Literarischer Abend zu Ehren von Johannes Bobrowski

Schwerpunktthema: Rede

Schloss Bellevue, , 9. März 2015

Der Bundespräsident hat am 9. März bei einem literarischen Abend zu Ehren von Johannes Bobrowski anlässlich dessen 50. Todestages eine Rede gehalten: "Er war kein Solitär, kein Elfenbeinturmbewohner. Er hatte selber, viele von Ihnen werden sich daran erinnern, besonders seine Familie, über deren Anwesenheit ich mich heute von Herzen freue, er hatte selber immer ein offenes Haus, und er liebte die Gemeinsamkeit mit der Familie, mit den Freunden, mit den Kollegen. Ohne jede Berührungsangst konnte er so auch zu einem deutsch-deutschen Dichter par excellence werden."

Bundespräsident Joachim Gauck hält eine Ansprache bei einem literarischen Abend zu Ehren des Schriftstellers Johannes Bobrowski in Schloss Bellevue

Manchmal ist es ein gutes Gefühl, unter Verschwörern zu sein. Denn so komme ich mir heute Abend vor: als einer, der zu einer verschworenen Gemeinschaft gehört, die sich nur für dieses eine Mal – nicht ganz heimlich – hinter Schlossmauern versammelt.

Und dabei wird auch sichtbar, wer sonst noch so dazugehört. Heinrich Böll hat ja einmal von der Einigkeit der Einzelgänger unter den Schriftstellern gesprochen. Es gibt diese Einigkeit der Einzelgänger aber auch unter den Lesern. Es gibt die Anhänglichkeit der Versprengten und Verstreuten, die dem Werk des geliebten Autors die Treue halten, weit über den Tod hinaus.

Und so erinnern wir heute an Johannes Bobrowski, der vor 50 Jahren gestorben ist. Zu diesem Anlass habe ich mich entschlossen, möglichst viele von denen einmal aufzuspüren und zusammenzubringen, die dem bedeutenden und viel zu früh verstorbenen, großen Dichter Johannes Bobrowski als Leser, als Deuter, als Freunde, als Kollegen, als Publizisten die Treue halten.

Weil es mir aber immer auch darum geht, unsere Kultur auch in ihren halb vergessenen Aspekten öffentlich wahrnehmbar zu machen, darum sind heute auch ein paar derer hier, die vielleicht noch gar nicht so viel wissen von Johannes Bobrowski und die heute hoffentlich angesteckt werden, künftig zu den Mitverschworenen zu zählen.

Ich bin kein Philologe und kein Literaturwissenschaftler. Deshalb kann ich Ihnen auch keine Analyse von Bobrowskis Schreib- und Lebensweg und erst recht keine umstürzenden neuen Erkenntnisse anbieten. Ich war und bin Leser – zuweilen ein leidenschaftlicher. Und einer von denen, denen seit sehr langer Zeit meine besondere Leseleidenschaft gilt und gegolten hat, ist eben Johannes Bobrowski – ein deutscher Dichter, ein sehr deutscher Dichter. Seine Poesie der Erinnerung, der Rettung, der Aufhebung des Verlorenen, des Vergessenen, des Verspielten – das ist in einem eminenten Sinne deutsche Tradition:

Alle meine Träume

gehn über Ebenen, ziehn

unbetretenen Wäldern

windhell entgegen.

Da mag mancher wahrlich einen Eichendorff-Ton hören, der der Romantik jene unverwechselbare Gestimmtheit verlieh, jene träumerische Erinnerung einer Welt, die in Gefahr ist, verloren zu gehen. Wenn etwas in der Weltkunst eine deutsche Affäre ist, wie Rüdiger Safranski über die Romantik gesagt hat, dann begegnet sie uns in den Gemälden von Caspar David Friedrich oder in den Gedichten von Eichendorff. Aber hier bei Bobrowski ist es doch noch einmal eine etwas andere Gestimmtheit.

Vielleicht ist es aber kein Zufall, dass ich eben zwei östliche Künstler aus jener ganz anderen Zeit aufgerufen habe, den Schlesier Eichendorff und den Greifswalder Friedrich. Denn mir stehen mit Johannes Bobrowski auch andere Künstler aus dem Osten vor Augen, die in unserem vergangenen schrecklichen Jahrhundert nach dem Krieg Heimatverbundenheit und Sehnsucht nach der verlorenen Heimat artikuliert haben.

In diese Reihe gehört der nach Mecklenburg geratene Pommer Uwe Johnson, dessen Katze Erinnerung nicht weniger genau und wehmütig durch die Träume schleicht wie der Geist Bobrowskis. Günter Grass, mit Bobrowski befreundet, gehört mit seiner Danziger Trilogie hierher. Und natürlich Siegfried Lenz, den wir uns nicht vorstellen können ohne seine innere Beziehung zu dem Verlorenen. Und ebenso natürlich denke ich an den Rostocker Walter Kempowski mit seinem Riesenwerk der Erinnerung und des Bewahrens, seiner Deutschen Chronik und seinem Echolot.

Osten heißt das Gedicht Bobrowskis, aus dem ich zitiert habe. Der Autor nennt selber einmal als Hauptimpuls seines Schreibens die Verbundenheit mit dem ganzen europäischen Osten:

Zu schreiben begonnen habe ich am Ilmensee 1941, über russische Landschaft, aber als Fremder, als Deutscher. Daraus ist ein Thema geworden, ungefähr: die Deutschen und der europäische Osten. Weil ich um die Memel herum aufgewachsen bin, wo Polen, Litauer, Russen, Deutsche miteinander lebten, unter ihnen allen die Judenheit. Eine lange Geschichte aus Unglück und Verschuldung, seit den Tagen des deutschen Ordens, die meinem Volk zu Buch steht. Wohl nicht zu tilgen und zu sühnen, aber eine Hoffnung wert und einen redlichen Versuch in deutschen Gedichten.

Als ich anfing, Bobrowski zu lesen, versuchte ich nicht, auseinanderzuhalten, in welcher Mischung Sehnsucht und Erinnerungsglück, Trauer und Schmerz sich in seinem Werk niederschlagen. Aber immer sah ich in meinem Dichter auch einen politischen Kopf, der wusste und wissen ließ, wer letztlich der Verursacher all der großen Verluste war. Der über die großen Sehnsuchtsbilder verfügte, er wollte sich nicht wegträumen aus der Welt der Tatsachen und der tatsächlichen Schuld.

In deutschen Gedichten: Johannes Bobrowski war sich sehr der langen Tradition bewusst, in der er stand. Er nannte selber Klopstock als seinen Zuchtmeister, nahm aber auch die Wortmagie auf, die er zum Beispiel bei Hölderlin fand. An Hölderlin erinnern die Zeilen, mit denen Bobrowski das leichte Verstehen zwischen den östlichen Menschen beschreibt:

Wir aber kennen uns leicht. / Unsere Gespräche steigen alle aus gleichem Grunde.

Anderthalb Jahrhunderte vorher hatte der Tübinger gedichtet:

Viel hat erfahren der Mensch […],

Seit ein Gespräch wir sind

und hören können voneinander.

Seit ein Gespräch wir sind: Das ist nicht nur eine lyrische Zeile aus alter Zeit, das war für Johannes Bobrowski eine immer aktuelle, lebenspraktische und gleichzeitig ethische Maxime: im Gespräch sein, im Austausch, im freundschaftlichen, ja brüderlichen Miteinander. Er war kein Solitär, kein Elfenbeinturmbewohner. Er hatte selber, viele von Ihnen werden sich daran erinnern, besonders seine Familie, über deren Anwesenheit ich mich heute von Herzen freue, er hatte selber immer ein offenes Haus, und er liebte die Gemeinsamkeit mit der Familie, mit den Freunden, mit den Kollegen.

Ohne jede Berührungsangst konnte er so auch zu einem deutsch-deutschen Dichter par excellence werden. Er las im Westen und im Osten, verlegte in beiden Teilen Deutschlands seine Bücher und wurde in beiden Teilen Deutschlands ausgezeichnet. Ein interessantes Zeitdokument ist ein Plakat, das eine Lesung Bobrowskis in Naumburg ankündigt, im Mai 1965, und zwar veranstaltet vom Deutschen Kulturbund / Wohngebiet 1 der Nationalen Front. Unter seinem Namen steht, als sei diese Nachbarschaft das selbstverständlichste von der Welt: Heinrich Mann-Preisträger / Preisträger der Gruppe 47!

Nur vier Monate später war Johannes Bobrowski tot. Und an seinem Grab sprachen Stephan Hermlin aus dem Osten und Hans Werner Richter aus dem Westen. Der eine, Hermlin sagte: Er erklärte sich nicht für Brüderlichkeit: seine Dichtung war brüderlich.

Und der andere, Richter, Gründer der Gruppe 47, sagte es konkreter: Für viele von uns war er das Bindeglied zwischen den Schriftstellern der DDR und der Bundesrepublik. Er war ein gesamtdeutscher Dichter, hier wie dort anerkannt, hier wie dort wirkend, hier wie dort geliebt. Ja […]: Er, Johannes Bobrowski, wurde geliebt.

Dass er geliebt wurde, das hing vielleicht auch mit seiner eigenen großen Menschenliebe zusammen – und mit etwas, das bei einem Schriftsteller der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts kaum selbstverständlich ist. Es gibt da ein Foto, das zeigt seinen Schreibtisch – und darauf steht ein Kreuz. Seine Frau Johanna erinnerte sich einmal so: Er war ein praktizierender Christ […]. Ich hab ihm einmal gesagt, dass man das mit den Kindern bereden müsste. Nein, nein, sagte er, Reden macht das nicht. Er sagte, das macht nur das Vorbild, ein praktizierendes. Damit meine ich, dass er das ganz, ganz ernst gemeint hat.

Ich glaube, dass dieser Aspekt seines Lebens und Wirkens keine Nebensächlichkeit ist – und wenn sogar das Sächsische Tagblatt im Sozialismus 1965 im Nachruf festhält Ein tätiger Christ. Lebensfroh, dann sollte uns das heute Abend erst recht erwähnenswert sein.

Johannes Bobrowski – ich sage es noch einmal mit Hans Werner Richter – wurde geliebt. Das wird er, wie Sie alle durch Ihr Erscheinen heute Abend zeigen, noch immer. Und: Er wird auch literarisch hochgeschätzt. Ich habe mir sagen lassen, dass im neuesten Großen Conrady er, den die weite Öffentlichkeit schon beinahe vergessen hat mit acht Gedichten vertreten ist – mehr als fast alle aus seiner Zeit, der zweiten Jahrhunderthälfte. Wir Bobrowski-Verschworene haben uns also den Richtigen erwählt, um ihn jetzt zu feiern und einen Abend lang unter uns lebendig werden zu lassen.

Ich freue mich, dass wir ihn gleich selber im Film sehen und hören können, dass wir dann später einen von Volker Koepp eigens für heute komponierten Zusammenschnitt aus seinen Filmen sehen – er hat sich von Bobrowskis Sarmatischer Zeit oft inspirieren lassen – und dass wir dazwischen einer Runde von Kennern und Liebhabern zuhören können.

Und meine Damen und Herren, wir haben keine Kosten und Mühen gescheut und es sogar geschafft, eine leibhaftige Nobelpreisträgerin unter uns zu haben.

Ich freue mich sehr auf diesen ganz besonderen Abend über einen sehr besonderen Dichter.