Abendessen mit dem Stifterverband für die Deutsche Wissenschaft

Schwerpunktthema: Rede

Schloss Bellevue, , 18. Januar 2016

Der Bundespräsident hat am 18. Januar beim Abendessen mit dem Vorstand des Stifterverbandes für die Deutsche Wissenschaft eine Rede gehalten: "Von der Weiterentwicklung des Dualen Studiums wird sicher auch die Lehre profitieren. Mir jedenfalls scheint wenig dagegen zu sprechen, dass Studiengänge sich auch stärker an der beruflichen Praxis orientieren. Denn wir brauchen beide: Fachkräfte und Akademiker."

Bundespräsident Joachim Gauck hält eine Rede anlässlich des Empfangs des Stifterverbands Deutsche Wissenschaft im Langhanssaal in Schloss Bellevue

Es ist eine Freude, Sie hier zu sehen – und viele von Ihnen sehe ich ja wieder. Auch das ist mir eine Freude.

Ich liebe Dinge, die Zukunft versprechen. Und wenn ich Sie treffe, geht es immer um Ideen, um Projekte, um Vorhaben, die unserem Land nützen, die uns voranbringen. Und was ich ebenso schätze, ist, dass Menschen ihre eigene Form des Daseins als Gestalter definieren, als Verantwortliche. Und Sie wissen von mir, dass ich Verantwortung und unsere Verantwortungsfähigkeit als die schönste und angemessenste Form von Freiheit betrachte. Also gibt es gleich mehrere Gründe, warum ich mich über diese Begegnung an diesem Abend sehr freue.

Zudem kann ich bei einem Abend wie diesem die Formel vom lebenslangen Lernen auf mich selbst anwenden. Denn es ist mir bei jeder Begegnung gelungen, meinen Horizont noch ein bisschen zu erweitern, und das gedenke ich auch heute zu tun.

Wir wollen heute darüber sprechen, was Bildung und Ausbildung vermögen. Wir wollen uns den jüngsten Bildungsbericht der Organisation für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung ins Gedächtnis rufen. Dort steht, dass wir offenkundig nicht alles falsch gemacht haben. Frau Allmendinger, wir hören gerne, was Sie uns dazu später zu sagen haben. In den vergangenen Jahren war es ja so, dass der Bericht nicht gerade mit Kritik am deutschen Bildungssystem und an der deutschen Bildungspolitik gespart hat.

Doch in diesem Jahr scheint es etwas zu feiern zu geben, weitere erfolgreiche Schritte hin auf dem Weg zu einer Bildungsrepublik. Schritte, zu denen auch Ihr Stifterverband beigetragen hat. Und dieses Abendessen dürfen Sie dann auch als Ausdruck der Freude des Staatsoberhaupts darüber sehen, dass so etwas möglich ist, und auch als Zeichen der Verbundenheit mit Ihnen.

Deutschland, ich komme zurück auf den Bericht, kommt etwas besser weg als in den Jahren zuvor. Für mich sind das gute Nachrichten. Und die Wichtigste ist: In keinem der Vergleichsländer sind weniger Jugendliche ohne Arbeit und ohne Ausbildungsplatz. Das ist natürlich, angesichts der Situation in Europa, ein hohes Lob. Und es ist ein Grund zur Freude.

Gewiss, die guten Zahlen, sie sind auch Frucht einer guten Konjunkturlage. Aber es spricht aus ihnen zugleich eine klare politische Prioritätensetzung, die sich als richtig erwiesen hat. Wer einen Blick auf die Arbeitsmarktsituation in unseren Nachbarländern wirft, ist mit Recht erschrocken, wie sehr sich die Bilder unterscheiden. Sie, Frau Allmendinger werden uns in Ihrem Vortrag vielleicht die Besonderheiten des deutschen Systems, vielleicht auch seine Vorzüge, erläutern und ich hoffe, Sie können uns auch erklären, ob die duale Berufsausbildung noch immer der deutsche Bildungsexportschlager ist, als der er lange Zeit galt. Jedenfalls habe ich es so wahrgenommen. In Südamerika, in Asien, aber auch in europäischen Ländern, werde ich fast immer in den Gesprächen mit den Präsidenten auf diese deutsche Besonderheit unseres Bildungssystems angesprochen. Und es gibt ja auch große und mittelständische deutsche Unternehmen, die bei ihren Unternehmungen im Ausland versuchen, dort umzusetzen, was sie hier praktizieren. Ich besuche diese Betriebe immer gerne, auch, um zu zeigen, dass mir das am Herzen liegt.

Zudem müssen wir uns fragen, ob wir vielleicht zu lange darauf insistiert haben, dass wir mehr Akademiker brauchen. Offenkundig geraten wir bei der Rekrutierung von Fachkräften und Auszubildenden ein bisschen in die Bredouille. Ich glaube, das ist nicht nur in Ostdeutschland so. Dort ist es aber ganz besonders so, wie wir einer Studie der Bertelsmann Stiftung entnehmen können. Offenkundig verliert dort die Berufsausbildung an Boden, auf die ja in der DDR besonders viel Wert gelegt wurde. Sie wissen, dass ich aus dem Osten komme. Die Berufsausbildung, die Berufsschulen und die Betriebe, das war ein ganz fester Bestandteil des Ausbildungs- und Berufslebens und das ist für mich schon sehr ärgerlich zu sehen, wie gerade im Osten die Schülerzahlen zurück gehen und damit eben auch fast automatisch die Zahl der Ausbildungsplätze. Dann fehlen natürlich auch im Osten die potenten Unternehmen, die die nötige wirtschaftliche Stärke haben und damit auch das Engagement, um die Berufsausbildung der jungen Leute mitzutragen.

Ich will an dieser Stelle gerne einfügen, dass daran niemand Schuld hat, der jetzt Verantwortung trägt. Stellen Sie sich das Land Sachsen ohne vorherige DDR vor. Sachsen hätte vielleicht dieselbe Struktur wie Baden-Württemberg. In allen möglichen kleinen Orten gäbe es kleine interessante Betriebe, große Handwerksbetriebe, kleine Mittelständler, größere Mittelständler, gute Verbindungen zur Forschung in Dresden und Jena. Das System der dualen Berufsausbildung würde natürlich auch dort viel besser funktionieren, wenn wir diese Betriebe, diese Strukturen noch hätten, die in der DDR kaputt gemacht worden sind. Es zeigt sich, dass ein Eingreifen aus ideologischen Gründen immer auch mit Verlusten einhergeht, nicht nur mit wirtschaftlichen, sondern auch mit kulturellen und politischen. Um zum eigentlichen Thema, der akademischen Bildung, zurückzukommen: Eine Situation, in der die Hörsäle sich füllen, aber nur um den Preis, dass die Werkbänke sich leeren, scheint mir nicht erstrebenswert.

Die alte Forderung der Organisation für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung, Deutschland solle mehr Akademiker ausbilden, ist ja bereits erfüllt. 2013 schon gab es mehr Studienanfänger als neue Auszubildende. Ist das der Anfang einer Überakademisierung? Dazu möchte ich nachher gerne mehr hören. Ich bin gespannt auf Ihre Analysen und Ihre Einwände Frau Professorin Allmendinger. Und ich bin mir sicher, dass Sie hier in diesem Kreis auf offene Ohren treffen werden. Wenn ich das Schwerpunktthema richtig verstehe, das sich der Stifterverband für das nun beginnende Jahr gesetzt hat, dann soll es eben darum gehen, wie man berufliche und akademische Bildung besser miteinander verschränken kann.

Eine vernünftige Idee, wie mir scheint. Ich habe gelesen, dass schon heute 22 Prozent der Studienanfänger eine Ausbildung hinter sich haben, und das hat mich doch überrascht. Man sieht, dass wir nicht von zwei absolut getrennten Welten sprechen, sondern dass es uns auch darum gehen muss, diese Elemente, die beide für sich ihren Wert haben, miteinander zu verschränken. Von der Weiterentwicklung des Dualen Studiums wird sicher auch die Lehre profitieren. Mir jedenfalls scheint wenig dagegen zu sprechen, dass Studiengänge sich auch stärker an der beruflichen Praxis orientieren.

Denn wir brauchen beide: Fachkräfte und Akademiker. Allein die Zahl der Studienanfänger wird bis 2020 aufgrund der demographischen Entwicklung um rund zwanzig Prozent zurückgehen. Deshalb wird wichtig sein, dass unser Bildungssystem sich Einwanderern und Flüchtlingen noch weiter öffnet und dass wir uns in Kommunen und Betrieben für die sprachliche und berufliche Integration von Zuwanderern stark machen.

Wir zusammen heißt, glaube ich, die neue Integrationsinitiative von Seiten der Wirtschaft, über die ich heute zum ersten Mal gehört habe. Ich habe mir aber auch vorher schon, unter anderem durch einen Besuch bei der Deutschen Industrie- und Handelskammer Köln, solche Initiativen angeschaut, wo Kommunen und Unternehmen oder Kammern sich diesem Bereich gemeinsam zuwenden, um hier Engpässen entgegen zu steuern. Ich finde das ebenso wichtig wie die Tatsache, dass wir auch immer wieder Initiativen brauchen, die denen, die beim ersten Anlauf in eine berufliche Ausbildung gescheitert sind, eine zweite oder eben auch eine dritte Chance eröffnen. Es geht darum, mit viel Geduld Potenziale abzurufen, die doch in vielen Menschen zu entdecken sind, die beim ersten Anlauf gescheitert sind.

Aber nun habe ich lange genug geredet. Ich habe mit der Freude über unsere Begegnung begonnen. Diese Freude wird anhalten, da bin ich mir ganz sicher. Und jetzt freue ich mich auf all das, was wir miteinander lernen können, worüber wir uns unterhalten und uns vielleicht auch streiten können und ganz nebenbei gibt es auch wieder anständiges Essen.