Gedenkfeier anlässlich des 40. Todestages von Bundespräsident a. D. Gustav Heinemann

Schwerpunktthema: Rede

Essen, , 2. September 2016

Bundespräsident Joachim Gauck hat am 2. September anlässlich des 40. Todestages von Bundespräsident a. D. Gustav Heinemann einen Kranz an dessen Grab auf dem Parkfriedhof in Essen niedergelegt und eine Ansprache gehalten: "Wir gedenken eines großen Mannes, eines politischen Vorbildes, eines unbeugsamen Demokraten."

Bundespräsident Joachim Gauck hält eine Ansprache anlässlich des 40. Todestages von Bundespräsident a.D. Gustav Heinemann in der Trauerhalle des Parkfriedhofs in Essen

Wir gedenken heute Gustav Heinemanns, des dritten Bundespräsidenten – hier in seiner Heimatstadt Essen. Wir tun das gerne. Wir erinnern uns an seinen ausdrücklichen Wunsch, hier auf diesem Friedhof kirchlich beerdigt zu werden, von seinem Freund übrigens, dem evangelischen Theologen Helmut Gollwitzer.

Gustav Heinemann ist der Stadt Essen immer besonders verbunden gewesen. Ihr diente er als Oberbürgermeister in den schwierigsten Jahren direkt nach dem Kriege. Hier beschloss er als Präses der Synode der EKD 1950 den ersten offiziellen Evangelischen Kirchentag mit den unvergesslichen Worten: Lasst uns der Welt antworten, wenn sie uns furchtsam machen will: Eure Herren gehen – unser Herr aber kommt!. Und hierher kehrte er zurück, nachdem er am Ende seiner Amtszeit als Bundespräsident Bonn und die Villa Hammerschmidt verlassen, Amtsangehörige und Fahrer verabschiedet und als einfacher Bürger im Bonner Hauptbahnhof den Zug Richtung Essen bestiegen hatte.

So wie sein Abschied, so war auch seine ganze Art, das Amt auszuüben – geprägt von persönlicher Bescheidenheit, von möglichst wenig Protokoll und von möglichst großer Nähe zu den Bürgerinnen und Bürgern. Die Etikettierung Bürgerpräsident hörte er, der ansonsten von Etiketten und Klischees wenig hielt, wohl gerne, weil sie seinem Amtsverständnis entsprach, das er vom ersten Tag an verkörperte.

Seine Wahl zum Bundespräsidenten war denkbar knapp ausgegangen. Obwohl in einer Großen Koalition verbunden, hatten beide großen Parteien einen eigenen Kandidaten aufgestellt und hielten kompromisslos an ihm fest. Hinzu kam, dass ja Gustav Heinemann, der Kandidat der SPD, einst aus Protest aus der CDU ausgetreten war. Er ist also als Sieger aus einer echten Kampfkandidatur hervorgegangen.

Für die Entwicklung der bundesrepublikanischen Demokratie und des demokratischen Bewusstseins der Bürger war das ein wichtiger Schritt. Und noch vor Bundeskanzler Willy Brandts berühmter Ankündigung, man wolle mehr Demokratie wagen, hatte Gustav Heinemann in seiner Antrittsrede gefordert: Nicht weniger, sondern mehr Demokratie – das ist die Forderung, und das ist das große Ziel, dem wir uns alle und zumal die Jugend zu verschreiben haben.

Das Wort Jugend hatte 1969 wahrscheinlich für die allermeisten einen durchaus bedrohlichen Klang. Als Gustav Heinemann Bundespräsident wurde, war Jugend auch oft ein Synonym für Rebellion und für die Infragestellung alles Hergebrachten und jeder Tradition. Er selber hatte für solch kritische Haltungen durchaus Verständnis: Überall müssen sich Autorität und Tradition die Frage nach der Rechtfertigung gefallen lassen.

Bei diesen rebellischen oder dissidenten jungen Leuten, mochten sie nun aus Mode oder aus echter Überzeugung so sein, war Heinemann durchaus glaubwürdig. Diese Glaubwürdigkeit hatte er sich durch Dissidenz in seiner eigenen Biographie erworben, etwa als Mitglied der Bekennenden Kirche im Dritten Reich, aber auch als Gegner der Wiederbewaffnung der Bundesrepublik, auch, als er zur Überraschung seiner Anhänger für die heftig bekämpften Notstandsgesetze eingetreten war. Er wusste, was passieren kann, wenn die Demokratie sich nicht verteidigt. Für viele war er das seltene Beispiel für den viel bewunderten aufrechten Gang.

Als engagierter Bürger,

- als Mann von Überzeugungen, der diese Überzeugungen nicht einfach vor sich hertrug, sondern damit in den Dialog und, wenn es sein musste, in handfesten Streit geriet,
- als nüchterner Christenmensch, der keinem seinen Glauben aufdrängte,
- als historisch Gebildeter, der sich vor allem darum kümmerte, die demokratischen, kritischen Traditionen, etwa der 1848er Bewegung, ins allgemeine Bewusstsein zu holen, zum Beispiel durch die von ihm angeregte Erinnerungsstätte in Rastatt, wo die Geschichte der deutschen Freiheitsbewegungen lebendig bleibt,
- als durch und durch bürgerlicher Mensch, der gerade deswegen so gelassen auf die antibürgerlichen Bestrebungen seiner Zeit reagieren konnte:
- als in dieser Mischung echter und unverwechselbarer Kopf war er der rechte Mann zur rechten Zeit.
Und so hat er in schwierigen Zeiten auch das Ansehen des Bundespräsidentenamtes gestärkt.

Der am häufigsten von ihm zitierte Satz – leider oft auch falsch zitiert – ist ja bekanntlich: Ach was, ich liebe keine Staaten, ich liebe meine Frau, fertig!

Das lenkt den Blick auf die starke Bindung an seine Familie. Und deshalb freue ich mich besonders, dass wir heute an Gustav Heinemann denken und erinnern können, im Kreis seiner Familie. Diese Familie ist mit dem Amt des Bundespräsidenten ja ganz besonders verbunden. Ein anderer, späterer Bundespräsident, Johannes Rau, war der Ehemann von Gustav Heinemanns Enkelin Christina. Er wiederum hatte bekanntlich seine Wahl gewonnen gegen die Tochter Gustav Heinemanns und damit die Tante seiner Ehefrau, Uta Ranke-Heinemann.

Heute sind wir nun alle zusammen, wie auch immer es damals war. Wir gedenken eines großen Mannes, eines politischen Vorbildes, eines unbeugsamen Demokraten.

Ich möchte nicht schließen, ohne an einen Satz zu erinnern, den er als Justizminister in seiner wichtigen Fernsehansprache nach dem Attentat auf Rudi Dutschke gesagt hatte, dass nämlich jeder, der mit seinem Zeigefinger auf vermeintliche Übeltäter zeigt, wissen sollte, dass in der Hand mit dem ausgestreckten Zeigefinger zugleich drei andere Finger auf ihn selbst zurückweisen.

Diese kritisch-selbstkritische Maxime kann man sich auch heute für politische oder ethische Auseinandersetzungen zu Herzen nehmen.

Zum Schluss: Für mich persönlich war Gustav Heinemann ein Vorbild, das höchste Amt des Staates in Demut auszuüben und mehr zu dienen als zu repräsentieren. Und er war ein sehr politischer Mensch, ohne dass er das eigene Gewissen irgendwie eingesperrt oder vernachlässigt oder marginalisiert hätte. Und er mochte und konnte politisch agieren, auch operativ politisch, und gleichzeitig entschieden an seinem Glauben und an seinen Werten festhalten.

Ja, so etwas möchte man können. So möchte man dienen. Und deshalb sagen wir aus vollem Herzen: Danke zu einem Menschen, der dies vermochte.