Empfang für die ersten Stipendiatinnen und Stipendiaten des Avicenna-Studienwerks

Schwerpunktthema: Rede

Villa Hammerschmidt, , 18. November 2014

Bundespräsident Joachim Gauck im Austausch mit Stipendiatinnen des Avicenna-Studienwerks in der Villa Hammerschmidt in Bonn


Herzlich Willkommen in der schönen Villa Hammerschmidt! Das ist für mich und für Sie etwas Besonderes. Für mich ist es etwas Besonderes, weil ich mit Ihnen ein Studienwerk begrüße, das wir bisher noch nicht haben in unserem schönen bildungsfreudigen Land. Und wenn etwas Neues entsteht auf dem Sektor Bildung, dann ist jeder politische Verantwortliche und natürlich auch der Bundespräsident froh darüber.

Sie alle kennen sicher den Spruch: Nichts ist so gut, dass man es nicht noch besser machen könnte! Und einen anderen: Es gibt Sachen, wenn es die nicht schon gäbe, man müsste sie erfinden.

Und was wir noch nicht hatten, war ein Begabtenförderungswerk für Muslime. Das mag damit zusammenhängen, dass wir uns hier in Deutschland sehr lange eingeredet haben, dass wir kein Einwanderungsland sind und dass alle sich irgendwie nach der schon vorhandenen Decke strecken müssen. Viele Menschen glaubten früher auch, in einer anderen Epoche, der alten Bundesrepublik, dass die Menschen, die zu uns kommen, so etwas wie Gastarbeiter sind, die nicht auf Dauer bleiben, sondern die zurückgehen, wenn sie genug Geld verdient haben. Heute wächst die Erkenntnis, dass das ein Irrtum, wenn nicht gar eine Lebenslüge war. Wir riefen Arbeitskräfte, und es kamen Menschen. Menschen mit Familien, mit Kindern, die unsere Schule besuchen und von denen immer noch viel zu wenige den Sprung auf die Universität, auf die Hochschule geschafft haben – die es vielleicht auch gar nicht gewagt haben, weil es in ihren Familientraditionen nicht angelegt war.

Deshalb bin ich froh und dankbar, dass es nun – man muss fast sagen: endlich! – das Avicenna-Studienwerk gibt und dass Sie die ersten sind, die durch diese Stipendien gefördert werden, und von denen wir alle hoffen, dass Sie einen guten Weg machen.

Und dieser Dank gilt vielen. Ich fange bei Ihnen an, Herr Professor Uçar: Als Muslim, als Theologe und Hochschullehrer an einer deutschen Universität kannten Sie die Herausforderungen, die es zu lösen galt. Sie haben unermüdlich die verschiedenen Gesprächsfäden zusammengeführt und dann gemeinsam mit anderen Unterstützern etwas sehr Deutsches getan: Sie haben einen Verein gegründet. Dieser Verein, den brauchen wir, das war wichtig. Er bildet den Kern des Studienwerks, und zugleich stellt er sicher, dass die verschiedenen muslimischen Gruppen und Strömungen in Deutschland Avicenna als ihre gemeinsame Aufgabe sehen und betrachten.

Natürlich haben Sie das alles nicht allein zu Wege gebracht. Avicenna hat viele Väter und Mütter – darunter übrigens auch Nicht-Muslime, die sich mit dieser Lücke im System der Begabtenförderung in Deutschland nicht abfinden wollten. Auch ihnen gilt mein herzlicher Dank. Ebenso der Stiftung Mercator, die dem Werk eine großzügige Anschubfinanzierung gewährt hat. Und dann natürlich – wir haben ja auch offizielle Stellen – dem Bundesministerium für Bildung und Forschung, das das Projekt mit Ausdauer, Sympathie und einem Förderbescheid begleitet hat.

Sie, liebe Stipendiatinnen und Stipendiaten, sind die ersten, die in die Förderung aufgenommen werden. Sie eint, dass Sie überdurchschnittliche Leistungen erbringen und dabei nicht nur an sich selbst denken, sondern auch bereit sind, sich für andere zu engagieren. Sie alle eint zudem Ihr Glaube.

Das Stipendium unterstützt Sie nun materiell, und es fördert Sie auch ideell. Mit Ibn Sina, oder eben Avicenna, wie er latinisiert heißt, haben Sie einen anspruchsvollen Namenspatron für Ihr Studienwerk: Er war ehrgeizig und bildungshungrig. Er war gläubiger Muslim und ein kritischer Geist. Und vor allem: Er hat einen ganz entscheidenden Beitrag zum Dialog von Orient und Okzident geleistet.

Ihr Namenspatron weist Ihnen die Richtung: Bleiben Sie offen, bleiben Sie kritisch, bleiben Sie engagiert. Seien Sie Vorbilder für diejenigen aus Ihren Familien, aus Ihren Milieus, für uns alle, die sich bemühen, Glauben und Engagement in Wissenschaft und Gesellschaft zu verbinden. Tragen Sie den Gedanken des Austausches und des Dialoges, den Sie in der nun entstehenden Avicenna-Familie gewiss erleben werden, auch in Ihr persönliches Umfeld und in die Gesellschaft hinaus.

Wir haben bei vielen anderen Studienwerken gesehen, dass das, was von den dort Geförderten ausgeht, viele andere mitbetrifft. Und ich wünsche, dass das auch bei Ihnen in Ihren Familien, Freunden und in Ihrem Umfeld gelingt.

So helfen wir einander! Der Staat und private Stiftungen und engagierte Einzelpersonen wenden sich an Sie, weil sie etwas in Ihnen entdeckt haben. Sie haben in Ihnen unendliche, zum Teil noch verborgene, Potentiale entdeckt. Und wir alle glauben daran, dass Sie aus diesen Potentialen etwas machen. Aber wir sind eine solidarische Gesellschaft, und deshalb wollen wir die, die wir fördern, auch als Menschen sehen, die nicht nur an sich selber denken, sondern die das Interesse und die Verantwortung für sich selbst verbinden mit einer Verantwortung für unser Gemeinwesen, für unsere demokratische Gesellschaft.

Herzlichen Glückwunsch, dass Sie aufgenommen sind in diesen Kreis! Ich wünsche Ihnen alles Glück der Welt bei Ihrem Weg in den Beruf. Alles Gute!