Ausstellung Transformations – A. Y. Jackson and Otto Dix

Schwerpunktthema: Rede

Ottawa/Kanada, , 25. September 2014

Bundespräsident Joachim Gauck hat am 25. September nach seinem Besuch in der Ausstellung Transformations – A. Y. Jackson and Otto Dix im Kanadischen Kriegsmuseum eine Rede im Barney Danson Theater gehalten: In einer Welt in Unordnung sind wirtschaftlich und politisch stabile Staaten wie Kanada und Deutschland neu gefragt. Es liegt im Interesse unserer beiden Länder, uns für die Aufrechterhaltung und Weiterentwicklung einer kooperativen und regelgeleiteten Weltordnung einzusetzen.

Bundespräsident Joachim Gauck hält beim Konzert 'Gemeinsam Erinnern Verändern' im Barney Danson Theater eine Ansprache

Verwandlungen – dieses Wort ist für mich mehr als ein Ausstellungstitel. Es steht auch für vieles, was zwischen den Bildern von damals und den Realitäten von heute geschehen ist. Es bedurfte einer Transformation, einer Verwandlung, bis zu dem Augenblick, in dem ich nun – als Vertreter der Bundesrepublik Deutschland – hier im Kanadischen Kriegsmuseum den Frieden und die Freundschaft zwischen unseren Völkern bekräftigen kann. Das bedeutet mir viel. Ich danke Ihnen herzlich für diese Gelegenheit.

Zwei Künstler, zwei Heimatländer, ein Krieg.

Alexander Young Jackson und Otto Dix – der eine aus Kanada, der andere aus Deutschland – sie haben als Soldaten im Ersten Weltkrieg gekämpft, auf verschiedenen Seiten. Und doch ähneln sich ihre Gemälde auf manchmal erhellende Weise.

Horizonte in Flammen, verwüstete Landstriche, ein Bettler mit Armstümpfen und zerfurchtem Gesicht: Solche Bilder lassen uns noch hundert Jahre später in die Seelen einer traumatisierten Generation blicken. Otto Dix war erst Anfang Zwanzig, als er die Gräuel des Krieges erlebte, Alexander Young Jackson nur zehn Jahre älter. Beide meldeten sich als Freiwillige an die Front, und beide kehrten nicht nur als Kriegszeichner, sondern als Gezeichnete zurück.

Trotz vieler Gemeinsamkeiten in ihren Biografien fiel die Rezeption ihrer Kunst sehr unterschiedlich aus. Jacksons Werke beeinflussten die kanadische Identität, den kanadischen Nationalstaat, auch den Patriotismus. Dix‘ Bilder hingegen wurden unter den Nationalsozialisten als entartete Kunst bezeichnet und stigmatisiert. Erst Jahrzehnte später fand er die Anerkennung, die ihm gebührte.

Fünf Gehminuten von meinem Amtssitz in Berlin, vom Schloss Bellevue entfernt, gibt es eine Straße, die nach Otto Dix benannt wurde – spät. Viele, die dort wohnen oder morgens ihre Zeitung kaufen, werden wohl wissen, dass Otto Dix ein Maler war und eindrucksvolle Werke wie die Gräben vor Reims hinterlassen hat. Aber ich fürchte, nur sehr wenigen meiner Landsleute ist bekannt, dass auch kanadische Truppen an den Schlachten damals beteiligt waren und einen hohen Blutzoll zahlen mussten. Der Erste Weltkrieg wird nämlich von uns Europäern sehr oft sehr eurozentriert betrachtet. Zwar sagt schon sein Name, dass dieser Krieg weltweit gefochten wurde und weltweite Konsequenzen hatte. Aber welche Länder jenseits des Atlantiks mit welchen Motiven und welchen Verlusten involviert waren, gehört leider nicht zur selbstverständlichen Allgemeinbildung in Deutschland. Das Gedenkjahr 2014 – 100 Jahre nach Ausbruch des Ersten Weltkrieges – ist Anlass und Gelegenheit, solche Wahrnehmungslücken zu schließen.

Da ist die kanadische Erfahrung bemerkenswert: Ihr Land hatte 1914 acht Millionen Einwohner. 620.000 von diesen acht Millionen nahmen am Krieg teil. Kanada war noch Britisches Dominion und trat deshalb mit der Kriegserklärung Großbritanniens auf Seiten der Triple Entente in den Krieg ein. Zwar standen sich kanadische und deutsche Soldaten nur einmal direkt auf dem Schlachtfeld gegenüber, aber diese eine Schlacht – am Kamm von Vimy im April 1917 – war prägend. Sie ging als Inbegriff kanadischer Tapferkeit in das nationale Gedächtnis ein.

Wie lang und wie verlustreich dieser Krieg werden würde, ahnten zu Beginn des Krieges nur sehr wenige, die allerwenigsten. Kaum jemand konnte sich vorstellen, was die Industrialisierung für die Kriegsführung bedeuten würde. Das Trommelfeuer, das Morden im Stellungskrieg, vor allem aber die Gasangriffe überstiegen an Grausamkeit alles, was Menschen zuvor gekannt hatten. Es dauerte volle vier Jahre, bevor den Kämpfen endlich ein Ende gesetzt wurde.

1914 hatte die Diplomatie unter den Mächten Europas in verhängnisvoller Weise versagt. In meinem Land war zu diesem Zeitpunkt ein Großmachtdenken verbreitet, das den Blick für die Realitäten getrübt hatte und die Bereitschaft zu gegenseitigem Vertrauen und zu einem friedlichen Ausgleich verstellte. Der Verlauf der Kämpfe offenbarte dann auf furchtbare Weise, wie irrig der Glaube gewesen war, die Entfesselung eines Krieges könne ein politisches Problem lösen.

Die genauen Zahlen konnten nie ermittelt werden, aber Schätzungen zufolge haben bis 1918 mehr als 15 Millionen Soldaten ihr Leben verloren. Allein Kanada hatte über 66.000 Tote und 170.000 Verwundete zu beklagen. Hinzu kamen Opfer unzähliger Nationalitäten.

Nur zwei Jahrzehnte später stürzte das nationalsozialistische Deutschland die Welt in einen weiteren, noch verheerenderen Krieg.

Jackson und Dix erlebten diese zweite Niederlage Deutschlands noch mit. Aber sie erlebten auch, wie die Demokratie in Deutschland danach eine neue Chance erhielt. In Deutschland, sagte ich gerade –und dabei war es nur ein Teil Deutschlands, in dem die Demokratie damals errichtet wurde. Wie sich die Völker der Erde 1945 bei der Gründung der Vereinten Nationen gegenseitig die friedliche Konfliktlösung versprachen, erlebten sie auch, wie aus den ehemaligen Gegnern Deutschland und Kanada mit dem Beitritt der Bundesrepublik Deutschland zur NATO Partner wurden – bald Verbündete. Und nichts wirkte menschlich verbindender als die Präsenz der kanadischen Truppen in Westdeutschland – Jahrzehnte lang. Brückenbauer waren sie.

Heute ist auf beiden Seiten des Atlantiks für das jeweils andere Land sehr viel Anerkennung und Sympathie zu spüren. Die Verwandlung unserer bilateralen Beziehungen in etwas sehr Positives ist geglückt: Trotz der Bürden der Vergangenheit verbindet uns eine enge Freundschaft. Seit ich gestern hier ankam, wurde mir diese wunderbare Tatsache auf vielfältige Weise bewusst. Großen Dank dafür!

Das wäre schon fast ein Schlusswort, aber ich möchte gerade an diesem Ort nicht verschweigen: Uns verbinden auch gemeinsame Sorgen, wenn wir heute auf die Welt blicken. Blutige Auseinandersetzungen füllen bekanntlich nicht nur die Geschichtsbücher, sondern auch die täglichen Medien mit ihren täglichen Lageberichten aus der Welt. Wir müssen nur an zwei Schwerpunkte denken: an die Ukraine und den Nahen Osten. Eine stabile Sicherheitsarchitektur fehlt nicht nur dort. Sie fehlt in vielen Regionen unserer globalisierten Welt.

Was für die meisten Staaten in Europa und Nordamerika als Selbstverständlichkeit gilt – ein Leben ihrer Bürgerinnen und Bürger in Frieden, Freiheit und Wohlstand – das ist bekanntlich nicht überall Realität. Die Europäische Union, die auf den Trümmern der Kriege in Europa errichtet wurde, hat sich zum größten Friedens- und Wohlstandsprojekt der Menschheitsgeschichte entwickelt. Ich freue mich, dass ich das in Ihrer Gegenwart sagen kann. Aber der Traum, dass weltweit Konflikte durch Zusammenarbeit und Partnerschaft friedlich überwunden und so Stabilität und Sicherheit geschaffen werden können, dieser Traum bleibt – wir sehen es mit Schrecken – bis heute unerfüllt. Und sogar in Europa, das müssen wir leider erkennen, ist diese Ordnung mancherorts brüchiger als wir geahnt hatten, weil die Grundprinzipien, die diese Ordnung tragen, von manchen in Frage gestellt werden.

Kanada und Deutschland sind mehr denn je als Wertepartner gefordert. Es sind alte und neue Konflikte, die uns und unseren Partnern in der NATO und in den G7-Staaten, aber auch im weiteren Kreis der OSZE, der G20 und der Vereinten Nationen entschlossenes Handeln abverlangen – von der Ukraine über den Irak und Syrien bis zum Nahen Osten.

Kanada und Deutschland wirken in vielen Foren zusammen. Ich begrüße es sehr, dass morgen der EU-Kanada-Gipfel unsere Partnerschaft politisch und wirtschaftlich weiter vertiefen wird. Und ich möchte meinen Besuch in Ihrem Land auch nutzen, um zu fragen: Wo und wie ist eine noch intensivere Kooperation denkbar? Wo und wie können wir mehr tun und mehr erreichen als bisher?

So viel ist klar: In einer Welt in Unordnung sind wirtschaftlich und politisch stabile Staaten wie Kanada und Deutschland neu gefragt. Es liegt im Interesse unserer beiden Länder, uns für die Aufrechterhaltung und Weiterentwicklung einer kooperativen und regelgeleiteten Weltordnung einzusetzen. Der internationale Ordnungsrahmen braucht eine Reform. Die Herausforderungen, denen wir dabei gegenüberstehen, sind immens. Das beginnt beim Kampf gegen die Missachtung der Menschenrechte – sei es durch Nationalisten, Extremisten oder Fundamentalisten. Und es reicht bis hin zu globalen Themen wie dem Klimawandel, der langfristigen Energieerzeugung, der Bekämpfung von Armut und schweren Seuchen wie Ebola und Aids. All das müssen wir doch als unsere gemeinsame Aufgabe begreifen. Mehr noch: Wir müssen täglich danach handeln.

Was würden Alexander Young Jackson und Otto Dix wohl malen, wenn sie in der Welt von heute lebten? Welche Motive und Eindrücke aus unserer Epoche übermitteln wir unseren Kindern und Enkeln? Ich wünsche uns, dass diese neuen Bilder nicht nur von Hass und Zerstörung berichten, wie es einst der Fall war, sondern vor allem von Hoffnung und Vertrauen, vom Glück, einander zu verstehen, und von der Gnade der Aussöhnung. Die kanadisch-deutschen Beziehungen sind ein überzeugendes Beispiel dafür: Transformation kann gelingen. Lassen Sie uns gemeinsam daran arbeiten, dass Wandel dieser Art auch für viele andere Menschen in unserer Welt Wirklichkeit wird.