50. Jubiläum der Aktion Mensch

Schwerpunktthema: Rede

Berlin, , 7. Oktober 2014

Bundespräsident Joachim Gauck hat am 7. Oktober bei der Festveranstaltung "50 Jahre Aktion Mensch" eine Ansprache gehalten: "In einer inklusiven Gesellschaft sind wir erst dann angekommen, wenn Menschen mit Behinderung das gleiche Maß an Hoffnungen, das gleiche Maß an Wünschen zugestanden wird wie jedem anderen Menschen auch. Dazu ist es erforderlich, dass niemand mehr auf die permanente Opferrolle festgelegt wird, wenn alle eine echte Wahl haben, wie sie ihr Leben gestalten wollen."

Bundespräsident Joachim Gauck hält eine Rede im Berliner Kosmos Kino anlässlich der Festveranstaltung '50 Jahre Aktion Mensch'

50 Jahre Aktion Mensch – herzlichen Dank, dass Sie mich eingeladen haben zu diesem Fest.

Das Gebäude hier heißt Kosmos. So heißt es schon lange. Wie passend eigentlich! Kosmos, das Wort steht in der griechischen Mythologie für das Universum, für die Harmonie im Weltall, für die Ordnung der Dinge. Auch wenn wir Menschen im großen Kosmos nur eine sehr kleine Rolle spielen, so können wir doch die Ordnung der Dinge im kleinen, eigenen Umfeld beeinflussen. Unser Mikro-Kosmos ist veränderbar und mit Mut und Ausdauer ist sogar eine ganze Gesellschaft veränderbar!

Das fällt mir besonders hier an diesem Ort ein. Vor 50 Jahren w ar dieses hier das größte Kino der DDR, die am 7. Oktober, genau vor 25 Jahren, ihren 40. Jahrestag feierte. Und am Abend dieses Festtages begannen hier in Berlin große Proteste, die noch ziemlich brutal niedergeschlagen wurden. Und zwei Tage später in Leipzig war dann der große Umbruch. Natürlich muss ich daran denken, ich habe nämlich eben gesagt, unser Mikro-Kosmos, den können wir schon verändern. Und da fiel mir ein, wo wir gerade sind.

Heute treffen sich nun mit uns und auch an anderen Tagen hier freie Bürger in einer freien Gesellschaft. Und die freuen sich, so wie wir uns heute freuen, dass wir sein können, wie wir sind. Und wenn wir diesen Satz aussprechen, dann denken wir an diejenigen, die uns heute auf dem Bildschirm oder auf der Bühne begegnen. Da ist der Hornist, der sein Instrument nicht mit den Händen spielt, sondern mit den Füßen. Der Bäcker mit Down-Syndrom, der am liebsten Brezelteig in Form bringt. Oder die junge Gärtnerin, der man die Leidenschaft für ihre Arbeit sofort ansieht. Sie alle zeigen: Schon viel erreicht. Noch viel mehr vor!

Und dieses Motto Ihres Jubiläums greife ich gerne auf. Lassen Sie mich zunächst von dem Erreichten sprechen.

Die Geschichte der Aktion Mensch beweist, dass eine Veränderung im Kleinen wie im Großen gelingen kann. Bereits im Gründungsjahr 1964 verbuchte die Soziallotterie bemerkenswerte Erfolge. Das ZDF und die sechs bundesdeutschen Wohlfahrtsverbände bündelten damals ihre Kräfte und kanalisierten die Empörung über den Contergan-Skandal, der damals die Öffentlichkeit bewegte, in etwas Neues, in etwas Positives – in die Bereitschaft nämlich, die Lage der Betroffenen einfach einmal genauer anzusehen; die Bereitschaft, auch die Probleme von Menschen mit anderen Behinderungen wahrzunehmen. Millionen Deutsche wussten damals beispielsweise nicht, wie es in den vielen Behindertenheimen aussah: wenig Platz, wenig Mittel, erschöpftes Personal und fast immer ein Leben am Rande der Gesellschaft.

Die Aktion Sorgenkind – wie sie damals noch hieß –klärte auf und animierte zur Hilfe. Immer mehr Menschen wurden durch den Kauf eines Loses zur Spenderin oder zum Spender. Bis 1970 konnten auf diese Weise 44 Millionen Mark für soziale Projekte aufgebracht werden. Und 1990 belief sich die Summe schon auf das 26-fache. Selbstbestimmtes Leben, Teilhabe an Sport, Kultur, Bildung und Arbeit – die Palette der Themen und Initiativen, sie wurde immer breiter. Im Fernsehen warben die Zeichentrickfiguren Wum und Wendelin für die Spendenshow Der Große Preis. Und die Partner der Lotterie warben – jeder auf seine Weise – für eine große Idee: Chancengerechtigkeit dank sozialer Verantwortung.

Wer die Chronik der Aktion Mensch liest, der wird viel deutsche Sozialgeschichte darin finden. Es war ein langer Weg von den gut gemeinten, aber teilweise doch recht paternalistischen Hilfskonzepten – hier die sogenannten Starken, da die vermeintlich Schwachen – bis wir zu einem Miteinander auf Augenhöhe gelangten. Unsere Gesellschaft musste und muss wohl auch immer noch lernen, wie man mit Einschränkungen umgehen kann. Die Aktion Mensch entwickelte sich dabei zu einer erkennbaren Stimme in der gesellschaftlichen Debatte. Ich erinnere mich noch gut an das Signal, als die Aktion Sorgenkind in die Aktion Mensch umbenannt wurde. Das war vor 14 Jahren. Es hat viele damals irritiert, aber in unseren Köpfen hat sich doch eine Veränderung abgespielt. Denn seither stehen eben Lebensgeschichten im Vordergrund und nicht nur Leidensgeschichten. Die Aktion Mensch hat so entscheidend dabei mitgewirkt, Denkmuster zu verändern und konnte so Spielräume für neues Handeln eröffnen. Sie hat Beispiele des Gelingens in den Mittelpunkt gerückt und uns damit Orientierung und auch den nötigen Mut für ein neues Miteinander vermittelt.

Vielen starken Persönlichkeiten ist dafür zu danken. Allen voran den Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern der Aktion Mensch. Mehr als 250 von ihnen sind heute hier, sogar einige Aktivisten der ersten Stunde wie ich mir habe sagen lassen.

Sie haben vorgelebt, was eine Gesellschaft braucht, um sich zu verändern: Einfühlungsvermögen genauso wie Durchsetzungskraft, Liebe zum Detail genauso wie Weitblick. Dass Sie das konnten und getan haben, dafür herzlichen Dank.

Und wenn ich mich umsehe, dann meine ich, wahrscheinlich wird es uns auch gelingen, die nächsten 50 Jahre erfolgreich zu gestalten, denn es fehlt nicht an Kreativität und an Begeisterung und an Engagement. Ich wünsche Ihnen vor allem, dass es der Aktion Mensch weiterhin so eindrucksvoll gelingt, Botschafter und Verbündete zu finden. Auch die sind heute zahlreich zugegen: die Mitstreiter aus den Vereinen und Verbänden, aus den Projekten landauf, landab, von der kommunalen bis zur Bundesebene. Ohne all die haupt- und ehrenamtlich Engagierten hätte die Aktion Mensch nicht werden können, was sie heute ist. Ich grüße Sie herzlich und danke Ihnen!

Und natürlich muss ich auch über die Loskäuferinnen und Loskäufer sprechen, die durch ihre Teilnahme an der Lotterie die gute Sache unterstützen. Manche machen bei der Aktion Mensch mit, gar nicht um anderen zu helfen, sondern um etwas zu gewinnen. Die denken erstmal an sich. Und das total Geniale an dieser Aktion ist ja, dass man beides verbindet: an sich zu denken und nebenbei, ganz automatisch an andere Menschen zu denken und für sie etwas zu tun; und vielleicht sich total stark zu engagieren. Was für eine schöne Idee und was für eine schöne Entwicklung.

Also, wir können natürlich diese ganzen Loskäuferinnen und Loskäufer nicht alle hier in diesen Saal einladen, nicht einmal das größte Gebäude oder Stadion Berlins würde das schaffen. Sie haben vorhin eine Zahl gehört. Rund 4,6 Millionen Losbesitzer gibt es derzeit. Unser Olympiastadion in Berlin ist ganz schön groß, aber viel zu klein für diese große Zahl. Und wir machen uns das bewusst, stellen uns das vor Augen, weil wir uns klar machen wollen, wie groß diese größte soziale Initiative unseres Landes geworden ist. Ich sehe sie einfach als Ausdruck einer tätigen Bürgergesellschaft.

Tätige Bürgergesellschaft – das ist das, was ich als Präsident immer wieder auch vor die Augen der Öffentlichkeit stelle. Ich lade Leute ein, die sich hervorgetan haben im bürgerschaftlichen Engagement. Ich zeichne sie mit Orden aus, ich begegne ihnen gern. Sie sind das schöne Gesicht eines schönen Landes.

Ihr Motto: Noch viel mehr vor geht davon aus, dass diese tätige Bürgergesellschaft uns erhalten bleibt. Und wir stehen dafür, denn wir sind ein Teil dieser tätigen Bürgergesellschaft. Wenn ich mir darüber Gedanken mache, was uns in der Zukunft für Aufgaben vor Augen stehen, nicht nur den Politikern und Institutionen, den Verbänden, sondern auch uns als Bürgern, dann fällt mir ein Thema ein, über das ich viel nachdenken musste in den letzten Jahren und über das ich auch weiter nachdenken werde in den kommenden Jahren. Es ist das Thema Inklusion. Wir alle werden darüber nachdenken, denn wir sind es, die einer solchen Idee dazu verhelfen können, dass sie Erfolg haben wird. Und wir werden es sein, die sich dafür mit in Verantwortung nehmen lassen, wenn diese Idee nicht verwirklicht werden kann.

Ich sage WIR, weil ich die prägnanteste Überschrift im Kopf habe, die der Aktion Mensch bei einer ihrer Kampagnen geglückt ist: Das Wir gewinnt.

Drei Worte maßgeschneidert für die Lotterie wie für das Leben. Außerdem die kürzeste Beschreibung für Inklusion, die ich kenne. Das Wir gewinnt. In diesem Satz schwingt alles mit, was Inklusion kennzeichnet: Eine Gesellschaft, die sich nicht aufteilen will und aufteilen lässt in die Einen und die Anderen, sondern die gemeinsame Werte, gemeinsame Aufgaben und gemeinsame Ziele in den Mittelpunkt rückt. Eine Kraftanstrengung, die von allen getragen wird, also von Menschen mit und ohne Behinderung, und ein Gewinn, der sich nicht allein materiell bemisst, sondern an einem universellen Kriterium, an der Menschenwürde.

Und was bedeutet das nun im Alltag? Als die Behindertenrechtskonvention der Vereinten Nationen noch in ihren Anfängen steckte, hielten es einige Beobachter für schwierig, von der internationalen Charta der Menschenrechte bis hin zur Barrierefreiheit auf deutschen Bahnhöfen zu kommen. Die Zivilgesellschaft hatte dann großen Anteil daran, dass die Konvention trotzdem verabschiedet werden konnte. Inzwischen ist die Rechtslage zwar eindeutig, aber die Zweifel an der Umsetzbarkeit der Vorhaben sind nicht ausgeräumt und wir werden noch eine ganze Zeit und viele Gespräche brauchen, bis das erreicht ist, was wir uns vorstellen. Einmal mehr sind also überzeugte und überzeugende Bürgerinnen und Bürger gefragt – und wir brauchen eine klare Haltung. Meine eigene Haltung hat sich in den letzten Jahren vor allem durch persönliche Begegnungen gefestigt. Inklusion, so habe ich begriffen, ist eine enorme Herausforderung, keine Frage. Aber Inklusion ist auch keine Utopie. Sie ist eines der anspruchsvollsten Emanzipationsprojekte unserer Zeit. Inklusion folgt einem zutiefst humanen Prinzip, denn allen Menschen – ungeachtet ihrer angeborenen oder erworbenen Unterschiede – soll die bestmögliche Teilhabe und die bestmögliche Entwicklung möglich sein.

Die Größe der Aufgabe darf uns nicht den Blick für ihre Bedeutung verstellen. Nur weil wir wissen, dass wir vollständige Inklusion nicht von heute auf morgen erreichen können, vielleicht sogar lange Zeit nicht, dürfen wir das Ziel als solches nicht diskreditieren.

Wir sollten akzeptieren, dass unsere Gesellschaft eine Entwicklung durchläuft, in der verschiedene Modelle ausprobiert werden müssen. Und wir brauchen auch Zeit für dieses Ausprobieren der unterschiedlichen Modelle. Gerade jetzt ist es wichtig, sich auf das Konkrete und auf das jetzt und Morgen Machbare zu konzentrieren, vor allem darauf, was den Betroffenen wirklich hilft, ihren Platz in unserer Gesellschaft zu finden, nicht was einer Ideologie hilft, sich durchzusetzen. Neue Konzepte sollen mehr Chancen, mehr Ermutigung und mehr Stärkung ermöglichen, mehr konkrete Unterstützung im täglichen Leben. Vor allem aber: Inklusion muss erfahrbar werden – sichtbar und hörbar.

Damit keine Missverständnisse aufkommen: Natürlich sind Menschen mit Behinderung heute nicht mehr so unsichtbar wie vor 50 Jahren, als die meisten von ihnen noch in geschlossenen Heimen und Einrichtungen lebten. Aber an einer angemessenen Präsenz im Alltag fehlt es doch vielerorts immer noch. Betrachten wir einmal die mediale Wahrnehmung unserer Welt, so wird das besonders deutlich. Jenseits der Paralympics oder Special Olympics bleiben die Bilder von Menschen mit Behinderung oft auf Klischees reduziert, etwa auf den Mann im Rollstuhl – meistens ein Kassenmodell –, der im Krimi für das geübte Auge schnell als Schauspieler ohne Behinderung zu erkennen ist, oder denken wir an das fröhliche Kind mit Down-Syndrom, hundertfach gezeigt. Stereotype – selbst wenn mit den besten Absichten verbreitet – verfestigen einseitige Rollenbilder, die der Realität einfach nicht gerecht werden. Deshalb bin ich dankbar, dass die Aktion Mensch in ihren Magazinen sehr sorgfältig bei der Auswahl ihrer Porträts und ihrer Geschichten ist. Da gibt es eben auch den jungen Bäcker, den wir gerade im Film gesehen haben, oder die reife Frau in der betreuten Wohngruppe, die dafür kämpft, dass sie Liebe und Sexualität frei leben kann.

In einer inklusiven Gesellschaft sind wir erst dann angekommen, wenn Menschen mit Behinderung das gleiche Maß an Hoffnungen, das gleiche Maß an Wünschen zugestanden wird wie jedem anderen Menschen auch. Dazu ist es erforderlich, dass niemand mehr auf die permanente Opferrolle festgelegt wird, wenn alle eine echte Wahl haben, wie sie ihr Leben gestalten wollen.

Der wichtigste Perspektivwechsel, den wir als Gesellschaft schaffen müssen, ist die Verlagerung unserer Aufmerksamkeit weg von den Defiziten und hin zu den bislang ungenutzten Möglichkeiten.

Inklusion konzentriert sich nicht auf Behinderung, sondern sie baut auf Enthinderung. Das geschieht zum Beispiel dann, wenn es gelingt, dass ein autistisches Mädchen, das vor zehn Jahren noch als unvermittelbar gegolten hätte, einen Ausbildungsplatz in einer Computerfirma erhält. Komplizierte Zahlenkolonnen oder Programmiermuster, für die ein durchschnittlicher Bewerber weder das Können noch die Geduld aufbringen würde, können so zur Grundlage für einen eigenständigen Broterwerb werden. Leider sind solche Beispiele, wie wir alle wissen, noch eine Ausnahme. Aber sie müssen es nicht bleiben, denken wir nur an den außergewöhnlichen Tastsinn blinder Menschen oder denken wir an die besondere Organisationsfähigkeit derer, die ihr Leben trotz einer Einschränkung von klein auf meistern. In Zeiten des demografischen Wandels und der Furcht vor Fachkräftemangel, sollten – und ich finde: müssen – die Arbeitgeber ihren Blick besonders auf solche brachliegenden Potentiale richten.

Allerdings wäre es nun wirklich kurzsichtig, diese Forderung nur vom Arbeitsmarkt abhängig zu machen. Die Teilhabe am Erwerbsleben eröffnet weitere Lebenschancen und ist ein wichtiger Teil gesellschaftlicher Integration. Deshalb muss sie auch bei schwierigen Rahmenbedingungen gefördert werden.

Es wäre falsch, die derzeitigen Probleme allein dem Unwillen der Unternehmen zuzuschreiben. Die Aktion Mensch porträtierte vergangenen Monat den Inhaber einer Berliner Werbeagentur, der immense Mühen auf sich nahm, um einem spastisch gelähmten jungen Mann eine Ausbildung zu ermöglichen. Er beklagte, wie schwierig es sei, die nötigen Assistenzdienste zu organisieren. Ich habe mich dann gefragt: Wie viele solcher Beispiele gibt es wohl in Deutschland? Sind es viele, sind es einige? Können wir etwas tun? Was können wir tun? Und wie viele Versuche scheitern schließlich an den Kosten oder auch einfach nur an den Formalitäten?

Inklusion kann nur gelingen, wenn wir die Hürden auch offen ansprechen, auch nötige Kritik muss hörbar sein. Wenn wir also nicht nur das Ideal, sondern auch die Reibungspunkte auf dem Weg dorthin klar benennen, dann werden wir weiterkommen.

Zum Beispiel, wenn wir auf unsere Schulsituation blicken. Es reicht doch nicht, hehre, schöne Ziele in wunderbaren Papieren schön zu beschreiben, wenn dann in der Fußnote steht, dass die Kostenübernahme noch zu klären ist. Gerade weil der Aufwand für inklusiven Unterricht so hoch ist, muss es eine breite öffentliche Debatte darüber geben, welche Ressourcen nötig sind, welche bereitgestellt werden können und woher das nötige Geld kommen soll.

Wir wissen es alle: Inklusion ist kein Selbstläufer. Das kann ein so komplexes Vorhaben niemals sein. Und das spüren viele von Ihnen, die mit Barrieren ganz unterschiedlicher Art konfrontiert werden, das geschieht leider täglich. Und Sie merken, auch ich habe immer noch viele Fragen. Die haben sich angesammelt bei zahlreichen Begegnungen zum Thema Inklusion, etwa hier in Berlin bei unserem Bürgerfest – dort gab es einen Stand der Aktion Mensch, oder jüngst bei einem Besuch in Rheinland-Pfalz, bei Pionieren der Inklusion, die neue Konzepte ausprobieren.

Inklusion gelingt nur und wird nur gelingen, wenn wir den Mut aufbringen, alte Grenzen zu verschieben. Und zugleich dürfen wir nicht zurückschrecken vor der Frage: Wie weit sind diese Grenzen versetzbar? Gibt es ein Limit, das wir auch akzeptieren müssen?

Ich könnte es mir leicht machen und sagen: Der Kosmos ist unendlich. Aber ich will ehrlich sein. Im Leben begegnen uns immer wieder Grenzen, auch ich selber spüre meine Grenzen. Doch indem wir soweit gehen, wie wir gehen können, werden wir hoffentlich mit anderen die Erfahrung teilen: Du kannst mehr als Du denkst. Auch ein Satz, der in unserem Umfeld vielfältig gesprochen und vielfältig mit Leben erfüllt worden ist.

Wir – ja: wir! – sollten nichts unversucht lassen.

An Ideen für neue Projekte wird es der Aktion Mensch auch künftig sicher nicht fehlen. Denn Sie sind es ja, meine Damen und Herren, die schon in den vergangenen 50 Jahren nicht nur geträumt haben, sondern Sie haben einfach neue Fakten geschaffen. Sie sind es, die dazu beigetragen haben, das Thema Inklusion bis ganz nach oben auf die politische Agenda zu befördern. Und Sie sind es, die jetzt nicht nachlassen. Für diese Tatkraft und Entschlossenheit sage ich Ihnen hier und heute meinen herzlichen Dank!

Möge der heutige Abend Ihnen allen, der großen Familie der Aktion Mensch – den Mitarbeitern, den Partnern, Freunden –, die nötige Energie für die weitere Arbeit schenken. Schon viel erreicht. Noch viel mehr vor. Gemeinsam stark!


Zusammenfassung der Rede des Bundespräsidenten in Leichter Sprache

Zusammenfassung der Rede von Bundespräsident Joachim Gauck bei der Festveranstaltung zum 50. Jubiläum der Aktion Mensch am 7. Oktober 2014 in Berlin

Der Bundespräsident Joachim Gauck sagt:

Aktion Mensch gibt es seit 50 Jahren.
Er bedankt sich herzlich dafür,
dass er eingeladen wurde.

Die Veranstaltung findet im Kosmos statt.
Das ist ein Haus in Berlin Mitte.
Der Name Kosmos passt gut zu dieser Veranstaltung.
Kosmos heißt Weltall.
Das Weltall ist grenzenlos.
Es gibt dort keine Barrieren und keine Hürden.
Wir alle sind ein kleiner Teil vom Kosmos
und alle Menschen sollen ohne Grenzen
und ohne Barrieren leben können.
Deshalb wurde 1964 Aktion Mensch gegründet.
Damals hieß sie noch Aktion Sorgenkind.
Aktion Mensch hat daraufhin der Gesellschaft gezeigt,
wie die Lebenssituation der Menschen mit Behinderung aussieht.

Die Aktion Mensch klärte die Gesellschaft über
Menschen mit Behinderung auf
und hat die Gesellschaft um Hilfe gebeten.
Im Fernsehen auf ZDF gab es zum Beispiel die Sendung
Der Große Preis. Das war eine Spenden-Show.
In dieser Spenden-Show wurden die Menschen aufgerufen,
Geld für die Aktion Mensch zu spenden.
Die Aktion Mensch ist eine Sozial-Lotterie.
Das heißt, bei ihr kann man Lose kaufen.
Mit den Losen kann man Geld gewinnen
und spendet damit auch Geld.
Dieses Geld wird für soziale Projekte verwendet.

Zum Beispiel:
• Es wurden Einrichtungen für Kinder und Jugendliche
mit Behinderung aufgebaut.
• Es wurden Werkstätten für Menschen mit Behinderung gebaut.
• Und noch Vieles mehr.
Die Gesellschaft hat dadurch gelernt
und lernt immer noch,
wie man das Leben von Menschen mit Behinderungen
unterstützen kann.

Im Jahr 2000 war es sehr wichtig,
Aktion Sorgenkind in Aktion Mensch umzubenennen.
Im Vordergrund sollen die Menschen stehen.
Die Aktion Mensch hat das Denken der Gesellschaft verändert.
Es wurde bewusst, dass man etwas machen muss
um das Leben der Menschen mit Behinderung zu verbessern.
Menschen mit Behinderung sollen ihr Leben genauso
selber gestalten können wie Menschen ohne Behinderung.
Das gelingt aber nur, wenn viele Menschen helfen.
Deshalb bedankt sich der Bundespräsident
bei all diesen Menschen:
Ohne all diese Personen wäre Aktion Mensch heute nicht das,
was sie heute ist.

Aktion Mensch sagt: Das Wir gewinnt.
Das bedeutet:
Alle Menschen sollen mit einbezogen werden.
Menschen mit Behinderung
sollen genauso in der Gesellschaft leben können
wie Menschen ohne Behinderung.
Alle Menschen in unserer Gesellschaft
müssen gleiche Rechte und Möglichkeiten haben.
Das nennt man Inklusion.
Aber Inklusion geht nur,
wenn alle Menschen das gemeinsam tun.
Und wenn alle das gleiche Ziel haben
und gemeinsam daran arbeiten, das Ziel zu erreichen.
Seit 2008 gibt es die UN-Behindertenrechts-Konvention.
Die UN ist ein Zusammenschluss
von fast allen Ländern auf der Welt.
Die UN hat einen Vertrag gemacht,
der heißt Behindertenrechts-Konvention.
Im Vertrag stehen die Rechte von Menschen mit Behinderung.
Und an diesen Vertrag müssen sich die Länder halten.

Aber was heißt Inklusion im Alltag?
Menschen mit Behinderung brauchen oft Unterstützung
für ihr tägliches Leben.
Diese Unterstützung müssen wir ihnen auch geben.
Und wir müssen Vieles verändern,
damit diese Personen selbstständig leben können.
Das ist eine sehr große Aufgabe.
Diese Aufgabe gelingt nicht von heute auf morgen.
Das gelingt nur,
wenn alle Menschen umdenken und mitmachen.
Heute werden Menschen mit Behinderungen
etwas mehr wahrgenommen.

Die Gesellschaft darf sich nicht auf die Behinderung konzentrieren,
sondern auf die Enthinderung dieser Menschen.
Das heißt, Barrieren und Hürden wegmachen.
Deshalb müssen Menschen mit Behinderung klar sagen
welche Barrieren und Hürden es für sie gibt
und welche Hilfe sie brauchen.
Wir müssen klar sagen, wer diese Barrieren und Hürden beseitigt.
Und wir müssen darüber sprechen, wer das alles bezahlt.

Oft stoßen Menschen an ihre Grenzen.
Aber alle müssen den Mut dafür haben,
etwas Neues auszuprobieren.
Nur dann kann sich etwas ändern.
Der Bundespräsident sagt,
dass auch er ab und zu seine Grenzen spürt.
Aber er habe die Erfahrung gemacht:
Man kann mehr als man denkt!
Und der Bundespräsident ist sich sicher,
dass Aktion Mensch viele weitere Ideen für neue Projekte hat.
Deshalb ist das Motto dieser Veranstaltung:
Schon viel erreicht. Noch viel mehr vor.
Der Bundespräsident bedankt sich bei Aktion Mensch
sehr herzlich für ihre Arbeit
und wünscht allen Anwesenden einen schönen Abend.

Diese Rede hat capito Bodensee in leicht verständlicher Sprache geschrieben.