Wiedereröffnung des Städelschen Kunstinstituts

Schwerpunktthema: Rede

Frankfurt, , 3. Dezember 1999

Grußwort von Bundespräsident Rau

Verehrte Frau von Metzler, Herr Ministerpräsident, meine Damen und Herren!

Hermann Abs war ein begnadeter Bettler! Wenn es aus dem Vorzimmer hieß: Anruf Abs, dann wusste man, es geht um's Städel oder um's Beethovenhaus, es ging um Geld. Er hatte die Fähigkeit, Fangfragen zu stellen. Zum Beispiel die: Wenn ich privat eine Million gäbe, könnten Sie dann die andere besorgen?!

Wenn Hermann Abs bettelte, fiel mir immer unser Pastor ein. Der hatte die höchsten Kollekten, weil er sagte: Gleich kommt der Klingelbeutel; wenn jeder das doppelte von dem gibt, was er geben wollte, hat er die Hälfte dessen gegeben, was Gott von ihm erwartet.

Bei der Vorbereitung meines Besuchs hier im Städel, fiel mir unter anderem folgender Gedanke ein: Stellen Sie sich vor, es gäbe ein technisches Gerät, mit dem man die Orte in Deutschland zum Leuchten bringen könnte, die geschaffen worden sind durch Bürgersinn und Mäzenatentum. Wir hätten ein leuchtendes Land. Blicke ich nach Hamburg, sind Töpfer und Körber und Reemtsma zu nennen; blicke ich nach Köln, denke ich an Ludwig und die Oppenheims; sehe ich meine Heimatstadt, denke ich an von der Heydt. Hier in Frankfurt könnten Sie Namen nennen aus der Gegenwart, aber auch aus der Geschichte des Bürgertums seit 1815, die mitgeholfen haben, leuchtende Stätten zu schaffen.

Museen, Konzertsäle, Theater, Gartenanlagen und Parks entstanden nicht dadurch, dass Bürger treu ihre Steuern gezahlt haben, sondern entstanden dadurch, dass Menschen, die Erfolg hatten, an diesem Erfolg ihre Heimatstädte Anteil nehmen ließen. Ich weiß aus dem Land, in dem ich zwanzig Jahre Verantwortung getragen habe, nahezu in jeder Stadt eine solche Familie, einen solchen Namen zu nennen, oft in der Folge mehrerer Generationen.

Ein derartiges Spendenergebnis für das Städel, 25 Millionen, davon 20 Millionen durch private Spender, hat es nach meiner Erinnerung und nach meiner Erfahrung in der deutschen Museumsgeschichte bisher nicht gegeben. Weil das so ist, und weil das froh und dankbar und glücklich macht, bin ich heute gern dabei und will ein Wort des Dankes sagen an die, die mitgewirkt und gespendet haben.

Ich möchte Sie, verehrte Frau von Metzler, besonders erwähnen, denn Sie sind nicht nur bei denen gewesen, die besorgt haben, sondern auch bei denen, die selber eine offene Hand gehabt haben für das, was hier im Städel neu entstanden ist.

Wir sollten uns einmal vergegenwärtigen, dass Bürger jenseits der Steuerpflicht mit Spenden- und Stiftungsgeldern für Kultur, Ökologie, Wissenschaft und Sport derzeit jährlich zehn Milliarden Mark für gemeinnützige Anliegen aufbringen. Zehn Milliarden Mark, jährlich! Ich finde, das ist Anlass zum Dank, das ist Anlass, die zu rühmen, die sich so verhalten, gerade in einer Zeit, in der das Stichwort Steuervermeidung für viele zu einem Stichwort ihres Lebens geworden zu sein scheint.

Dass es das gibt, dass Bürgersinn Stätten schafft wie das Städel - das neue Städel, die älteste private Museumsstiftung in Deutschland - das ist ein Anlass zur Freude. Denn wer stiftet, will anstiften, dass auch andere bereit sind, etwas zu tun - weit über das Zumutbare hinaus. Das gilt für Frankfurt, aber auch für alle unsere Städte und Gemeinden. Das gilt überall da, wo bürgerschaftlicher Gemeinsinn an die Stelle einer Lebenshaltung tritt, in der Menschen nur an sich selber denken.

Die Begegnung mit dem Bild, mit dem einzelnen Kunstwerk, kann den Menschen verändern, ihm neue Einsichten, neue Zugänge verschaffen. Rilke hat das einmal vor einer Rodin-Skulptur formuliert: Da ist keine Stelle, die dich nicht sähe. Du musst dein Leben ändern.

Es mag uns heute romantisch erscheinen, dass Bilder und dass bildende Kunst nicht nur auf uns wirken, indem wir die Schönheit, gelegentlich auch das Abstruse und das Dämonische aufnehmen, sondern dass durch die Art, wie wir Bilder sehen, wir selber andere Menschen werden. Das ist die Erfahrung nicht nur von Museumsdirektoren und Kunsthistorikern, sondern erlebte Erfahrung vieler Generationen, die nicht abgestumpft sind in einer Zeit der Informationsfülle, in der man zugedeckt wird mit Buchstaben und Bildern, in der man so viele Informationen bekommt, dass die Desinformation die natürliche Folge ist.

Menschen, die sich dem entziehen, werden durch Kunst freier, profilierter. Sie haben ein eigenes Gesicht, dem man anmerken kann, dass es sich in der Begegnung mit dem Kunstwerk verändert hat. Das wünsche ich diesem Museum: viele ungezählte Augen-Blicke im Wortsinne, Augenblicke, in denen wir etwas ansehen und dabei verändert werden. Alles Gute für's Städel!