Kulturabend "Heimat? Melodien, Orte, Emotionen"

Schwerpunktthema: Rede

Villa Hammerschmidt, , 1. September 2016

Bundespräsident Joachim Gauck hat am 1. September bei der musikalischen Veranstaltung "Heimat? Melodien, Orte, Emotionen" eine Ansprache gehalten: "Musik verbindet uns eben auch immer mit unseren Erinnerungen, mit unserer Vergangenheit. Sie ist ein wahrer Erinnerungsspeicher. Sie hilft uns auszudrücken, was wir manchmal mit Worten nicht ausreichend ausdrücken können, wo wir Heimat gefunden haben und was sie uns bedeutet."

Bundespräsident Joachim Gauck hält eine Rede bei der musikalischen Veranstaltung "Heimat? Melodien, Orte, Emotionen" in der Villa Hammerschmidt in Bonn

Heimat steht als Titel über unserem heutigen Abend – ein Begriff, über den seit langem und besonders in Deutschland mit Wonne gestritten wird. Die einen meinen, Heimat sei kein Gegenstand des Empfindens, gar der Liebe, sondern der Tümelei. Sie sehen sich schon beim Nachdenken darüber von Trachtengruppen umstellt. Andere betreiben dieses Nachdenken mit so großer Ernsthaftigkeit, dass sie darüber in deutsches Raunen geraten.

Was wir unter Heimat verstehen, ist nicht ohne weiteres in andere Sprachen und Kulturen zu übersetzen. Unsere nächsten europäischen Nachbarn machen sich ihren ganz eigenen Reim auf motherland, homeland, patria oder la patrie.

Heimat ist ein ebenso schöner wie schwer zu fassender Begriff. Manchem ist es aber doch gelungen. Heimat, erklärt uns Max Frisch, entstehe aus einer Fülle von Erinnerungen, die kaum noch datierbar sind; aus einem Gefühl von Zugehörigkeit zu einem Quartier, zu einer Landschaft, zu einer Mundart, zu Freunden, zu einer besonderen Sorte von Literatur, die unauflösbar miteinander verbunden sind.

Und zu Klängen, möchte man ergänzen. Bei Kurt Tucholsky, der übrigens wunderbare, intime Worte über Heimat gesagt hat, in all den zugespitzten Formulierungen, die ihm jederzeit zur Hand waren, ist Heimat ohne ein geschultes Ohr, ohne Musikalität gar nicht zu haben. Er spricht vom Ton, vom Rhythmus einer Landschaft, von ihrer Musik.

Und damit sind wir im eigentlichen Thema dieses Abends, den heimatlichen Klängen. So will ich sie einmal nennen, denn würde ich den Begriff Volksmusik verwenden, begäbe ich mich gleich wieder auf einen anderen deutschen Kampfplatz.

Wer von außen auf unser Land und seine Befindlichkeiten schaut, der wundert sich. So wie der neuseeländische Musiker Hayden Chisholm, der in dem preisgekrönten Film Sound of Heimat der Frage nachgeht, warum viele Deutsche mit Tränen in den Augen einem Panflötenspieler lauschen, der zum tausendsten Mal El Condor Pasa spielt, aber Pickel bekommt, wenn sie auf ihre Volkslieder angesprochen werden. Herr Chisholm wohnt übrigens in Köln und hat nach seinen Erkundungsreisen ins deutsche Liedgut am Ende herausgefunden, dass der Sound of Heimat aus wunderschönen Melodien, viel Freude und einem Hang zur Melancholie gemischt wird und dass Heimat ein Ort ist, den man mit den Ohren erkennen kann.

Das fand übrigens auch einer der Bewohner dieses Hauses, der Villa Hammerschmidt. Der verstorbene Bundespräsident Walter Scheel, um den wir in diesen Tagen trauern, war eine der starken Stimmen unserer Republik. Er stand nicht nur für eine politische Ära, sondern auch für einen Klang, einen Sound, ja, ein Lebensgefühl des Landes.

Die Künstler des heutigen Abends haben – jeder auf seine Weise – dazu beigetragen, den Deutschen ihre Heimat, ihre Mundarten und ihr Liedgut nahezubringen. Lassen Sie uns also einen entspannten Abend genießen. Den Kölnern unter uns wird das ja sowieso gelingen, man muss sie dazu nicht auffordern. Für sie gehört das Singen zur Lebensart. Sie lieben die kölschen Lieder und ganz besonders die von den Höhnern, die wir heute Abend hier begrüßen. Aber auch andernorts in Deutschland wird gern gesungen. Sebastian Krumbiegel zum Beispiel kommt aus Leipzig. Er hat sein Handwerk bei den Thomanern gelernt und zwar so gut, dass er das Singen später zu seinem Beruf machen konnte. Und schließlich haben die Bayern in unserem heutigen Gast, Andreas Martin Hofmeir, einen hinreißenden Vertreter des musikalischen Kabaretts hervorgebracht – die haben noch mehr davon, aber er ist einer der ganz besonderen. Heute begegnet er uns mit ernsthafter Musik ohne kabarettistische Einlage. Er musiziert heute zusammen mit Andreas Mildner und Olivia Stein.

Ja, und dann ist Karat hier, und über Karat wissen besonders diejenigen viel zu sagen, die früher in der DDR lebten. Ich bin ja heute in Bonn, ich weiß nicht, ob ich der einzige bin, der früher in der DDR lebte, aber es scheint so zu sein. Ihnen allen, das werden Sie merken, ist Karat auch vertraut. Viele ihrer Lieder sind sehr schnell gesamtdeutsch geworden, und ganz besonders Über sieben Brücken musst Du gehen. Sie haben damals, bevor der Westen das Lied kennenlernte, in der DDR unzählig vielen Menschen Freude, Kraft und Hoffnung gegeben.

Musik verbindet uns eben auch immer mit unseren Erinnerungen, mit unserer Vergangenheit. Sie ist ein wahrer Erinnerungsspeicher. Sie hilft uns auszudrücken, was wir manchmal mit Worten nicht ausreichend ausdrücken können, wo wir Heimat gefunden haben und was sie uns bedeutet. Und, das wird jeder von uns einmal erlebt haben, Lieder machen uns glücklich mit ihrer ganz eigenen Mischung aus Freude und Melancholie.

Ich jedenfalls freue mich auf den gemeinsamen Abend. Und ich freue mich auch auf die vertiefenden Worte von Ihnen, Professor Hans Bäßler. Sehr schön, dass Sie unter uns sind. Martina Emmerich wird den Abend moderieren. Und wir alle werden tun, was wir gerne tun, nämlich zuhören und uns bewegen lassen und uns mitnehmen lassen von Künstlern, die uns mit ihrer so ganz eigenen und besonderen Sprache ansprechen werden.

Danke für Ihr Kommen!