Verleihung der Reinhold-Schneider-Plakette 1999

Schwerpunktthema: Rede

Freiburg, , 23. Oktober 1999

Rede von Bundespräsident Johannes Rau aus Anlass der Verleihung der Reinhold-Schneider-Plakette im Kaisersaal des Historischen Kaufhauses

Verehrter, lieber Herr Thiede, Frau Präsidentin Lieberknecht, Herr Oberbürgermeister, meine Damen und Herren,

ich erinnere mich noch an das Jahr 1956, als der Friedenspreis des deutschen Buchhandels an Reinhold Schneider verliehen wurde: Der Sturm der Entrüstung über diese Auszeichnung war nur zu vergleichen mit dem Jahr danach, 1957 - da ging es um Karl JaspersoderKarl Barth, oder mit der Auseinandersetzung um die Rede beim Friedenspreis im vergangenen Jahr, wenn auch auf ganz andere Weise.

Reinhold Schneider fand niemanden, der seine politischen Texte abdruckte. Man wollte das nicht mehr hören. Im Vergleich zu Reinhold Schneider war ein so widerständiger Mensch wie Heinrich Böll pflegeleicht. Das hing auch damit zusammen, daß dieser Reinhold Schneider den Satz bekräftigte, daß der Zweifel der Bruder des Glaubens ist.

Reinhold Schneider war ein bewußt katholischer Christ, tief verwurzelt und mit Ängsten und Zweifeln, wie sie sonst kaum einer äußert. Es gibt eine Textstelle, in der er schreibt: Ich kann nicht mehr beten. Mein Gebet kommt nicht mehr an. Vielleicht gibt es den gar nicht, zu dem ich bete; und dann sagt er, wie er zum Gebet zurückfindet: Wenn ich für mich bete, kommt nichts an, aber wenn ich für andere bete, dann ist der Angebetete wieder spürbar. Das schreibt ein Mann und das sagt ein Mann, der mit großem historischen Wissen, mit einem nahezu enzyklopädischen Wissen, wie es heute nicht einmal mehr bei den angeblich humanistisch gebildeten Gymnasiasten zu vermuten ist, der mit einem solchen enzyklopädischen Wissen sich der Welt aussetzt, Schwermut in Kauf nimmt. Das ist also nicht der fröhliche Katholizismus, wie wir ihn im Rheinland kennen und manchmal zum Ärger der Evangelischen auch feiern, sondern schwerblütig, belastet, immer auf der Suche nach Heimat.

Wer nachliest, wie das war, für den kleinen Reinhold Schneider, als das Hotel Meßmer abgerissen wurde, der spürt etwas von diesem "Wer jetzt kein Haus hat, baut sich keines mehr", das ein anderer ausgesprochen hat: Das war Verlust von Heimat, und der "Winter in Wien" ist im Grunde die Biographie einer Melancholie. Wer das Buch liest, nach ihm greift, weil ein katholischer Christ gute Nachrichten zu vermitteln hat, der hat sich im Buch geirrt und im Verfasser auch.

Dieser Reinhold Schneider redet zur Zeit und zur Unzeit. Er fragt nicht danach, was Bischofskonferenzen oder was Konzile sagen, sondern er fragt danach, was christlicher Glaube gebietet. In den Jahren, in denen er am politischen Gespräch teilnimmt, bis zu seinem Tode – am Ostersonntag 1958 ist er hier im Loretto-Krankenhaus gestorben -, ist Reinhold Schneider ein Mahner, dem man nicht immer zustimmt in seinen politischen Beurteilungen. Ich habe nie den demokratischen Staat so als das Verfallende gesehen, wie Reinhold Schneider das getan hat. Ich erinnere mich gut an diesen hochaufgeschossenen, hageren Mann, an sein klares Profil – manchmal hatte man den Eindruck, der kommt nicht aus Baden-Baden, der kommt aus Cluny, der hat gerade Askese hinter sich. Und wer diese beiden Bilder von Reinhold Schneider hier hinter mir miteinander vergleicht, dem wird die Wegstrecke deutlich von einem wahrlich eindrucksvollen Schöngeist zu einem, der den Zweifel mit sich trägt und der die Frage an die Leser, an die Zuschauer stellt: "Wo stehst Du? Wo handelst Du? Handelst Duauch? Oder läßt Du Dich politischbehandeln?" Das war die Fragestellung Reinhold Schneiders.

Von tiefen Zweifeln am eigenen Glauben bestimmt. Die hat Manfred Hausmann einmal ausgesprochen:

>>Nicht einer kann von den Erschaff'nen allen,
nicht einer Gottes je versichert sein.
Nur wenn wir immer wieder aus ihm fallen,
dann fallen wir in sein Gesetz hinein.
Denn die ihn haben, haben ihn mitnichten,
den wunderbar geheimnisvollen Geist,
doch die ihn tief in sich zugrunde richten,
vielleicht sind sie es, die er an sich reißt.
Die Qualen, die allnächtlichen, verbürgen,
daß er den Abgrund unsrer Seelen mißt,
und reißt sie an sich, um sie zu erwürgen
mit einem Tode, der das Leben ist.
<<

Wer etwas von dialektischer Theologie und Philosophie wissen will, muß solche Texte kennen. Darum wünsche ich mir, gegen alle Zeitgemäßheit, dass Reinhold Schneider gelesen wird, daß Elisabeth Langgässer gelesen wird, daß Gertrud von Le Fort gelesen wird und Manfred Hausmann, und daß wir nicht so tun, als sei das Trivialliteratur, als sei Hausmann nichts anderes als der Knut Hamsun für den Mittelstand. Das ist völlig mißverstanden – nach meinem Urteil.

Meine erste Begegnung mit Reinhold Schneider war anonym. Ich wußte nicht, daß ich ihm begegnete, als wir im Gemeindehaus am Klingelholl – Andreas Immer, der Enkel meines Konfirmators, ist hier – in die Feldpostbriefe an die Soldaten handgetippte Gedichte steckten. Und eins davon fing an: "Allein den Betern kann es noch gelingen, das Schwert ob unsern Häupten aufzuhalten". Es ist ein Gedicht von Reinhold Schneider.

Meine Damen und Herren, die Gründung der Reinhold-Schneider-Gesellschaft, die im vergangenen Jahr Carl Friedrich von Weizsäcker und vor drei Jahren Bernhard Vogel geehrt hat, ist, wenn ich es richtig weiß, von Paul Mahnert angeregt worden. Er lebt nicht mehr, ich habe ihn nicht kennengelernt, aber seiner Frau und seinen Kindern wusste ich mich verbunden. Paul Mahnert hat viele, viele Texte von Reinhold Schneider auch mir zugänglich gemacht. Über ihn hat Reinhold Schneider einmal geschrieben: "Mit ihm wurde kein Gespräch vertan, weil immer das Letzte da war, der tragende Ernst, und damit auch der Humor - der sich da einstellt, wo Ernst, Güte und Sinn für Wirklichkeit zusammentreffen; Sittlichkeit, nicht als Vorschrift, sondern als Natur; Treue als Lebensform, Herzlichkeit als Menschentum. Seine Geistigkeit hatte ihn mit einer Freiheit beschenkt, die mich dann und wann mit einer Art ahnungsloser Trauer erfüllte. Da konnte er wie ein Mensch erscheinen, der, mitten im Leben und ihm zugewandt, nicht mehr ganz da war, nicht mehr ganz fest wurzelte. Zu mächtig leuchtete ihm die Geisteswelt." Diese Worte Reinhold Schneiders bei der Trauerfeier für Paul Mahnert am 22. November 1956 beschreiben auch ihn selbst. Mit ihnen möchte ich schließen.

Ich habe begonnen mit dem Hinweis darauf, daß der Zweifel der Bruder des Glaubens ist. Das stimmt. Aber das soll uns nun nicht dazu führen, vom Bruder Glauben zum Bruder Zweifel wegzulaufen, sondern das soll uns, – und da zitiere ich den Apostel Paulus -, ein Pfahl im Fleische sein, auf daß wir uns nicht überheben. So war es bei Reinhold Schneider und so heißt es auch bei Luther: Ein Pfahl im Fleisch, damit wir uns nicht überheben. Und von Luther stammt auch das andere Wort: "Nicht, daß ich's schon ergriffen hätte. Ich jage ihm aber nach."

Herzlichen Dank.