sie vielleicht bislang nicht so genau hingeschaut haben, zum Beispiel wenn Sie einkaufen, wenn Sie konsumieren.

Ich freue mich, dass heute hier so viele Engagierte und Interessierte beisammen sind und dass Sie, Herr Bundesminister, mit der Zukunftscharta Ihres Ministeriums Schritte auf diesem vielversprechenden Weg unternehmen. Sie bringen hier in Deutschland Akteure aus Zivilgesellschaft und Politik zusammen, auch die Wirtschaft ist dabei, und ich wünsche Ihnen einen gelungenen und interessanten Austausch. Und ich wünsche mir, dass diese Debatte in unserem Land weitergeht.

Es ist nicht immer einfach, den Blick fürs Große und Ganze zu bewahren, das wissen wir alle, doch gerade bei dieser wichtigen Debatte müssen wir es versuchen. Der Bericht einer UN-Kommission unter Gro Harlem Brundtland begann 1987, das war noch vor der Einheit unseres Landes, mit folgenden Worten: Mitten im 20. Jahrhundert sahen wir unseren Planeten zum ersten Mal aus dem Weltall, und wir sahen eine kleine zerbrechliche Kugel, die nicht von menschlichen Aktivitäten und Bauwerken geprägt war, sondern von einem Muster aus Wolken, Ozeanen, grünem Land und Böden.

Wenn wir uns – mit diesem Blick – der Einzigartigkeit und der Schönheit unserer Erde bewusst werden, dann wissen wir, was wir tun müssen, um sie auch für die Zukunft als Heimat der Menschheit zu bewahren.