Verleihung des Deutschen Umweltpreises

Schwerpunktthema: Rede

Weimar, , 31. Oktober 1999

Rede von Bundespräsident Johannes Rau anlässlich der Verleihung des Deutschen Umweltpreises in Weimar

Verehrte Preisträger, meine Damen und Herren,

Mode lebt vom Wechsel. Mode lebt davon, dass die Produkte, die im nächsten Jahr Menschen faszinieren, anders sind als das, was in diesem Jahr die Menschen fasziniert hat. Das ist eine interessante Entwicklung und Klaus Steilmann könnte viel darüber erzählen; auch darüber, wann Mode wieder kommt, die lange weg war. Der Begriff Mode hat aber genau darum besonders mit Vergänglichkeit zu tun.

Manchmal habe ich den Eindruck, auch der Umweltschutz in Deutschland war eine Mode, die inzwischen vergangen ist. Manchmal habe ich das Gefühl, seit die Last der Arbeitslosigkeit auf Deutschland liegt, seit alle Parteien zu Recht sagen, der Kampf gegen die Arbeitslosigkeit ist das Thema Nummer Eins, gerät das Thema Umweltschutz in die Fußnoten. Das halte ich für lebensgefährlich. Das ist das Gegenteil von Nachhaltigkeit. Denn was wir jetzt versäumen, um des kurzatmigen Erfolges willen, das zahlen unsere Kinder und unsere Enkel, denen wir eine verbrauchte Welt hinterlassen. Neu ist das nicht, was ich sage. Ich erinnere mich gut an einen ersten Kongress "Arbeit und Umwelt" 1975 in Dortmund, als Rudolf von Bennigsen-Foerder deutlich machte; dass und wie Arbeit und Umwelt zusammen gehören. So ist mein erster Wunsch, dass von diesem hoch dotierten Preis, von diesen beiden neuen Halbmillionären aus die Nachricht nach draußen geht, dass Arbeit und Umwelt zusammen gehören und dass Umweltpolitik nicht Mode ist, sondern modern. Das, was modern ist, das hat Chancen auf Dauer, weil sich eine Erkenntnis herumspricht: Die Erkenntnis, dass das, was ökologisch unverantwortbar ist, auf Dauer auch ökonomisch alt ist. Der Begriff "auf Dauer" macht wieder deutlich: Es geht um Nachhaltigkeit. Wenn es um Nachhaltigkeit geht, dann geht es um Umdenken. Dann geht es um die Bereitschaft, alte Schablonen hinter sich zu lassen. Dann geht es um die Bereitschaft, eigenes Denken in Frage zu stellen und sich Fragen stellen zu lassen. Oft geschieht das auf eine Weise, die Erstaunen, gelegentlich auch Skepsis aufkommen lässt. Hat Ernst Ulrich von Weizsäcker wirklich Recht, wenn er vom "Faktor 4" spricht? Wenn er sagt: Wir können mit der Hälfte des Energieverbrauchs das Doppelte an Produktivität erreichen. Stimmt die Rechnung? Ich kenne viele, die da skeptisch sind, aber ich kenne zu wenige, die es ausprobieren, und durch das Ausprobieren würden Unternehmer zu Unternehmenden gemacht. Vor ein paar Wochen habe ich in einer der bedeutendsten deutschen Zeitungen – sagt sie von sich selbst –, von einer Umfrage unter den Deutschen gelesen, die in ihrer Mehrheit sagen: Die deutschen Unternehmer denken nur an sich selber und nur an ihre Unternehmensgewinne. Ich glaube das nicht. Ich bin betrübt darüber, dass offenbar eine große Mehrheit das glaubt. Ich halte es für wahrscheinlich, dass sie Gründe hat, das zu glauben. Aber ich halte es für ebenso unwahrscheinlich, dass die, die so denken, Klaus Steilmann kennen. Es gibt Unternehmer, die sind nicht so. Ich habe in meiner Tätigkeit viele Unternehmer kennengelernt, die unternehmen etwas nicht bloß um des eigenen Unternehmens willen. Vielmehr haben sie begriffen, was Gemeinsinn bedeutet. Sie haben begriffen, was soziale Bindung des Eigentums bedeutet, von der das Grundgesetz spricht. Weil das so ist, empfinde ich jede Verleihung eines Umweltpreises an einen Unternehmer als eine Frage an die übrigen Unternehmer: "Warum Ihr nicht?" "Warum Ihr so wenig?" Jede Auszeichnung mit dem Umweltpreis an einen Wissenschaftler, einen Biologen, ist eine Anfrage an die übrigen Wissenschaftler: "Was tut Ihr?" "Welche Rechenschaft legt Ihr ab von den Zielen Eures Forschens und Eures Lehrens?". Wie sähe die Welt aus, wenn zwischen Unternehmern und Wissenschaftlern mehr Gedankenaustausch, mehr Gespräch, mehr Gemeinsamkeit, mehr Kommunikation wäre? Und wie sähe die Welt aus, wenn beide sich ihrer Verantwortung für die Zukunft und für zukünftige Generationen stärker bewusst wären, als die meisten das sind? Darum bin ich gern gekommen - hier her ins schöne, ehrwürdige Weimar - um den Umweltpreis auszuhändigen. Darum bin ich gekommen, weil ich gern deutlich machen möchte: Umweltbewusstsein ist nicht Askese und Verzicht. Umweltbewusstsein heißt nicht: Nun darfst du noch weniger duschen. Du darfst noch weniger nach deinen eigenen Bedürfnissen leben. Umweltschutz heißt: High-Tech entdecken; nicht Ausstieg aus der Industriegesellschaft, sondern Nutzung dessen, was die Industriegesellschaft erbracht hat - zur Veränderung und Verbesserung, nicht nur zur Reparatur der uns anvertrauten Welt. Und darum sind Umweltpolitik und Umweltschutz nichts Modisches, sondern etwas Modernes, nichts von gestern, sondern etwas für morgen. Weil das so ist, darum gratuliere ich Klaus Steilmann, den ich seit vielen Jahren, gar Jahrzehnten kenne, der übrigens der erste deutsche Unternehmer im Club of Rome war. Darum gratuliere ich auch Herrn Professor Barthlott herzlich. Ihn habe ich noch nicht so gut gekannt; wir haben zu Hause so wenig Lotusblüten. Aber ich schließe nicht aus, dass ich ihn zum Professor berufen habe, denn 8 Jahre als Wissenschaftsminister haben mir viele sinnvolle Urkunden abverlangt. Also erlauben Sie mir zu sagen: "Ich bin einfach auch so stolz auf Sie". Denen, die hier sind, denen die mitfeiern, denen, die uns zuhören und zusehen, aber vor allem denen, die an unbekannten Orten etwas tun, damit die Schöpfung bewahrt, erhalten und den Kindern auf eine nicht schuldhafte Weise übergeben werden kann, denen allen wünsche ich viel Ermutigung und viel Mut. Nicht müde werden! Herzlichen Dank.