20 Jahre American Academy

Schwerpunktthema: Rede

Schloss Bellevue, , 7. Oktober 2014

Der Bundespräsident hat am 7. Oktober bei einem Empfang anlässlich 20 Jahre American Academy Berlin eine Ansprache gehalten: "Das Netz der Kontakte zwischen den Vereinigten Staaten und den Ländern Europas ist so engmaschig wie zwischen keinen anderen Regionen der Welt. In diesem transatlantischen Beziehungsgewebe gibt es jedoch eine besondere Organisation, hier in Berlin, die eine ganz besondere Rolle spielt: die American Academy."

Bundespräsident Joachim Gauck hält eine Rede in Schloss Bellevue anlässlich des 20. Jubiläums der American Academy

Lassen Sie mich beginnen mit einer kurzen Reflexion über den Ort, an dem Sie sind. Für die meisten von Ihnen hochvertraut, aber vielleicht nicht für alle: Schloss Bellevue, Amtssitz des Bundespräsidenten. Gleichzeitig aber ist das ein Forum, in dem sich Menschen treffen, die Meinungen austauschen, miteinander diskutieren. Ein Forum, in dem in diesem Jahr vielfältig der Ereignisse des vergangenen blutigen Jahrhunderts gedacht wurde – der 100-jährigen Wiederkehr des Ersten Weltkrieges aus ganz unterschiedlichen Perspektiven. Oder ein anderes Beispiel: gestern, hier zur selben Stunde in diesem Raum, die Auszeichnung verdienter Bürgerinnen und Bürger mit dem Verdienstorden der Bundesrepublik Deutschland. Sie dürfen diesen Ort verstehen als ein Forum, in dem sich die Deutschen treffen können und miteinander, mit den Institutionen, darüber unterhalten, wer sie selbst sind. Ein Ort des besseren Verstehens, ein Ort der Begegnung. Das ist der Grund, warum ich heute mit dieser kurzen Reflexion über den Ort beginne – Begegnung passiert ja auch heute.

Begegnung und den Horizont weiten, das ist die Aufgabe der American Academy und darum passt dieses Forum so gut zu dem Ereignis, welches wir feiern.

Lieber Gary Smith,

ich habe in Deinen Augen gesehen, dass Du dem sofort zugestimmt hast.

Es gibt viele Bande über den Atlantik hinweg: das sind zuerst die vielen, vielen persönlichen Freundschaften und familiären Beziehungen, dann die Geschäftsbeziehungen, die vielfältigen kulturellen Beziehungen, die wissenschaftlichen Partnerschaften. Und ständig sind die Flugzeuge voll von Politikern, Schülern, Studenten, Forschern, Künstlern, Geschäftsleuten. Irgendetwas ist immer mit Irgendjemandem zu besprechen auf der anderen Seite des großen Meeres. Unsere Verbindungen sind also institutionell, aber sie sind auch individuell. Das Netz der Kontakte zwischen den Vereinigten Staaten und den Ländern Europas ist so engmaschig wie zwischen keinen anderen Regionen der Welt. In diesem transatlantischen Beziehungsgewebe gibt es jedoch eine besondere Organisation, hier in Berlin, die eine ganz besondere Rolle spielt: die American Academy.

Untergebracht in der früheren Villa einer Familie, die einst von den Nationalsozialisten vertrieben und ihre Immobilien weit unter Wert verkaufen mussten, und nun von eben dieser Familie, den Arnhold-Kellens, großzügig unterstützt, ist die American Academy ein Zentrum des amerikanischen Geisteslebens in Europa geworden, es ist ein kulturelles Kleinod hier in Berlin am Wannsee.

Dass es dazu kommen konnte, ist guten Ideen und harter Arbeit zu verdanken – und besonders talentierten Persönlichkeiten. Lieber Gary Smith, Sie sind einst aus Liebe zu Walter Benjamin nach Deutschland gekommen. Sie haben das Potsdamer Einstein-Forum aufgebaut und dann die von Richard Holbrooke ersonnene American Academy. Wenn ich den Namen Richard Holbrooke erwähne, ich habe ihn persönlich mehrfach getroffen, dann stockt mir immer noch ein bisschen der Atem. Wie gerne hätten wir ihn alle heute unter uns gesehen, nicht wahr? Und nun, lieber Gary, kehren Sie zurück, nach 17 Jahren zu dem, was Sie zu Beginn Ihrer erstaunlichen Laufbahn fasziniert hat: dem Schreiben und dem Forschen. Dafür wünsche ich Ihnen alles Gute. Und ich danke Ihnen für alle Ideen und für Ihren Einsatz für das amerikanisch-deutsche Verhältnis. Vor allem aber danke ich Ihnen dafür, dass Sie die Academy – in Ihren eigenen Worten – zu einer intellektuellen Luftbrücke gemacht haben. Der Transfer über diese Luftbrücke hat Berlin und Deutschland gut getan. Herzlichen Dank dafür!

Und wir sehen das ganz besonders eindrucksvoll am Fellowship-Programm: Sie, liebe Fellows, die Sie für ein akademisches Semester nach Berlin gekommen sind, stammen aus allen Winkeln der Vereinigten Staaten, aus allen wissenschaftlichen Disziplinen und aus allen kulturellen Bereichen. Sie sind Botschafter aus einem Land des Denkens und des Schreibens, aus einem Land der Hochschulen und Forschungsinstitute. Wer in Europa intensiv Einblick in aktuelle amerikanische Debatten erhalten will, der sollte sich auf den Weg machen in dieses wunderbare Haus am Wannsee. Wer sich informieren möchte, über die Themenvielfalt jenseits der üblichen Bilder und Klischees, der ist in der American Academy genau richtig. Und so wünsche ich der American Academy: Möge sie unter neuer Leitung weiterhin ein Magnet für den Intellekt sein, ein Forum für den transatlantischen Austausch.

Und ich muss hier noch eine kleine Reflexion einfügen. Das mache ich ganz spontan. Als ich eben die Sätze gelesen habe, die ich früher geschrieben habe – wie ich Amerika eben beschrieben habe –, da ist mir aufgefallen, was für ein anderes Bild der Vereinigten Staaten gerade in Europa im Umlauf ist. Und das stand alles eben nicht in den Sätzen, mit denen ich das geistige Leben und die Kultur Amerikas beschrieben habe. Im Moment haben die aufgeklärten Menschen, die die Vielfalt der US-amerikanischen Kultur kennen und hier in Europa verbreiten, einen schweren Stand, weil all zu Viele, all zu wenig Informierte all zu viel über das andere Land sagen. Und wir hier in Berlin wissen doch, was dieses ganz andere Land für die Freiheit Deutschlands und Europas getan hat. Bis zuletzt, bis 1989/90. Wir können uns also nicht zufrieden geben damit, dass die öffentlichen Meinungen in Europa und in den Vereinigten Staaten auseinanderdriften.

Ich freue mich, dass heute zwei große Wegbereiter, Wegbegleiter der Academy bei uns sind, beide einst US-amerikanische Außenminister und beide Förderer der transatlantischen Partnerschaft. Lieber Henry Kissinger, lieber James Baker, herzlich willkommen im Schloss Bellevue!

Vor rund zehn Jahren diskutierten wir, ob Europäer und Amerikaner auf verschiedenen Planeten lebten, so unterschiedlich erschienen manchem Beobachter unsere sicherheitspolitischen Kulturen. Nun ist heute die Welt auf neue und verstörende Weise in Unordnung geraten, und Europäer und Amerikaner schauen jetzt wieder sehr ähnlich auf die Herausforderungen und Bedrohungen der Gegenwart.

Allerdings existiert nun eine neue Debatte. Wieder kommt es uns vor, ich habe es eben kurz angedeutet, als lebten Deutsche und Amerikaner auf verschiedenen Planeten, wenn wir die Unterschiedlichkeit des amerikanischen Ansatzes bei Terrorabwehr, Datenschutz oder Geheimdienstarbeit betrachten. Eine aktuelle Umfrage des German Marshall Fund liefert sogar Zahlen für die wachsende Entfremdung der Deutschen von Amerika.

Solche Daten sollten alle beunruhigen, denen die transatlantische Allianz am Herzen liegt. Es ist doch ganz klar: es besteht Gesprächsbedarf. Und dieses Gespräch begrüßen wir und wir sollten es gemeinsam fördern. Viele von Ihnen hier im Saal können und werden zu diesem wichtigen amerikanisch-deutschen Dialog beitragen. Und ich bin überzeugt: Auch wenn Unterschiede bleiben mögen, so werden sich unsere Gemeinsamkeiten einmal mehr als bedeutender erweisen als das, was uns zu trennen mag. Die Debatte über das Verhältnis von Freiheit und Sicherheit in den Vereinigten Staaten und Deutschland muss ernsthaft und sie muss mit starken Argumenten geführt werden. Und wenn die jeweilige Güterabwägung manchmal unterschiedlich ausfällt, so sollten die Gründe dafür dann auch deutlich benannt werden.

Die transatlantische Partnerschaft ist keine Laune der Weltgeschichte. Sie hat feste und tiefe Wurzeln, die wir uns immer und immer wieder vergegenwärtigen sollten. Those who stand for nothing, fall for anything, sagte einer der Gründungsväter der Vereinigten Staaten, Alexander Hamilton. Wofür die Vereinigten Staaten stehen – für eine freiheitliche Gesellschaft und für offene, kritische Debatten – das wird, bei uns in Berlin, wie im Brennglas sichtbar in der American Academy. Dort begegnet man komplexen Sachverhalten so, wie sie es verdienen – nuanciert, differenziert und tiefschürfend. Und was die Begegnung mit Kunst und Kultur betrifft, so erleben wir Überraschungen, Inspiration, Freude. Und deshalb wünsche ich mir, dass diese Atmosphäre am Wannsee noch viele Begegnungen zwischen Deutschen und Amerikanern, zwischen Menschen von beiden Seiten des Atlantiks beflügeln und unsere Partnerschaft so immer wieder aufs Neue voranbringen wird.

Ich danke Ihnen.