Neujahrsempfang für das Diplomatische Korps

Schwerpunktthema: Rede

Schloss Bellevue, , 12. Januar 2017

Bundespräsident Joachim Gauck hat am 12. Januar beim Neujahrsempfang für das Diplomatische Korps eine Ansprache im Großen Saal in Schloss Bellevue gehalten: "Wir spüren die Nachbeben des Terrors und der politischen Umwälzungen nahezu überall in der Welt, und keine noch so streng gesicherte Grenze würde uns völlig davor bewahren. Eben weil das so ist, werden wir bei der Bewältigung dieser Krisen zusammenarbeiten müssen."

Bundespräsident Joachim Gauck hält eine Rede im Großen Saal in Schloss Bellevue anlässlich des Neujahrsempfangs für das Diplomatische Korps

Ich freue mich, dass ich Sie gleich zu Beginn des neuen Jahres hier wiedersehen kann. Der Neujahrsempfang gehört, wie die anderen jährlichen Zusammentreffen mit dem Diplomatischen Korps, zu den wohltuenden Traditionen im Amt des Bundespräsidenten. Unsere Begegnungen, etwa die bewährten gemeinsamen Ausflüge – ich erinnere Sie, im vergangenen Jahr waren wir im Saarland –, sie sind mir in bester Erinnerung, und ebenso sind es die Gespräche mit Ihnen. Sie haben mir in den fünf Jahren meiner Amtszeit vielfältige Anregungen gegeben, und dafür bin ich dankbar.

Ich schaue mich um und sehe die Vielfalt der Länder, die Sie vertreten. Heute leben wir diese Vielfalt in unserem Land und auch in Europa. In unseren urbanen Zentren und Hauptstädten sind unterschiedliche Hautfarben, Sprachen und Religionen, Lebensgewohnheiten und Kulturen eine alltägliche Erscheinung. Und wir schätzen diese Bereicherung. Für viele junge Menschen gehört es zum Lebensplan, im Ausland zu studieren oder zu arbeiten, dort Erfahrungen zu sammeln, sich anregen zu lassen, so wie ich mich habe anregen lassen in der Begegnung mit Ihnen und auf meinen Reisen. Im vergangenen Jahr waren das, neben den Reisen in die vertrauten europäischen Partnerländer, auch Reisen an für mich sehr entfernte Orte wie Nigeria, Mali, Chile, Uruguay, nach China und nach Japan.

Wer diese Erfahrung machen durfte, dem fällt es leicht oder doch wenigstens leichter, in der Verschiedenheit und Einzigartigkeit von Ländern, Menschen und Kulturen das Gemeinsame und Verbindende zu suchen und oft auch zu entdecken. Er lernt das Fremde zu schätzen und – so habe ich es erlebt – das Eigene auf eine neue, ebenso bereichernde Weise neu zu sehen und zu achten.

Ich möchte das auch deshalb herausstellen, weil mir scheint, dass vieles von dem, was im vergangenen Jahr auch hier in Deutschland als Reaktion auf den Zustrom von Flüchtlingen erlebt und erfahren wurde, seinen Ursprung in der Angst vor Entfremdung und Entwurzelung hat. Was viele als Bereicherung empfinden, anderen Kulturen auch im eigenen Land zu begegnen, empfinden wiederum andere als Bedrohung der eigenen kulturellen Identität.

Angst ist ein Gefühl. Ihm mit dem Vorwurf der Irrationalität zu begegnen, hilft oft nur wenig. Und schließlich sind die Herausforderungen, denen wir uns in den vergangenen Jahren stellen mussten, durchaus dazu angetan, auch Befürchtungen zu wecken. Der Terror, der uns an vielen Orten der Welt und nun auch im eigenen Land getroffen hat, zielt auf unsere Werte, auf unsere Lebensweise. Was vor Weihnachten zum Beispiel hier in Berlin geschah, es wird nachwirken. Die Opfer des Anschlags, arglose Besucher eines Weihnachtsmarktes, sie werden uns fehlen. Aber ich bin sicher: Das Kalkül des Mörders wird nicht aufgehen. Denn unser Zusammenhalt, als Demokraten und als Deutsche, er wird nicht schwächer, er wird stärker, wenn wir angegriffen werden. Wir spüren die Nachbeben des Terrors und der politischen Umwälzungen nahezu überall in der Welt, und keine noch so streng gesicherte Grenze würde uns völlig davor bewahren. Eben weil das so ist, werden wir bei der Bewältigung dieser Krisen zusammenarbeiten müssen. Und ich bin davon überzeugt: Wenn uns diese Zusammenarbeit gelingt, werden wir die Erfolge sehen, die wir brauchen, um der Angst vieler Menschen entgegentreten zu können.

Der Flüchtlingsgipfel in New York hat die Agenda dieser gemeinschaftlichen Anstrengungen vorgegeben. Wir müssen uns ernsthafter bemühen, die Fluchtursachen gemeinsam zu bekämpfen, Krisen- und Konfliktprävention zu betreiben und schließlich für die Integration der Menschen zu sorgen, die vor Krieg und Terror Zuflucht suchen. Die Europäische Union wird zudem auch in Zukunft auf eine verstärkte Kontrolle ihrer Außengrenze nicht verzichten können. Das sind gewaltige Aufgaben. Kein Land wäre in der Lage, sie allein zu bewältigen. Gerade in Zeiten, in denen die völkerrechtsbasierte internationale Ordnung mancherorts in Frage gestellt wird, sind wir aufgerufen, sie zu bekräftigen und Institutionen wie die Vereinten Nationen, die uns zur Bewältigung globaler Krisen zur Verfügung stehen, auch zu stärken. Wir werden uns nicht der Ohnmacht ergeben angesichts von Gewalt an so vielen Orten der Welt, sei es in der Ostukraine oder im Jemen, im Süd-Sudan und vor allem in Syrien, um nur wenige Beispiele zu nennen. Und wir werden uns dem Terrorismus nicht beugen, der im letzten und leider auch schon in diesem Jahr auf brutalste Weise Menschenleben gefordert hat, zum Beispiel in Belgien, in Frankreich, der Türkei, in Nigeria oder auch im Irak.

Wie die Vereinten Nationen gehört auch die Europäische Union für mich zu den Institutionen, die globale Verantwortung tragen. Um zu erkennen, wie wertvoll und unverzichtbar die Europäische Union ist, sollten wir uns daran erinnern, dass diese Einigung Europas über Jahrzehnte nicht mehr als eine Hoffnung auf Frieden und Verständigung war. Im März jährt sich nun die Unterzeichnung der Römischen Verträge zum sechzigsten Mal. Vor zehn Jahren, am fünfzigsten Jahrestag, unterzeichneten die Mitgliedstaaten die Berliner Erklärung, mit der sie sich zu den gemeinsamen Werten bekannten, zu Frieden und Freiheit, Demokratie und Rechtsstaatlichkeit. Sie versprachen außerdem, sich dafür einzusetzen, dass Konflikte in der Welt friedlich gelöst und Menschen nicht Opfer von Krieg, Terrorismus und Gewalt werden. Dieses Versprechen müssen die Europäer einlösen.

Eine der eindrucksvollsten Begegnungen des vergangenen Jahres war für mich das Treffen mit Angehörigen der Hilfsorganisation der Weißhelme, die im Dezember den Alternativen Nobelpreis erhielten. Es waren Schneider, Bäcker, Lehrer, Menschen aus unterschiedlichsten Berufen, die ihr eigenes Leben einsetzten, um das anderer zu retten. Diese Menschen haben keine politische Agenda, achten nicht auf Religions-, nicht auf Parteizugehörigkeit und retten dabei noch weit mehr als Menschenleben: Sie retten die Menschlichkeit. Ihre Arbeit zeigt uns, dass kein Hass groß genug ist, den Zusammenhalt unter uns Menschen vollends zu zerstören. Es ist auch ihr Beispiel, das uns verpflichtet, nicht in Resignation zu verfallen.

Es gibt auch ermutigende Zeichen, dass beharrliche, stille Diplomatie, die einen langen Atem hat, am Ende auch lang andauernde Konflikte beenden kann: Zwischen den Vereinigten Staaten und Kuba beispielsweise ist ein jahrzehntelanges Schweigen zu Ende gegangen; in Kolumbien ein ebenso langer, verlustreicher Guerillakrieg.

Wir dürfen uns weder von der Angst überwältigen, noch vom Terror einschüchtern lassen. Vertrauen wir also auch auf die Mittel der Diplomatie. Festigen wir die Herrschaft des Rechts und den Zusammenhalt der internationalen Staatengemeinschaft und bewahren wir diese Gemeinschaft.

In diesem Sinne wünsche ich Ihnen und Ihren Familien ein glückliches und erfolgreiches Jahr 2017.