Ordensverleihung zum Tag des Ehrenamtes

Schwerpunktthema: Rede

Schloss Bellevue, , 4. Dezember 2015

Der Bundespräsident hat am 4. Dezember bei der Verleihung des Verdienstordens der Bundesrepublik Deutschland anlässlich des Tages des Ehrenamtes eine Rede gehalten: "Es geht um unseren Zusammenhalt, gerade in Zeiten des Wandels. Sie alle, liebe Ehrengäste, die sich gesellschaftlich engagieren, helfen diesen Zusammenhalt zu sichern. Sie sind es, die ein starkes und lebendiges Miteinander schaffen!"

Bundespräsident Joachim Gauck zeichnet Christina Vater mit dem Verdienstkreuz am Bande aus, die sich gegen Rechtsextremismus und Fremdenfeindlichkeit engagiert, bei der Ordensverleihung zum Tag des Ehrenamtes in Schloss Bellevue

Herzlich willkommen hier im Schloss Bellevue zu einer der besonderen Stunden, die Daniela Schadt und mich und alle Mitarbeiter meines Hauses immer ganz besonders erfreuen! Eben sind wir nicht nur von Johann Sebastian Bach begrüßt worden, sondern auch von vier Musikern. Professor Höppner vom deutschen Musikrat hat Frau Gergeba, Frau Hewecke und Herrn Stor mitgebracht. Und sie sind deshalb hier, weil sie allesamt auch ehrenamtlich aktiv sind. Sie, die Sie heute als Ehrenamtliche ausgezeichnet werden, sind also gerade von Ehrenamtlichen begrüßt worden.

Morgen ist Tag des Ehrenamtes. Da gibt es etwas zu feiern, und das wollen wir tun. Und zwar schon heute, gemeinsam mit Ihnen. Außergewöhnliches Engagement fällt auf, nicht immer, aber Gott sei Dank doch häufig. Heute ist es das außergewöhnliche Engagement von 26 Persönlichkeiten, das wir würdigen wollen. Sie sind hier zugleich stellvertretend für Millionen andere, denn das ganze Land ist durchzogen von einem Netzwerk der Guten. Das machen wir uns nicht immer klar. Wenn wir die Zeitung lesen oder andere Medien nutzen, dann sind es oft spektakuläre Ausfälle von Menschlichkeit, die unsere Aufmerksamkeit erregen. Aber ein spektakuläres Mehr an Menschlichkeit, Solidarität, Interesse für das Gemeinwohl, das kommt etwas seltener vor.

Bei mir sieht das anders aus. Ich treffe sehr viele solcher Menschen, die unsere Gesellschaft bereichern. Heute sind es sechzehn Frauen und zehn Männer, die das Land freundlicher, fürsorglicher, auch wachsamer, wärmer, lebendiger und leistungsfähiger machen. Und wir haben auch ein bisschen daran gearbeitet, dass die Mehrheit der Männer, die es traditionell in den Runden der Ausgezeichneten gab, mal gebrochen wird. Denn wenn wir uns umschauen im Lande: Wo ist denn die Mehrheit derer, die ehrenamtlich tätig sind? Das sind doch meistens Frauen. Bei den Auszeichnungslisten ist es dann oft anders. Wir haben uns hier im Bundespräsidialamt fest vorgenommen, daran ein bisschen zu arbeiten. Darum gibt es heute diese Verteilung, die ich eben erwähnt habe, und ich bin sicher, die Männer, die hier sind, haben dafür alles Verständnis der Welt.

Mit diesem Dasein für Andere – das ist inzwischen wohl fast jedem bekannt – bereichern wir das Land. Aber was wir oft übersehen: Wenn wir uns Anderen zuwenden, wenn wir uns in Beziehung setzen zu größeren Aufgaben als jenen, die wir alleine bewältigen können, und zu Themen und Menschen, die durch unser Mitwirken bereichert werden, dann werden eben auch wir bereichert. Deshalb sehen die Menschen, die ehrenamtlich aktiv sind, anders in das Leben hinein. Sie sehen in einer anderen Weise auch die Menschen. Manchmal erkennt man das an den Gesichtern der Menschen, aber in die Seelen hat es sich jedenfalls tief eingeprägt.

Wir begehen morgen den Internationalen Tag des Ehrenamtes, und wir wissen, dass wir anderswo auf der Welt Schwestern und Brüder haben – so sage ich das mal in einer christlichen Diktion – die mit uns unterwegs sind auf diesem mühsamen Pfad, die Welt ein bisschen besser zu machen. Das sind Menschen ganz unterschiedlicher ethnischer Herkunft, religiöser Herkunft und unterschiedlicher Hautfarbe. Sie alle miteinander schenken etwas, wovon wir gemeinsam etwas haben: tatkräftige Hilfe und Mitmenschlichkeit. Und wenn ich das Wort Mitmenschlichkeit erwähne, dann können wir in diesen Tagen und Wochen und künftigen Monaten gar nicht davon absehen, dass dieses Geschenk der Mitmenschlichkeit ja auch denen gilt, die wir bisher nicht kannten, die plötzlich bei uns sind, weil sie bei uns Zuflucht suchen.

Und ich mag mir jetzt im Moment gar nicht vorstellen, wie eigentlich das Land aussähe, wenn all die flüchtenden Menschen, die bei uns Asyl oder ein besseres Leben suchen, wenn sie dastünden ohne dass es Sie, die Freiwilligen, gäbe. Zwar sind wir einigermaßen vorbereitet, weil wir eine funktionierende Staatlichkeit haben, aber diese große Herausforderung ohne freiwilliges Engagement, unvorstellbar!

Sie zeigen Herz und leisten Hilfe, beides ist wichtig und wertvoll, damit wir den Zuzug bewältigen. Die Betreuung und Versorgung der Männer, Frauen und Kinder, sie ist nicht vorstellbar ohne Sie, die Helferinnen und Helfer. Sie spenden Trost, stärken und geben Zuversicht und Zutrauen. Sie organisieren Freizeitprojekte für Flüchtlingskinder, Sie arbeiten mit deren älteren Geschwistern, und Sie organisieren Begegnungen zwischen Flüchtlingsfamilien und Einheimischen. Menschen, die früher zugezogen sind, vielleicht vor zwanzig Jahren, kümmern sich nun um diejenigen, die jetzt kommen. Und Sie alle, die bei der Bewältigung des Flüchtlingszuzugs helfen, machen unsere Gesellschaft menschlicher.

Bei all unserem Engagement geht es darum, dass wir den Zusammenhalt in der Gesellschaft fördern. Diese gemeinsame Arbeit, Zusammenhalt in der Gesellschaft zu stiften und zu fördern, sie verbindet uns in unserem so unterschiedlichen ehrenamtlichen Engagement. Und für mich gehört die Erfahrung des beherzten und beharrlichen bürgerschaftlichen Engagements, das ich erlebe, zu den ganz besonders beglückenden Erfahrungen meines Amtes. Ich bin ja auch öfter im Ausland unterwegs, dann berichte ich, was Sie hier als Ehrenamtliche leisten. Und mancher von Ihnen, von unseren Ehrenamtlichen, ist ja auch im Ausland aktiv. Inspirierende Erfahrungen, wie sich Talente, Fähigkeiten und Kräfte für das Gemeinwohl nutzen lassen, die müssen wir teilen.

Und das geschieht auf unterschiedliche Weise. Manchmal ist so, dass ein bekannter Name oder ein bekanntes Gesicht Wirkungen entfalten, die dann Hilfswellen in Gang setzen und die andere zu Wohltaten motivieren. Nun kann nicht jeder ein bekanntes Gesicht anbieten. Aber wenn bekannte Gesichter Hilfe leisten und Solidarität zeigen, dann freuen wir uns darüber genau so wie über jedes Engagement von Menschen, die man nur in der näheren Umgebung kennt. Und wir wollen auch nicht unterscheiden oder werten, Naturschutz gegen soziales Engagement, kirchliches Engagement gegen Denkmalpflege. Bei uns gibt es da kein Ranking. Wir freuen uns über jede Art von Engagement

Was täten wir eigentlich ohne Helferinnen und Helfer, die unterwegs sind, wenn Katastrophen über die Menschheit kommen, auch außerhalb Deutschlands? Oder denken wir an die aufopferungsvolle Arbeit derjenigen, die hier im Land als Lebensretter arbeiten in Hilfsorganisationen wie dem Roten Kreuz oder der Deutschen Lebens-Rettungs-Gesellschaft.

Die Vielfalt des ehrenamtlichen Engagements ist es, die beeindruckt. Aber zuweilen scheint es mir, als stünden die großen, traditionellen Hilfsorganisationen mittlerweile manchmal im Schatten medienwirksamer Spontanaktionen, die dann im Fernsehen ganz zentral platziert werden. Ich will nun nicht eins gegen das andere ausspielen sondern wir brauchen beides! Dieses geduldige, beständige Engagement, das unsere Hilfsorganisationen leisten und dann auch das etwas spektakuläre Ereignis. Wir wissen, dass wir beim Helfen einen langen Atem brauchen und wir wissen, dass uns dabei auch manchmal neue Ideen nützlich sind. Es geht also nicht ohne Frauen und Männer wie Sie, die nicht müde werden und sich oft seit Jahrzehnten, sei es in der Kirchengemeinde, im Sozialverband, in den Vereinen oder in den Seelsorgeeinrichtungen engagieren.

Es klingt vielleicht etwas pathetisch, aber an einem Tag wie diesem soll das schon mal gestattet sein: Sie, liebe Ehrengäste, sind die Säulen unserer Bürgergesellschaft. Und dafür gilt Ihnen mein ausdrückliches und tiefes Dankeschön. Ich schließe in diesen Dank auch diejenigen ein, die als Kommunalpolitikerinnen und Kommunalpolitiker zu unserem Festkreis gehören. Sie spielen oft eine Schlüsselrolle bei der Gestaltung unseres Zusammenlebens, Sie sorgen für den sozialen Zusammenhalt. Die enormen Herausforderungen, die Sie dabei zu bewältigen haben, die lassen sich nun wahrlich nicht übersehen. Danke auch für diesen Einsatz!

So viel Schwung und Energie gerade auch bei jenen, die sich für Kinder und Jugendliche einsetzen, ob nun durch Hilfstransporte nach Litauen, durch Arbeitsprojekte mit Jugendlichen, im Sport oder durch gemeinsame Aktivitäten mit älteren Menschen. Was würde uns ohne die Fülle und Farbigkeit Ihres Engagements für junge Menschen fehlen! Ich mag mir das gar nicht vorstellen.

Gerade in Zeiten großer gesellschaftlicher Veränderungen brauchen wir auch die Auseinandersetzung mit unserer eigenen Geschichte. Und auch dafür zeichnen wir regelmäßig Menschen aus, damit nicht in Vergessenheit gerät, was nicht in Vergessenheit geraten darf. Manche von Ihnen haben den Bau von Gedenkstätten vorangetrieben. Andere widmen sich den Biographien von Opfern der nationalsozialistischen Herrschaft, wieder andere pflegen Kontakte mit jüdischen Gemeinden – so viele kluge Initiativen des Gedenkens, so viel Erinnerungsarbeit. Auch Ihnen: Danke!

Liebe Ehrengäste,

Sie alle bewegen etwas in unserem Land und für unser Land. Und wenn ich Ihnen nun gleich den Verdienstorden überreiche, dann ist das zwar einerseits eine nicht unübliche Amtshandlung des Bundespräsidenten. Andererseits aber sollen Sie wissen: Ihr Land sagt Ihnen gezielt und persönlich Dank. Ich bin sicher, Sie werden weiter Grenzen überwinden, weiter Brücken bauen, und Sie werden weiter Wege des Miteinanders ebnen.

Ich danke Ihnen.