Soiree "Deutschland tanzt" zur Würdigung des Tanzes

Schwerpunktthema: Rede

Schloss Bellevue, , 19. Februar 2016

Bundespräsident Joachim Gauck hat am 19. Februar bei der Soiree "Deutschland tanzt" zur Würdigung des Tanzes eine Ansprache in Schloss Bellevue gehalten: "Tanz ist oft, von seinen Ursprüngen bis heute, regelgeleitete Regelverletzung. Ich freue mich darüber, dass heute Abend – endlich einmal – der Tanz als eine ganz besondere und als eine ganz besonders tief im menschlichen Dasein begründete Kunstform hier im Schloss Bellevue gewürdigt werden kann."

Bundespräsident Joachim Gauck bei einer Tanzaufführung anlässlich der Soiree 'Deutschland tanzt" zur Würdigung des Tanzes im Großen Saal von Schloss Bellevue

Ein legendärer Moment in der Filmgeschichte ist es, wenn in 2001 – Odyssee im Weltraum zum ersten Mal eine Raumstation ins Bild kommt, die um die Erde kreist. Und in diesem Augenblick erklingen Töne, es sind die ersten Takte aus dem Walzer An der schönen blauen Donau von Johann Strauß. Eine wunderbare Idee des Regisseurs Stanley Kubrick.

Und dieser Walzer wird dann in voller Länge gespielt – und immer zu Bildern von umeinander kreisenden Raumschiffen, von Menschen, die sich in der Schwerelosigkeit bewegen, von Planeten, die um die Sonne kreisen und von fernen Sternbildern, die sich um sich selber und umeinander drehen. Das ganze Weltall: ein Wiener Walzer. Die Bahnen der Sterne und Planeten, die ganze Schöpfung: ein universaler Tanz.

Dass Tanz eine kosmische Ordnung spiegeln kann, die dem Menschen vorgegeben ist, eine Ordnung, die in Musik und Bewegung erfahren und zum Ausdruck gebracht wird – das scheint eine sehr frühe ästhetische und auch spirituelle Erfahrung der Menschheit zu sein.

Das zeigen auf jeden Fall manche Völker und Stämme, die in ihrer Abgeschiedenheit noch sehr frühe menschliche Traditionen bewahrt haben; sie alle kennen den Tanz: meist sehr komplex, von kultisch-ritueller Bedeutung, und immer in Spannung zwischen präzisen, überlieferten Regeln einerseits und einer ekstatischen Überschreitung des Regulären auf der anderen Seite. Philosophisch ausgedrückt: Tanz ist oft, von seinen Ursprüngen bis heute, regelgeleitete Regelverletzung.

Ich freue mich darüber, dass heute Abend – endlich einmal – der Tanz als eine ganz besondere und als eine ganz besonders tief im menschlichen Dasein begründete Kunstform hier im Schloss Bellevue gewürdigt werden kann. Ich tue das gerne.

Deutschland, so habe ich gelernt, ist ein Tanzland – das war mir irgendwie aus der Vergangenheit klar, aber ich habe mich in den vergangenen Jahren, ehrlich gesagt, wenig darum gekümmert. Nun habe ich bei der Vorbereitung dieses Abends eine Menge dazugelernt. In diesem Jahr soll ja besonders deutlich werden, welch große Wertschätzung der Tanz als Kunstform hier in Deutschland erfährt. Nicht weniger als drei wichtige internationale Zusammenkünfte finden in diesem Tanzjahr 2016 hier bei uns in Deutschland statt: Da ist die Tanzplattform Deutschland in Frankfurt am Main, der Tanzkongress in Hannover und die Internationale Tanzmesse Nordrhein-Westfalen in Düsseldorf.

Tanzland Deutschland: Es gibt nicht nur die vielen, mir aus meiner Jugendzeit noch erinnerlichen, unentbehrlichen Tanzschulen – über das ganze Land verstreut. Nicht jeder hat die besten Erinnerungen daran, das weiß ich wohl; damals waren die meisten von uns pubertär und unsicher, jedenfalls die männlichen jungen Menschen waren das in der Regel, einige weibliche Wesen waren schon unglaublich souverän und hoheitsvoll. Aber das vertiefen wir jetzt nicht. Jedenfalls war es für viele von uns nicht einfach, dann die ersten Tanzschritte zu begreifen.

Mit Tanz haben also auch diejenigen zu tun, und zwar in der Regel gerne, die nicht von Berufs wegen tanzen.

Denken wir aber auch an die vielen professionellen Tanzkompagnien, Tanztheater, Ballettschulen bis hin zu Revuetheatern – hier in Berlin haben wir den Friedrichstadtpalast – und das Deutsche Fernsehballett, das ja unter großer Anteilnahme des Publikums gerettet wurde.

Vor allem aber gibt es in unserem Land eine große Begeisterung für das eigene Tanzen, und diese Begeisterung äußert sich in verschiedenen Zeiten immer wieder in neuen Formen:

- Es gibt immer noch den Volkstanz, nicht gerade in Berlin, aber wenn die Berliner zum Beispiel in Bayern im Urlaub sind, dann sehen sie das gern: dort ist Volkstanz nämlich quicklebendig.

- Aus meinen jüngeren Jahren im Osten erinnere ich mich an die Entdeckung der Western- und Country-Tänze. Diese Szene gibt es immer noch, und sie ist gerade in den neuen Ländern ungemein lebendig.

- Seit langem und immer wieder neu attraktiv sind Tango- oder Salsa-Kurse,

- und natürlich tanzt man immer noch und immer wieder Disco, dessen Ursprünge zum Teil in München liegen.

- Und bei den Jüngeren, es gibt ja immer wieder auch etwas Neues, gibt’s Break-Dance und Hip-Hop.

Weltweit wird getanzt – und doch hat mancher Tanz eine durchaus regionale Herkunft: So wie der Walzer zu Wien gehört und der Tango zu Argentinien, so sind doch daraus irgendwann weltweite Bewegungen geworden.

Weltkultur ist, so gesehen, immer auch Welttanzkultur.

Das Tolle beim Tanzen ist: Tanzen kann jeder – jedenfalls wenn er sich traut. Tanzen kann jede mit jedem und jeder mit jeder, übrigens auch jede mit jeder und jeder mit jedem.

Ich habe mich auch gefreut, dass es inzwischen schulübergreifende Projekte gibt, Chance Tanz, die das Tanzen für alle fördern. Ja: Tanzen ist etwas für jedes Lebensalter, vom Kindergarten-Ringelpiez bis hin zum Senioren-Tanztee. Bei letzterem übrigens gilt zum Teil Rock’n’Roll als veraltet: Die mobilen Senioren wollen dann wenigstens jedenfalls Beatles, Stones oder Led Zeppelin.

Heute Abend nun aber widmen wir uns dem Tanz als Kunstform. Und ich freue mich sehr, dass wir – zusammen mit dem Dachverband Tanz, dem Bayerischen Staatsballett und dem Staatsballett Berlin – hier eine exquisite Auswahl von künstlerischen Tanztheatergruppen versammelt haben. Also dieser Abend soll uns einen kleinen Einblick in eine große Szene erlauben. Wie gesagt: Das hat es hier noch nie gegeben.

In Deutschland waren und sind weltberühmte Tanzkompagnien und weltberühmte Choreographen und Tänzer zu Hause. Ich erinnere an Pina Bausch und John Cranko, ich denke an John Neumeier, der heute Abend hier ist, Márcia Haydée, Polina Semionowa, William Forsythe: Diese Namen allein schon machen deutlich, wie international und wie großartig die Tanzkunst hier bei uns aufgestellt ist. Ich habe mir sagen lassen, dass im Staatsballett Berlin 80 Mitglieder aus 28 Nationen tanzen. Das ist ein schönes, gelungenes Integrationsprojekt. Und Christiane Theobald, die ich herzlich begrüße, die Moderatorin des heutigen Abends, sie wird uns dazu vielleicht gleich noch mehr sagen.

Vielleicht kann man sagen: Die älteste und schönste Weltsprache, die es gibt, ist der Tanz.

Dafür allerdings, dass der Tanz eine wortlose Kunst ist, habe ich schon fast zu viele Worte gesagt. Aber ich will noch mit einer Abschlusspirouette enden, und die hat mit Tanz, aber auch mit einer anderen Kunstform, dem Film, zu tun – wir haben ja gerade Filmfestspiele:

Und zwar möchte ich zum Schluss erinnern an den ersten deutschen Musik-Film, die UFA-Produktion Der Kongreß tanzt von 1931. Dieser Film bestach vor allem durch eine lange, von immer neuen Kameras eingefangene Sequenz, die so etwas wie eine Verklärung des Tanzes darstellt:

Die unvergessliche Lilian Harvey fährt ganz allein, aber frisch verliebt, überglücklich strahlend und winkend in einer zweispännigen, offenen Kutsche – erst durch die Stadt, dann übers Land, immer wieder an singenden und winkenden und tanzenden Menschen vorbei, und erreicht dann die von ihrem Verehrer versprochene Villa. Aus dem Fenster schaut sie wieder auf ausgelassen tanzende Menschen; und endlich beginnt sie, vor lauter Glück und Verliebtheit, selber zu tanzen und lässt sich schließlich, mit dem denkbar seligsten Gesichtsausdruck und mit ausgebreiteten Armen, rücklings auf ein Himmelbett fallen.

Selten ist in einem Kunstwerk das so schwer erreichbare, das eigentlich unsichtbare, weil doch ganz und gar innerliche: das Glück selber nämlich, so ausdrücklich in bewegte und bewegende Bildsprache gefasst worden. Über sieben Minuten lang singt Lilian Harvey dazu ein nicht enden wollendes Tanzlied des Glücks – und die Worte dazu gehen so:

Das gibt's nur einmal,
das kommt nicht wieder,
das ist zu schön, um wahr zu sein.
So wie ein Wunder
fällt auf uns nieder:
vom Paradies ein gold'ner Schein.
Das gibt's nur einmal
das kommt nicht wieder,
das ist vielleicht nur Träumerei.
Das kann das Leben
nur einmal geben,
vielleicht ist's morgen schon vorbei.

Tanzen gehört seit jeher und für immer zum Menschen. Aber jeder einzelne neue Tanz ist einmalig und unwiederholbar.

Und jetzt geht es gleich los.