Eröffnung der 13. Deutsch-Luxemburgischen Wirtschaftskonferenz

Schwerpunktthema: Rede

Luxemburg, , 4. November 2014

Bundespräsident Joachim Gauck hält die Eröffnungsrede zur Deutsch-Luxemburgischen Wirtschaftskonferenz anlässlich des Staatsbesuchs im Großherzogtum Luxemburg

Ich freue mich, dass ich heute Abend mit Ihnen zusammen die Deutsch-Luxemburgische Wirtschaftskonferenz eröffnen darf. Dieses Forum – die Handelskammer und die Deutsche Botschaft richten es nun schon zum 13. Mal aus –, es ist ein besonders gutes Beispiel für die Zusammenarbeit unserer beiden Länder. Sie ist seit langer Zeit erfolgreich, und sie verfolgt gemeinsame Ziele.

Luxemburg und Deutschland haben die Europäische Union und ihre Vorläufer von Beginn an mitgestaltet – zunächst in einer Institution, deren Name verdeutlicht, wo die wirtschaftlichen Schwerpunkte ganz zu Anfang, nämlich in den 1950er Jahren, lagen: Ich meine die Europäische Gemeinschaft für Kohle und Stahl.

Seitdem haben sich unsere Volkswirtschaften tiefgreifend gewandelt. Ich bin mir sicher: Ohne das Zusammenwachsen Europas wären wir wirtschaftlich nicht so erfolgreich gewesen. Ohne das Zusammenwachsen Europas wären wir auch weltweit nicht so gut positioniert, könnten nicht derart wettbewerbsfähige Güter und Dienstleistungen anbieten und auf der Basis von Spitzentechnologie und Spitzenforschung nicht derartig große Werte schaffen. Bei allen Herausforderungen, die es weiterhin gibt, hat uns dieser gemeinsame Binnenmarkt, hat uns dieses Europa den Weg zum höchsten Wohlstand in unserer gemeinsamen Geschichte geebnet. Das sollte man sich gerade in Zeiten von Krisengerede und tatsächlicher Krisenbewältigung immer wieder einmal deutlich machen.

Und das Thema, das Sie dieses Jahr für Ihre Konferenz gewählt haben, ist für ganz Europa von Bedeutung: Anwendungsorientierte Forschung – durch Wissenstransfer die Wirtschaft von morgen stärken. Hinter dieser Losung steckt ein Gedanke, der auch mir wichtig ist: Wirtschaft ist kein statisches System, sondern ein offener, dynamischer Prozess, der ständig neuer Impulse und neuer Erkenntnisse bedarf und diese an die anwendungsbezogene Wissenschaft weitergibt.

Luxemburg hat wirtschaftlichen Wandel immer wieder erfolgreich bewältigt. Im 19. Jahrhundert gelang der Übergang vom Agrarland zum Stahlproduzenten, in den vergangenen Jahrzehnten entwickelte sich Ihr Land zu einem der führenden Finanzplätze Europas. Und seither schreitet die Diversifizierung weiter voran, auch weil Sie auf Innovation, Hochtechnologie und Zukunftsbranchen setzen.

Wir alle wissen: Wir dürfen uns nicht ausruhen auf dem, was wir einmal errungen haben, weder als Unternehmer noch als Wissenschaftler noch als Politiker. Wir stehen vor der Herausforderung, Wissen in Waren und Dienstleistungen umzusetzen. Und diese Herausforderung wächst, weil der Anteil der Innovationen an der wirtschaftlichen Entwicklung weiter zunimmt und immer weiter zunehmen wird. Deshalb müssen Wirtschaft und Wissenschaft enge Formen der Zusammenarbeit entwickeln und diese ausbauen.

Ein erfolgreiches Beispiel ist das interdisziplinäre Team aus dem Physiker und Arzt Birger Kollmeier und seinem Kollegen, dem Physiker Volker Hohmann von der Universität Oldenburg, und dem Ingenieur und Industrieforscher Torsten Niederdränk. Mit der Entwicklung des binauralen Hörgeräts haben sie einen wesentlichen Beitrag dazu geleistet, dass Schwerhörige wieder besser räumlich hören können. Weil diese Erfindung den Menschen nützt und wirtschaftliches Potential besitzt, erhielten die beteiligten Experten vor zwei Jahren den Deutschen Zukunftspreis, den Preis des Bundespräsidenten für Technik und Innovation. Und Sie haben es schon gehört, die Preisträger sind heute hier. Ich freue mich darüber und sie können im weiteren Verlauf der Konferenz selbst noch viel genauer als ich es vermag, von ihrer Zusammenarbeit berichten und von dem Erfolg, den sie dabei errungen haben.

In jedem Fall wird auch an diesem Beispiel sichtbar: Wir müssen in Forschung und Entwicklung investieren. Aber Geld allein reicht nicht aus. Was wir ebenso brauchen, sind solide Strukturen der Zusammenarbeit und die Bereitschaft, diese Strukturen zu nutzen, zu pflegen und auszubauen. Eng damit verbunden ist eine Geisteshaltung, die geprägt ist von Teamgeist und Innovationsfreude. Was wir brauchen, ist ein gesellschaftliches Klima, offen gegenüber Ideen muss es sein.

Nur wenn wir dem technischen Fortschritt offen gegenüberstehen, wenn wir den Mut haben, alte Denkmuster zu überwinden und auch außergewöhnliche Wege zu gehen, können wir unsere Zukunft erfolgreich gestalten. Nur dann kann Europas Wirtschaft auf den Weltmärkten auch weiterhin erfolgreich sein. Und ich will es hier gerne einmal einfügen: Angststrategien werden uns die Zukunft weniger eröffnen.

Viele Unternehmen, die die Handelskammer vertritt, sind wirtschaftlich stark und haben eine große Strahlkraft über Grenzen hinweg. Deutsche, Franzosen, Belgier und andere Europäer arbeiten und forschen hier in Luxemburg, Zehntausende pendeln täglich aus den Nachbarländern ins Großherzogtum. Viele Luxemburger wiederum investieren und leben anderswo in Europa. Die Offenheit Ihres Landes ist für jeden Besucher spürbar, und ich glaube, dass Offenheit ein Schlüsselfaktor für Erfolg ist, nicht nur in der Wirtschaft, nicht nur in der Wissenschaft. Mich beeindruckt jedenfalls diese Offenheit, die ich hier auf den unterschiedlichen Ebenen erleben kann. Für mich ist Luxemburg ein Sinnbild und ein Vorbild für Europa.

Unsere beiden Länder verbindet die Überzeugung, dass wir in Europa gemeinsame Interessen haben und voneinander profitieren. Wir wissen auch, dass wir über schwierige Fragen diskutieren müssen: Wie wollen wir den Europäischen Binnenmarkt vervollständigen? Wollen wir es und wie wollen wir es? Wie können wir weiterhin nationale Zuständigkeiten achten, etwa in der Steuerpolitik, zugleich aber ausschließen, dass Schlupflöcher zur Steuervermeidung einladen?

Ganz gleich, welches Thema wir debattieren: Wichtig ist, dass wir versuchen, den jeweils anderen zu verstehen und aufeinander zuzugehen, große Länder auf kleine, und – ja! – auch umgekehrt. Im Weltmaßstab relativiert sich ja der Größenunterschied, über den wir hier in Europa sprechen ohnehin. Das muss ich nicht weiter ausführen. Jean Claude Juncker hat recht: Auch die großen Länder Europas sind klein im Vergleich zu den großen Nationen dieser Welt.

Stark sind wir eben nur gemeinsam. Und diese Konferenz trägt dazu bei, die ökonomischen Kräfte Luxemburgs und Deutschlands stärker zu vereinen. Lassen Sie uns also voneinander lernen. Lassen Sie uns gemeinsam Neues wagen!