Verleihung des Deutschen Umweltpreises 2014

Schwerpunktthema: Rede

Kassel, , 26. Oktober 2014

Bundespräsident Joachim Gauck hat am 26. Oktober bei der Verleihung des Deutschen Umweltpreises in Kassel eine Rede gehalten: "Es ist und es wird auch weiterhin Aufgabe der Politik sein, ökologische Leitplanken zu setzen und Märkte so zu gestalten, dass Verursacher für Schäden aufkommen und die Preise auch die tatsächlichen Kosten spiegeln. Dann kann sich die Innovationskraft von Forschern, von Unternehmen, von Bürgerinnen und Bürgern auf das Ziel der Nachhaltigkeit ausrichten."

Bundespräsident Joachim Gauck hält eine Ansprache bei der Verleihung des Deutschen Umweltpreises der Deutschen Bundesstiftung Umwelt im Kongress-Palais in Kassel

Ich bin zum dritten Mal in meiner Amtszeit dabei, wenn der Deutsche Umweltpreis vergeben wird. Wieder geht es mir so wie in den anderen Jahren auch: Ich sitze da, gucke und staune, und manchmal lerne ich sogar. Und wenn so etwas geschieht, dann sind das besonders wichtige Stunden im Leben eines Menschen.

Immer wenn wir uns treffen, als Menschen, die nicht nur zuschauen und etwas beklagen, sondern die wahrnehmen, dass Veränderungen möglich sind, dann ist das Leben schön. Und dann geschieht auch immer etwas Besonderes. Es geht Kraft aus von solchen Begegnungen. Man wird einfach ermutigt.

Und deshalb ist es für mich eine Freude, unter Menschen zu sein, deren Beharrlichkeit, deren Ideenreichtum und deren Weitblick andere Menschen ermutigt. Ich glaube, das geht mir nicht nur allein so – die Stimmung hier im Saal belegt, dass es Ihnen auch so geht.

Und heute nun stehen uns ganz bestimmte Merkpunkte vor Augen.

Ja, aus viel weniger könnten wir viel mehr machen. Das ist der Impuls, der mich erreichte bei der Wahrnehmung des ersten Preisträgers. Sie, lieber Herr Hennicke, entwickeln Konzepte, die wir für eine ressourcen- und energiesparende Art des Wirtschaftens unbedingt brauchen. Sie haben Visionen, aber Sie sind imstande, diese Visionen mit der Realität zu verbinden. Sie weichen der Realität nicht aus, sondern bleiben ihr beständig nahe. Gut, immer wieder darauf hingewiesen zu werden, wie viel mehr mit weniger möglich wäre!

Und dann, der zweite Blick: Man weiß nur, was man sieht – auch wenn es der Volksmund genau umgekehrt meint: Man sieht nur, was man weiß. Lieber Herr Krieg, die von Ihnen entwickelten Sensoren machen Schadstoffe sichtbar und geben uns so das nötige Wissen, um Umweltschäden zu vermeiden und – wir haben es sehr, sehr deutlich gehört – wertvolle Ressourcen wiederzuverwenden. Hätten wir ein solches Sensorium doch immer und überall, in allen Lebenslagen.

Und schließlich: Es kann fortschrittlich sein, etwas zu verhindern. Das ist nicht immer so. Aber beim Beispiel von Hubert Weinzierl sehen wir es besonders deutlich vor Augen. Lieber Herr Weinzierl, Sie kämpfen seit vielen Jahrzehnten darum, Naturzerstörung zu verhindern. Und Sie tun das, indem Sie das Bewahrenswerte der Natur, die Artenvielfalt und die menschlichen Lebensgrundlagen unermüdlich in unserem Bewusstsein verankern. Sie haben großen Anteil daran, dass Umweltschutz in Deutschland eine politische Kraft geworden ist. Sie haben uns alle zum Nachdenken gebracht und sich damit großen Respekt erworben. Und eben diesen Respekt möchte ich Ihnen heute ganz persönlich und ganz deutlich, und ich sage es ruhig einmal, im Namen unseres Landes zum Ausdruck bringen.

Alle drei Preisträger zeigen uns etwas: Wir können viele Dinge anders machen, wo vermeintlich eherne Sachzwänge walten: zu teuer, nicht machbar, nicht durchsetzbar oder haben wir immer so gemacht? Nein! Wir haben Handlungsoptionen: politisch, wirtschaftlich, gesellschaftlich und technologisch. Und wir können Entwicklungen beeinflussen.

Dass wir alternative Arten des Umgangs mit Ressourcen und Ökosystemen entwickeln müssen, wenn wir nicht langfristig die Grundlagen unseres Wohlergehens zerstören wollen – diese Erkenntnis ist inzwischen so weit verbreitet wie nie zuvor.

Aber es ist auch klar: Solch eine Transformation ist ein Kraftakt. Sie fordert uns als Gesellschaft, sie fordert uns aber auch persönlich heraus. Und sie bedarf in der Einen Welt der Entschlossenheit und Geschlossenheit aller.

Die Weltgemeinschaft aber besteht, wie wir alle wissen, aus höchst unterschiedlichen Staaten mit höchst unterschiedlichen Gesellschafts- und Wirtschaftssystemen und mit höchst unterschiedlichen Interessen und auch mit sehr unterschiedlichen Entwicklungsformen, in der sie sich jeweils befinden.

Demokratien sind dabei besonders gefordert. Es gibt Menschen, die seit geraumer Zeit darüber spekulieren, ob sich offene, freiheitliche Gesellschaften mit langfristigen Herausforderungen wie dem Klimawandel schwerer tun als autoritäre Regime – die könnten nämlich notwendige Maßnahmen, ja, selbst Einschränkungen der Handlungsfreiheit eben von oben anordnen, ohne langwierig demokratische Legitimität herzustellen zu müssen.

Aber das ist für mich theoretisch, denn ich sehe nichts von der Vorreiterrolle nicht-demokratischer Systeme. Und so bleibe ich davon überzeugt: Demokratische und offene Gesellschaften sind erfolgreicher. Sie sind es, weil sie lernfähig sind und weil sie Alternativen offen halten, weil sie Fortschritt eben nicht von oben verordnen, sondern als gesellschaftliche Aufgabe aller betrachten und weil sie sich selbst Regeln setzen, verbindliche, und den Wettstreit um die besten Lösungen nicht behindern, sondern zulassen und fördern. Und weil unterschiedliche Interessen einen Ausgleich finden und ein solcher öffentlicher Diskurs bestenfalls auch zur Bewusstseinsschärfung hinsichtlich der eigenen Lebensführung führt.

Wettbewerb, eingebettet in einen Ordnungsrahmen, das ist auch das Erfolgsrezept der Sozialen Marktwirtschaft. Es ist und es wird auch weiterhin Aufgabe der Politik sein, ökologische Leitplanken zu setzen und Märkte so zu gestalten, dass Verursacher für Schäden aufkommen und die Preise auch die tatsächlichen Kosten spiegeln. Dann kann sich die Innovationskraft von Forschern, von Unternehmen, von Bürgerinnen und Bürgern auf das Ziel der Nachhaltigkeit ausrichten.

Im Übrigen stehen wir damit ja nicht am Anfang. Und in diesem Raum sind genug Menschen, denen ich dafür danken möchte, dass wir nicht am Anfang stehen. Denn auch heute schon wissen viele Unternehmer: Langfristig ist ökonomisch nur machbar, was auch ökologisch vertretbar ist.

Eine entscheidende Frage wird dabei sein: Bekommen klimaschädliche Emissionen endlich überall einen Preis, damit sich umweltschonende Produktionsweisen, innovative Technologien und sparsame Produkte auch lohnen? Weltweit wird an solchen Preissystemen für Kohlendioxid gearbeitet, einige Länder haben sie bereits. Auch in Europa muss daran weiter gearbeitet werden, einen funktionierenden Emissionshandel aufzubauen.

Viel Hoffnung richtet sich auf die großen Industrienationen. Jüngst hat der amerikanische Präsident, Barack Obama, beim Klimagipfel der Vereinten Nationen erklärt, sein Land werde beim Klima- und Umweltschutz eine wichtige Rolle übernehmen. Auch China wird nolens volens eine aktivere Rolle akzeptieren müssen. Und was Deutschland betrifft: Unsere Regierung trägt im Rahmen der G7–Präsidentschaft im kommenden Jahr Mitverantwortung, die globale Klimaschutzpolitik voranzubringen.

Ende nächsten Jahres sollte dann beim Weltklimagipfel der Vereinten Nationen in Paris ein wirksames globales Abkommen stehen. Das könnte eine Wegscheide sein, ein ermutigender Aufbruch! Ich wäre froh, ich müsste nicht im Konjunktiv sprechen an dieser Stelle. Denn: Das hoffen wir umso mehr nach dem vorgestrigen EU-Gipfel in Brüssel und dem dort gefundenen Kompromiss, der sicher, wie wir merken, nicht alle befriedigen konnte.

Ehrgeiz und Führungskraft in der Klimapolitik sind wichtige Elemente von Deutschlands internationaler Mitverantwortung. Unser Land hat bei der Transformation zu einer langfristig vernünftigen Entwicklung vieles einzubringen: politisch, technologisch, ökonomisch. Und auch die wohl richtigste Ressource: seine aufgeklärten Bürgerinnen und Bürger!

Damit bin ich dann wieder bei Ihnen, verehrte Preisträger. Sie motivieren zum Umdenken, zum global verantwortlichen Tun. Hubert Weinzierl hat einmal gesagt, eigentlich müsste jeder Mensch eine doppelte Staatsbürgerschaft besitzen: die seines Staates und die der Weltgemeinschaft. Handeln sollten wir jedenfalls in diesem doppelten Bewusstsein und mit dem Bewusstsein, dass wir – mehr als alle Generationen vor uns – auch die Mittel dazu besitzen.

Ob die Weltgemeinschaft in einem Jahr, nach dem Pariser Klimagipfel, weiter sein wird? Wir können nur hoffen und alles dafür tun, alles, was uns möglich ist.

Eines aber weiß ich gewiss: Kurz vorher, dann nämlich, wenn wir den Deutschen Umweltpreis 2015 in Köln vergeben werden, dann werden wir wieder inspirierenden Menschen begegnen, die das ihnen Mögliche getan haben.

Und darauf freue mich zusammen mit Ihnen!