Preisverleihung des Wettbewerbs "Starke Schule"

Schwerpunktthema: Rede

Berlin, , 21. April 2015

Bundespräsident Joachim Gauck hat am 21. April bei der Preisverleihung des Wettbewerbs "Starke Schule" eine Ansprache in Berlin gehalten: "Wir wollen unsere gute Bildung, um die es uns geht, als das Rüstzeug bezeichnen, das uns Zukunft ermöglicht, das uns Türen öffnet und Wege weist und einen weiten Horizont macht. Junge Menschen sollen nicht nur ein gewisses Maß an Bildungsgut beständig wiedergeben können, sondern wir wollen sie ja vor allen Dingen zu mündigen Bürgern entwickeln."

Bundespräsident Joachim Gauck hält bei der Preisverleihung des Wettbewerbs "Starke Schule" eine Rede

Ein schöner Tag, ein schöner Termin. Eine wunderbare Begrüßung. Hier im Deutschen Historischen Museum, einem Ort, in dem Menschen normalerweise der Vergangenheit nachspüren, da wollen wir uns heute der Zukunft zuwenden, der Zukunft unseres Landes. Wir wollen Schulen auszeichnen, die junge Menschen in besonderer Weise fürs Leben vorbereiten und ihnen den Weg ins Berufsleben ebnen. Wir wollen damit auch Lehrerinnen und Lehrer, Eltern, Unternehmer, Stiftungen und staatliche Institutionen und die vielen anderen ehren, die sich gemeinsam für gute Bildung und Chancengerechtigkeit stark machen. Ich freue mich, dass ich heute hier mit Ihnen an dieser wunderbaren Veranstaltung teilnehmen kann.

Hier im Schlüterhof sind wir umgeben von alten Kanonen, und es gibt allerhand Rüstungen zu sehen in diesem Gebäude. Was uns allerdings beschäftigt, hier heute Vormittag, ist eine andere Art von Rüstzeug. Es ist die Art von Rüstzeug, von Ausrüstung und Zurüstung, die wir brauchen, um zu einer Persönlichkeit zu reifen. Wir wollen unsere gute Bildung, um die es uns geht, als das Rüstzeug bezeichnen, das uns Zukunft ermöglicht, das uns Türen öffnet und Wege weist und einen weiten Horizont macht. Junge Menschen sollen nicht nur ein gewisses Maß an Bildungsgut beständig wiedergeben können, sondern wir wollen sie ja vor allen Dingen zu mündigen Bürgern entwickeln. Wir wollen sie zu Menschen entwickeln, die eigene Fragen stellen und die im Stande sind, nach eigenen Antworten zu suchen. So bringt die Bildung nicht nur den Einzelnen, sondern die ganze Gesellschaft voran.

Oft klappt das in unserem Land gut, jungen Leuten dieses Rüstzeug mitzugeben. In Deutschland, so wissen diejenigen, die sich mit diesem Thema beschäftigen, erreichen mehr Menschen einen höheren Bildungsabschluss als in den meisten anderen Ländern der OECD, der Organisation für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung. Viele Jugendliche haben gute Chancen, nach der Schule eine Berufsausbildung zu beginnen oder ein Studium aufzunehmen und mit den erworbenen Kompetenzen dann auch eine Arbeitsstelle zu finden. Keine Frage: Das Land hat Potenzial, und es kann auch stolz darauf sein. Vieles also gelingt schon jetzt gut, nicht zuletzt, weil Erzieherinnen und Erzieher, Lehrerinnen und Lehrer sich so engagiert ihrer Aufgabe und den ihnen anvertrauten Kindern und Jugendlichen widmen, und auch weil Bürgerinnen und Bürger sich Tag für Tag engagieren, zum Beispiel als ehrenamtliche Mentoren oder Lesepaten.

Wir wissen aber gleichzeitig auch: Noch viel zu oft gelingt es eben nicht, gutes Rüstzeug weiterzugeben. Zwei Beispiele:

Auch wenn die Politik längst reagiert hat, verlässt noch jeder 20. Schüler in Deutschland die Schule ohne Abschluss. Hier hat es bedeutende Fortentwicklungen gegeben, gerade in den letzten Jahren. Das Thema Qualifizierung ist sehr stark in den Fokus gerückt worden und wir haben hier durchaus nicht nur leere Hände vorzuweisen. Aber es gilt gerade in einer Phase von Erfolgen, sich auch die Defizite klar zu machen und die Handlungsspielräume genau zu besichtigen, in denen wir noch mehr und noch aktiver uns einsetzen können.

Das zweite Beispiel: Schätzungsweise mehr als sieben Millionen Menschen in unserem Land können nicht oder nur unzureichend lesen. Wer nicht lesen kann, das wissen wir genau, dem bleibt eine Welt verschlossen und der Weg in die meisten Berufe versperrt. Und wer sich die Speisekarte im Restaurant, den Beipackzettel eines Medikaments oder den Handyvertrag gar nicht oder nur mit Mühe erschließen kann, der kann sein Leben nicht selbstbestimmt gestalten – und er hat Schwierigkeiten, sich mit seinen Mitmenschen zu verständigen.

Hinzu kommt noch etwas anderes, das mir sehr am Herzen liegt: Welchen Schulabschluss jemand schafft, das hängt nach wie vor noch sehr stark davon ab, aus welchen familiären Verhältnissen der junge Mensch kommt. Das ist im Hinblick auf den Einzelnen zutiefst ungerecht. Und wir können es uns als Gesellschaft nicht erlauben, dies einfach nur zu konstatieren. Denn wir brauchen qualifizierte Nachwuchskräfte, wenn wir unseren Wohlstand wahren wollen, überhaupt das ganze Niveau unseres Landes. Wir wollen ja beständig Wachstum und Arbeitsplätze schaffen, und wir müssen allen, die etwas leisten wollen, eine Perspektive bieten – nicht zuletzt auch, um so den Zusammenhalt in unserer Gesellschaft zu stärken.

Aus all diesen Gründen brauchen wir in Deutschland starke Schulen. Und ich will es mal zugespitzt formulieren: Starke Schulen sind besonders in den Bereichen wichtig, wo die Familien schwächeln, wo wir nicht die nötige Unterstützung für jedes Kind, jeden Jugendlichen in gleicher Weise schon im Herkunftsbereich haben. Wir brauchen also Menschen, die sich in unserer Bürgergesellschaft stark machen für Bildung.

Und die Sieger des diesjährigen Bundeswettbewerbs gehen hier mit gutem Beispiel voran. Sie zeigen, dass Unterricht auch in einem schwierigen Umfeld gelingen kann – und führen uns zugleich vor Augen, dass es kein Patentrezept gibt, das sich einfach auf jeden und jede Situation übertragen lässt. Starke Schulen zeichnen sich durch Vielfalt aus, dadurch, dass sie ihre Angebote möglichst passgenau auf die Schülerinnen und Schüler zuschneiden. Aber sie haben doch eines gemeinsam: Sie sind offene, lernende und lebendige Institutionen, die in ihren Stadtteil oder ihre Gemeinde eingebunden sind. Genau darauf kommt es heute an: auf das Miteinander von Lehrern, Schülern, Eltern und engagierten Partnern.

Was ich besonders wichtig finde, ist die Kooperation von Schulen und Unternehmen in der Region. Viele junge Leute fühlen sich nur unzureichend über ihre beruflichen Möglichkeiten informiert oder sie haben sogar Vorbehalte gegenüber bestimmten Branchen. Auch bei Unternehmern gibt es bisweilen Berührungsängste: Viele Ausbildungsbetriebe haben zum Beispiel noch keine Erfahrungen mit Jugendlichen aus Einwandererfamilien gemacht. Wir müssen deshalb dafür sorgen, dass Schüler und Unternehmer sich noch früher begegnen und kennenlernen können. So kann Vertrauen wachsen, und nur so können doch Vorurteile abgebaut werden, auf beiden Seiten.

Starke Schulen arbeiten nicht nur mit Partnern vor Ort zusammen, sie tauschen sich auch untereinander aus. In ihrem Netzwerk bieten sie Fortbildungen an und entwickeln neue Unterrichtsreihen. Auch das ist etwas, was wir brauchen: pädagogische Foren und Labore, in denen Neues ausprobiert wird und in denen die unterschiedlichen Ansätze und Lösungswege diskutiert werden. Denn die größte Gefahr, die einer Schule droht, ist die Erstarrung. Das heißt nicht, dass wir ständig alles neu erfinden müssen. Und wir müssen uns auch bewusst sein: Eine Reform, Reformen überhaupt, können nicht Selbstzweck sein. Aber wir brauchen doch immer wieder neue Impulse und Ideen, um gemeinsame Ziele zu erreichen: den Schülern die Mittel an die Hand zu geben, die sie brauchen, um ein selbstbestimmtes Leben zu führen, um Verantwortung für sich und andere zu übernehmen und um sich als aufgeklärte Bürger in unserer Demokratie zu engagieren.

Starke Schulen haben das erkannt. Sie ruhen sich nicht aus auf ihren Erfolgen. Ich bin beeindruckt von dem Klima der Kreativität, das in Ihren Klassen- und Lehrerzimmern herrscht. Ich weiß auch, dass Ihr Engagement oft mühsam und anstrengend ist, dass Enttäuschungen und Rückschläge nicht ausbleiben. All das ist mir bewusst. Mir ist auch bewusst, dass es nicht immer nur bürokratische Hemmnisse oder Hürden sind, die mancherorts zu überwinden sind. Oft fehlt eben auch etwas ganz Substantielles, nämlich Unterstützung und Interesse an Schulbildung im Elternhaus. Dann gilt es, wenig oder überhaupt nicht motivierte Jugendliche erst einmal zu motivieren und immer neu daran zu erinnern, dass sie in naher Zukunft selber für sich und andere Verantwortung übernehmen und für ihr Fortkommen aufkommen müssen. Nicht immer lässt sich im Schulalltag alles so umsetzen, wie es geplant war. Und gerade angesichts auch dieser Problemlagen danke ich Ihnen allen von Herzen, dass Sie sich nicht entmutigen lassen. Ich bin begeistert von Ihrer Initiative und Ihrer Tatkraft. Danke dafür! Und jetzt ich wünsche mir, dass Sie möglichst viele mit Ihrer Leidenschaft anstecken können, dass Sie die Erfolge, die Sie errungen haben, vorzeigen mögen und wollen und dass Sie damit andere anstecken.

Mein Dank gilt auch den starken Schulen draußen im Land, die heute hier bei uns nicht vertreten sind. Und er gilt den vielen Schulen, die sich auf den Weg gemacht haben, starke Schulen zu werden. Außerdem will ich nun denen danken, ohne die dieses ganze Unternehmen, dieser ganze enorme Fortschritt auf dem Sektor Bildung und Integration von Menschen, die sonst außen vor wären durch nicht vorhandene Bildung, ohne die dieses Unternehmen nicht möglich wäre. Das heißt, ich will denen danken, die die Unterstützer dieses Wettbewerbs sind: der Gemeinnützigen Hertie-Stiftung, der Bundesagentur für Arbeit, der Bundesvereinigung der Deutschen Arbeitgeberverbände und der Deutschen Bank Stiftung. Ohne sie würde es das Projekt Starke Schule so nicht geben. Danke dafür!

Jetzt aber möchte ich wieder dort in der ersten Reihe Platz nehmen und die Bühne frei machen für die Hauptfiguren, um die es heute geht und die wir besser kennenlernen wollen: Ich freue mich auf starke Schulen und starke Persönlichkeiten!