Verleihung des Medienpreises Entwicklungspolitik

Schwerpunktthema: Rede

Bonn, , 24. Oktober 1999

Grußwort von Bundespräsident Johannes Rau

Liebe Preisträgerinnen und Preisträger,
Frau Oberbürgermeisterin,
Frau Bundesministerin,
meine Damen und Herren,

dass der Bundespräsident diesen Preis überreicht, hat Tradition, aber ich bin kein Bundespräsident der Tradition, sondern noch in der Probezeit. Ich verleihe also diesen Preis heute zum ersten Mal. Aber ich äußere mich nicht zum ersten Mal zur Entwicklungspolitik. Und immer wenn ich mich zu ihr äußere, frage ich mich: Was hat denn wohl seit der letzten Rede stattgefunden? Was hat sich bewegt, was hat sich verändert?

Ich glaube, dass wir selbstkritisch feststellen müssen: Wir stehen nicht so eindrucksvoll dar, wie wir das immer angekündigt haben und wie wir das eigentlich möchten.

Die schwierige Haushaltslage hat dazu geführt, dass wir beim Gradmesser entwicklungspolitischer Leistung, also bei dem Verhältnis der Ausgaben für die Entwicklungszusammenarbeit zum Bruttosozialprodukt, einem Abwärtstrend unterliegen, den wir in den kommenden Jahren unbedingt umkehren müssen. Ich stelle seit Jahren in vielen Ländern, nicht nur bei uns in Deutschland, einen Widerspruch fest. Denn es gibt ja niemanden, der die hohen Ziele, die wir uns gesetzt haben, nicht wollte. Aber wenn wir die erforderlichen Mittel nicht bereitstellen können, dann schaffen wir es auch nicht, aus gutem Willen Taten zu machen. Sie alle kennen die 0,7 %, die seit Jahren als eine Verpflichtung aller Länder gelten, die Entwicklungshilfe leisten. 1997 waren es 0,28 %. Und 1982 waren es noch 0,49 %. D.h., wir haben das faktisch noch einmal halbiert und sind bei einem Viertel dessen angekommen, was wir uns seit drei Jahrzehnten vorgenommen haben.

Wir wollen ja Fortschritte auf dem Gebiet der Entwicklung genauso wie die sogenannten Entwicklungsländer selbst. Denn alles, was da unterbleibt, wirkt sich hier bei uns aus. Und was wir tun oder nicht tun, hat Folgen für sie. Die Stichworte sind uns allen bewusst - Migrationsströme, wachsende Weltbevölkerung, Überbeanspruchung der Böden, Wasserknappheit, Wüstenbildung, Klimaveränderungen. Jährlich verlieren wir 6 Millionen Hektar Ackerfläche.

Oder denken Sie an unsere eigene Entwicklung, an unsere eigene Fehlentwicklung, die dazu geführt hat, dass die Industrieländer 80 % des Energieverbrauchs und 75 % des Schadstoffausstoßes auf ihrem Konto verbuchen.

Das ist entwicklungshemmend: Stellen wir uns einmal vor, die Entwicklungsländer gingen den gleichen Weg, den wir vorangegangen sind. Was würde dann geschehen, für sieunddann auch für uns? Aber wir wollen doch diesen Ländern weder die industrielle Entwicklung, noch den Konsum, noch den Komfort verweigern.

Die weitgehende gegenseitige Abhängigkeit ist eine der großen Einsichten, die das Ende dieses Jahrhunderts prägen. Wir kennen die globalen Zusammenhänge besser als je zuvor, wir wissen in Sekundenschnelle von Katastrophen oder von Ereignissen, die auf der anderen Seite des Globus Geschichte machen. Wir wissen aber auch von Unterdrückung und Armut und wir werden uns vor diesem Hintergrund des eigenen Wohlstandes bewusst. Mit diesem Wissen wächst die Verantwortung eines jeden einzelnen.

Entwicklungspolitik, das ist oft gesagt worden, ist eine gesamtgesellschaftliche Aufgabe. Wir kommen nur voran, wenn viele Kräfte und Akteure die großen Ziele gemeinsam verfolgen. Und Entwicklungspolitik kann nicht nur Aufgabe des Staates sein - er würde das gar nicht schaffen. Die private Initiative hat mindestens ebenso große Bedeutung. Ich finde, nichts bestätigt diese These besser als die Tatsache, dass der Friedensnobelpreis an die "Ärzte ohne Grenzen" gegangen ist.

Als ich einmal ein junger Ministerpräsident war, wurde eine Ausstellung konzipiert "Die Dritte Welt und wir". Ich habe sie mir angesehen; sie war schlecht. Und dann haben wir einen Brief geschrieben, der Chef der Staatskanzlei und ich, an die 396 Gemeinden in Nordrhein-Westfalen und haben sie gebeten, uns Adressen von privaten Organisationen zu liefern, die Entwicklungshilfe betreiben. Wir hatten binnen 14 Tagen dreitausend Adressen aus Nordrhein-Westfalen. Die Ausstellung wurde gut. Es gibt viele Dritte-Welt-Gruppen, viele Menschenrechtsorganisationen, Flüchtlingskomitees, Kirchengemeinden, sie alle wirken mit und sie alle müssen mitwirken.

Aber wir sollten und wir können auch dieWirtschaft nicht aus ihrer Pflicht entlassen! Auch sie ist nämlich Teil der Zivilgesellschaft. 1996 hat DeutschlandtäglichGüter und Dienstleistungen im Wert von 350 Mio. DM allein in Entwicklungsländer geliefert. Unsere Unternehmer wissen, dass sie ihr eigenes Interesse an Wohlstand und Stabilität in den Partnerländern haben müssen. Es ist Ausdruck langfristigen und nachhaltigen Wirtschaftens, wenn sie Sozial- und Umweltstandards auch bei ihren Wirtschaftspartnern fördern, wenn sie sich für den Erhalt natürlicher Ressourcen einsetzen, wenn sie junge Menschen in den Partnerländern ausbilden, wenn sie für soziale Absicherung der Arbeitnehmer und ihrer Familien sorgen. Heute fließt in die Entwicklungsländer sechs mal soviel Privatkapital wie öffentliche Entwicklungsgelder.

Es kann noch viel getan werden, auch in Zusammenarbeit mit der öffentlichen Hand. Das, was wir "Public-Private-Partnership" nennen, ist in den USA eine Selbstverständlichkeit und müsste es auch bei uns sein, damit entwicklungspolitische Zusammenarbeit noch viel stärker ausgebaut werden kann.

Es gibt, meine Damen und Herren, eine internationale soziale Verantwortung. Die Frage nach der gerechten Verteilung von Chancen entsteht nicht nur innerhalb der sogenannten "reifen Industrienationen", sondern auch im Verhältnis zwischen dem, was wir die"Erste" und "Dritte" Welt nennen. Welche Verpflichtungen haben die Reichen den Armen gegenüber? Darüber wird in der Phase fortschreitender Globalisierung, die ja alle betrifft, noch nicht genug nachgedacht. Ich erinnere an den Kölner Schuldenerlass auf dem G 7-Gipfel.

Wir in Deutschland haben in unserer jüngeren Geschichte von den Entscheidungen anderer Länder profitiert, wenn wir Hilfe brauchten -denken Sie an den Marshallplan der Nachkriegszeit. Wer heute unsere Hilfe braucht, der kann zu Recht von uns erwarten, dass wir gemachte Zusagen erfüllen. Ich denke da an die Ziele, die zu erreichen wir uns für das Jahr 2015 vorgenommen haben zusammen mit anderen: die Reduzierung der weltweiten Armut um die Hälfte, die Durchsetzung der Grundschulerziehung, die Basis-Gesundheitsversorgung und vieles andere.

Natürlich ist die Umsetzung solcher Ziele in Zeiten, in denen wir selber an allen Ecken und Kanten sparen müssen, nicht einfach. Es ist aber zu schaffen, wenn wir die Aufgaben gemeinsam angehen und wenn wir uns vor Augen führen, dass es nicht um Almosen geht, sondern um einen Akt der Menschlichkeit, von dem wir selber, unsere Kinder und unsere Enkel auch profitieren werden.

Wir dürfen durchaus auch in der Entwicklungszusammenarbeit unser Eigeninteresse wiedererkennen. Entwicklung fördert die Entstehung eines politisch bewussten Mittelstandes in den Partnerländern, sie fördert Demokratie, und Demokratie ist, so hat Immanuel Kant einmal gesagt, die beste Friedensstrategie. Arbeitsplätze, die in den Entwicklungsländern entstehen, sind Plätze, die der Entwurzelung der Menschen, die der unkontrollierten Migration entgegenwirken. Man darf nicht Flüchtlinge bekämpfen, man muss Fluchtursachen bekämpfen. Und nur ein wohlhabender Partner kann Abnehmer unserer Waren sein. Deshalb ist Entwicklungshilfe auch Wohlfahrtsstrategie, und zwar für beide Seiten der Partnerschaft.

Meine Damen und Herren, lassen Sie keinen Entwicklungspessimismus aufkommen! Sie, die Preisträger sind, so hoffe ich, die Stimme gegen den Pessimismus. Sie verschaffen der Entwicklungszusammenarbeit Publizität. Sie wecken Verständnis, Sie bereiten das Feld für Entscheidungen.

Ich glaube nicht, dass das, was Sie schriftlich, mündlich oder visuell produzieren, immer optimistisch ist oder sein soll. Aber auch der schonungsloseste Bericht über Missstände und Fehlentwicklungen will ja wachrütteln, will antreiben, Missstände zu beheben, damit wir den guten Zustand, den wir wünschen, bekommen. Das geht nur mit Beharrlichkeit und mit langem Atem. Beides wünsche ich Ihnen, und ich gratuliere Ihnen herzlich zur Ihrer Auszeichnung.