Empfang für Stipendiaten der Alexander von Humboldt-Stiftung

Schwerpunktthema: Rede

Schloss Bellevue, , 7. Juli 2016

Der Bundespräsident hat am 7. Juli beim Empfang für Stipendiaten und Forschungspreisträger der Alexander von Humboldt-Stiftung eine Rede gehalten: "Die Alexander von Humboldt-Stiftung hat sich große Verdienste darum erworben, der Verwirklichung eines Traumes näher zu kommen, des Traumes ihres Namensgebers von einer weltweit miteinander verbundenen, interdisziplinären und interkulturellen Wissenschaft. "

Bundespräsident Joachim Gauck hält eine Ansprache beim Empfang für Stipendiatinnen und Stipendiaten und Forschungspreisträger der Alexander von Humboldt-Stiftung im Park von Schloss Bellevue

Ich habe den tollen Einfall, die ganze materielle Welt, alles, was wir heute von den Erscheinungen der Himmelsräume und des Erdenlebens, von den Nebelsternen bis zur Geographie der Moose auf den Granitfelsen, wissen, alles in einem Werke darzustellen, schrieb Alexander von Humboldt im Oktober 1834.

Die ganze materielle Welt darzustellen: Das ist ein großer, ein umfassender, ein wahrhaft enzyklopädischer Anspruch. Dass Alexander von Humboldt sich in seinem Wissensdrang mit nichts weniger als dem großen Ganzen zufrieden gab und dabei auch höchste Ansprüche an sich selber stellte, das verbindet ihn mit Ihnen, mit der Familie der Humboldtianer, die heute seinen Namen tragen. Dass Sie sich hier heute versammelt haben, freut mich sehr. Seien Sie herzlich willkommen.

Alles Große und Wichtige, das Wissen der Welt, wollte Humboldt zusammentragen und in sein großes Spätwerk, den Kosmos, einfließen lassen. Als er sich die Arbeit machte, war er 65 Jahre alt, als er beim fünften, unvollendet gebliebenen Band angekommen war, da war er 90 Jahre alt. Die Idee zu seinem Kosmos war ihm aber schon mit 27 Jahren gekommen, als er in einem Alter war wie viele von Ihnen, liebe Stipendiatinnen und Stipendiaten. Mir scheint, dieses Werk, dieses Vorhaben, enthält den Kern dessen, was Alexander von Humboldt ausmachte, als Person wie als Wissenschaftler.

Er wollte sich Wissen nicht nur aneignen, um es zwischen zwei Buchdeckeln zu bewahren, er wollte es teilen, vermitteln, fruchtbar machen. Noch heute, gut 150 Jahre später, da wir alle Computer im Hosentaschenformat besitzen, die mehr Wissen speichern als zehn Universalgelehrte in einem Leben zusammentragen könnten, heute scheint uns der Gedanke noch immer tollkühn, das Wissen der ganzen Welt in dieser Weise zu bündeln. Deshalb faszinieren das Leben und das Werk Alexander von Humboldts uns, weil er vieles vorausdachte, was uns heute beschäftigt.

Ein Humboldt-Kenner, Ottmar Ette, der gestern zur Eröffnung Ihrer Jahrestagung sprach, nennt ihn einen wissenschaftlichen Vordenker des Netzzeitalters und der Globalisierung. Humboldt sah sich als Vermittler, als Kommunikator zwischen Personen, zwischen Disziplinen und auch zwischen Kontinenten. Mehr als 30.000 Briefe, die er an Kollegen in alle Herren Länder schrieb, zeugen von dieser frühen weltweiten Vernetzung von Wissen und Wissenschaft.

Und jede und jeder von Ihnen zeugt davon, liebe Stipendiaten, liebe Forschungspreisträger und Preisträgerinnen, dass das weltumspannende Werk Alexander von Humboldts ein fortdauerndes Projekt ist, work in progress, im wahrsten Sinne. Er, der übrigens einst hier in diesem Schloss zu Gast war, ist deshalb heute gleichsam unter uns, in diesem herrlichen Park, an diesem schönen Tag und Sie wandeln also auch auf seinen Spuren.

Der jährliche Besuch der Humboldtianer ist eine gute Tradition geworden und übrigens seit 1955 ein fester Termin im Kalender eines jeden Bundespräsidenten. Das war damals in Bonn so, als das die Hauptstadt der Bundesrepublik Deutschland war, und das ist in Berlin so geblieben. Die Zahl derer, die den Bundespräsidenten besuchen, ist allerdings inzwischen erheblich angewachsen, Professor Schwarz. Wir haben ja auch noch ein wenig Platz, im Park von Schloss Bellevue. Der nächste Bundespräsident wird sich genauso über Ihren Besuch freuen. Das ganze Land freut sich, meine Damen und Herren, dass Sie mit unseren Wissenschaftlern und Wissenschaftlerinnen, mit unseren Universitäten in Kontakt stehen. Deutschland ist ein Land der Wissenschaft und der Forschung. Und wenn wir es mal vergessen sollten, dann werden Sie uns daran erinnern, dass wir genügend Geld und Manpower aufbringen, um diesen wichtigen Zweig der Existenz Deutschlands weiter zu fördern.

Viele von Ihnen haben lange Wege zurückgelegt. Und auch wenn wir uns klar machen, dass die langen Reisen heute nicht mehr so beschwerlich sind, wie zu Humboldts Zeiten, so bleibt es doch zeitraubend, trotz aller Beschleunigung. Mir scheint, da ähnelt das Reisen dem Forschen. Um ans Ziel zu gelangen, müssen wir manchmal lange, sehr lange Wege gehen, wir müssen Irrwege erkennen und wir müssen Hindernisse überwinden.

Für Alexander von Humboldt gehörte beides, Reisen und Forschen, zusammen. Das hatte Konsequenzen für sein Denken: Letztgültige Antworten gab es für ihn nicht. Wissenschaft wird und muss fortwährend fragen.

Die Entwicklung gibt ihm Recht. Unser Wissen wächst und verändert sich. Forscher gehen neue Wege, verwerfen alte Erkenntnisse und alte Methoden. Die Wissenschaft ist, wie das Leben selbst, ständig und weltumspannend in Bewegung.

Ein Bundespräsident genießt das Privileg, von hervorragenden Wissenschaftlern wie Ihnen über diese Bewegungen auf dem Laufenden gehalten zu werden. Vor einem Monat stand hier auf dieser Rasenfläche eine kleine Zeltstadt. Da hatten wir hier die Woche der Umwelt und es begegneten sich Wissenschaftler, Wirtschaftsvertreter, Politiker, Journalisten, Menschen aus der Zivilgesellschaft, um sich auszutauschen über Klimaschutz, Biodiversität, Mobilität und neue umweltfreundlichere Technologien.

Gemeinsam an Problemlösungen zu arbeiten, sich auszutauschen, Beziehungen zu knüpfen, zu networken, wie es neudeutsch heißt, das ist ja keineswegs eine Erfindung der Moderne. Schon Humboldt sah in globalisierten Wissens-, Denk- und Kommunikationsformen die ideale Voraussetzung für wissenschaftliches Arbeiten. Heute ist globale Vernetzung des Wissens und der Wissenschaft zu einer Notwendigkeit geworden, das wissen Sie besser als ich. Anders sind unsere globalen Probleme, wie etwa der Klimawandel, nicht zu bewältigen.

Lieber Herr Professor Schwarz,

liebe Gäste,

die Alexander von Humboldt-Stiftung hat sich große Verdienste darum erworben, der Verwirklichung eines Traumes näher zu kommen, des Traumes ihres Namensgebers von einer weltweit miteinander verbundenen, interdisziplinären und interkulturellen Wissenschaft. Wenn ich mich in dieser Runde umschaue, finde ich, dass Sie alle der beste Beweis dafür sind, dass das gelingen kann.

Und jetzt freue ich mich auf die Begegnung mit Ihnen.