Schulwettbewerb zur Entwicklungspolitik

Schwerpunktthema: Rede

Schloss Bellevue, , 14. Juni 2016

Bundespräsident Joachim Gauck hat am 14. Juni bei der Preisverleihung des Schulwettbewerbs des Bundespräsidenten zur Entwicklungspolitik eine Ansprache gehalten: "Liebe Schülerinnen und Schüler, was für Erwachsene gilt, das gilt auch für Euch: Unsere Welt braucht keine Vereinfacher. Unsere Welt braucht vor allen Dingen keine Phrasendrescher. Unsere Welt braucht Menschen, die mit der Vielfalt, der Komplexität und auch mit den Widersprüchen, die es im Leben gibt, umzugehen lernen."

Bundespräsident Joachim Gauck hält eine Ansprache bei der Preisverleihung des Schulwettbewerbs des Bundespräsidenten zur Entwicklungspolitik im Großen Saal in Schloss Bellevue

Alle für EINE WELT – EINE WELT für Alle. Wer Zeitung liest oder abends Nachrichten schaut, der weiß natürlich: Dieser schöne Titel unseres Schulwettbewerbs beschreibt einen Wunsch, leider keine Wirklichkeit. Aber sollen wir die Hoffnung deshalb aufgeben? Natürlich nicht! Und der beste Beweis dafür, dass man die Hoffnung nicht aufgeben kann und darf, das seid Ihr, liebe Teilnehmer!

Ihr interessiert Euch für mehr als nur für Euer eigenes Leben. Manche von Euch wollen wissen, unter welchen Bedingungen der Kakao angebaut wird, der für Eure Schokolade verwendet wird. Andere wollen verstehen, warum das Wasser in einigen Ländern so knapp ist oder warum Menschen im Missbrauch ihrer Religion Kriege führen. Ihr stellt sehr kluge Fragen – Fragen, auf die wohl die meisten Eltern oder Nachbarn spontan gar keine Antwort geben könnten. Zum Glück aber habt Ihr Lehrerinnen und Lehrer gefunden, die Euch unterstützen, Antworten zu finden. Und deshalb gilt mein besonderer Gruß den Lehrerinnen und Lehrern, die diese Arbeit mit Euch machen.

So sind wunderbare Projekte entstanden. Einige davon können wir heute auszeichnen. Ihr habt eine Menge gelesen, geschrieben und gezeichnet, ihr habt gebastelt, geschneidert oder fotografiert. Manche haben Brettspiele erfunden oder Theaterstücke aufgeführt. Und was mir besonders gefällt: In all Eurem Tun habt Ihr nicht bloß Probleme beklagt, wie es Erwachsene oft tun, wenn ihnen eine Aufgabe weit größer vorkommt als das, was sie selbst zu tun vermögen. Sondern Ihr habt im Kleinen bewiesen, dass jede und jeder etwas tun kann: sei es in der eigenen Schülermensa Lebensmittel zu verkaufen, die ein Fair-Trade-Siegel tragen, oder sei es, Zahnärzte zu unterstützen, die in Mosambik Arbeitsmaterial und Medikamente brauchen.

Und was mich besonders freut: Das diesjährige Motto Vielfalt habt ihr tausendmal vielfältiger verstanden als die Jury – der ich auch herzlich danke – sich das je hätte träumen lassen. Eure Beiträge beginnen beim toleranten Miteinander auf dem Schulhof und reichen bis zur größten Menschheitsaufgabe, der Frage nämlich, wie Frieden, Freiheit und Menschenrechte weltweit herzustellen und zu sichern sind. Kein Thema war Euch zu schwierig. Und offenbar auch Euren Lehrerinnen und Lehrern nicht. Das ist keineswegs selbstverständlich.

Ihnen, meine Damen und Herren, deshalb noch einmal mein ganz besonderer Dank. Den will ich mal erweitern über diesen Wettbewerb hinaus. Denn was wäre eigentlich unser Land ohne die vielen engagierten Lehrerinnen und Lehrer? Das frage ich mich manchmal. Man kann es sich ja auch als Lehrer ein bisschen bequemer machen und kann seine Standard-Schulstunden durchziehen, Religion oder Sozialkunde nach Schema F abhandeln. Man hat die Beispiele schon in der Mappe und braucht alles nur noch einmal aufzuschlagen. Dagegen ist es durchaus aufwändig und aufreibend, sich nah am Tagesgeschehen etwa mit Kindersoldaten im Kongo oder Frauenrechten in Afghanistan zu befassen. Nicht einmal die große Politik hat für jede aktuelle Fragestellung befriedigende Antworten parat. Wie sollte allein ein Schulbuch das haben? Es gehört Mut dazu, sich Fragen zuzuwenden, auf die wir noch keine endgültige Antwort kennen.

Umso wichtiger sind Hilfen wie der Orientierungsrahmen Globale Entwicklung, der den Schulen methodische Hinweise gibt. Und umso wichtiger sind also Pädagogen, Kooperationspartner und eine Zivil-gesellschaft, wobei Kultur, Medien und Verlage, auch die Wirtschaft, und dann die Entwicklungspolitik zusammenwirken. Und dieses Zusammenwirken wird dann auch an der Schule sichtbar. So viele Menschen arbeiten daran, die Qualität der Bildung bei diesem Thema trotz aller Schwierigkeiten zu verbessern. Ihnen allen danke ich an dieser Stelle ganz, ganz herzlich!

Liebe Schülerinnen und Schüler, was für Erwachsene gilt, das gilt auch für Euch: Unsere Welt braucht keine Vereinfacher. Unsere Welt braucht vor allen Dingen keine Phrasendrescher. Unsere Welt braucht Menschen, die mit der Vielfalt, der Komplexität und auch mit den Widersprüchen, die es im Leben gibt, umzugehen lernen. Dazu gehört das Eingeständnis, dass Vielfalt nicht immer leicht ist. Im Gegenteil: Vielfalt verlangt uns manchmal eine Menge ab. Das spürt man bei Euren Wettbewerbsbeiträgen, etwa der Projektwoche für Toleranz, die Grundschüler in Wiesbaden durchgeführt haben. Und das spürt man auch beim Umgang mit den Themen Flucht und Asyl, die vor allem die Älteren unter Euch bearbeiten wollten.

Ihr habt dabei viel recherchiert und habt oft nachgehakt. Und Ihr habt festgestellt: Ja, es stimmt, auch Deutsche waren einmal, und das war vor gar nicht so langer Zeit, selber Flüchtlinge – millionenfach sogar –, das war nach Krieg. Und dann gab es Flüchtlinge noch vor der Einheit Deutschlands, vor 1990, als zehntausende von Menschen aus der DDR, dem Osten Deutschlands, weggegangen und in den Westen geflüchtet sind. Und ja, es stimmt auch: Wer sich die Balkanroute anschaut, die die Flüchtlinge jüngst meistens genutzt haben, der wird dort nicht nur mit Schicksalen von armen Menschen aus Syrien und Eritrea konfrontiert; er trifft dort auch auf unangenehme Dinge, wie die Gier der Menschen, die mit dem Elend anderer Menschen Geschäfte machen. Und schließlich, ja, es stimmt, wer nach den Fluchtursachen fragt, der muss besonders oft feststellen: Es gibt keine einfachen Antworten, so wie es keine einfachen Lösungen für die großen Herausforderungen unserer Zeit gibt.

Am wichtigsten ist mir, dass Ihr – die junge Generation – Euch deshalb nicht wegduckt. Die schiere Größe der Aufgabe darf uns niemals eine Entschuldigung für Nichtstun sein. Einfach zu resignieren, den Kopf wegzudrehen, ist keine Lösung, weder in der Schule noch in der Entwicklungspolitik oder in der Politik überhaupt. Andre Fischer, 17 Jahre jung, vom Schiller-Gymnasium Münster, hat ein Wettbewerbslied aus seinem Kopf hervorgezaubert, darin heißt es: Macht Eure Augen auf! Und er hat sehr eingängig beschrieben, wie er die Rolle der Jugend in der EINEN WELT versteht. Ich zitiere eine Zeile, die wir gleich von ihm hören werden: Wir sind nicht das Feuer, das zu Asche verbrennt. Wir sind das, was sich Leben nennt.

Ja, genau das seid Ihr, liebe Schülerinnen und Schüler, Ihr seid das Leben, Ihr seid die Zukunft. Deshalb bewahrt Euch Eure Offenheit und Euer Interesse an den großen Fragen, die diese Welt bewegen. Und eins noch: Egal, welchen Preis Ihr heute bekommt – Ihr seid das Wichtigste in diesem Wettbewerb. Ich danke Euch!