Eröffnung des ZDF-Hauptstadtstudios

Schwerpunktthema: Rede

Berlin, , 3. Februar 2000

Rede von Bundespräsident Johannes Rau bei der Eröffnung

I.

Seit jetzt zehn Jahren ist der "Himmel über Berlin" kein "geteilter Himmel" mehr
Vieles, was zuvor "in weiter Ferne" war, ist nun "so nah".
Und so hat sich ein neuer "Stand der Dinge" ergeben der neue Standort der Berlinale.

Dafür war kein Manifest nötig - auch kein Oberhausener.
In diesem Jahr wird die Berlinale fünfzig. Herzlichen Glückwunsch!

II.

Andere als ich sind dazu berufen, den Standort des Festivals zu bestimmen. Sicher aber ist, dass knapp die Hälfte der über einhundertjährigen Geschichte des Films in Deutschland von diesem Festival mitgeschrieben worden ist.

Was wird man aber in fünfzig weiteren Jahren sagen? Findet die Diskussion über Film dann nur noch auf dem virtuellen Börsenparkett statt? Wie wird diese mediale Zukunft aussehen, wenn der Zuschauer und Benutzer technisch in Regiearbeiten eingreifen kann?

Garantieren "Global Player" die kulturelle Vielfalt oder führt Marktmacht - gewollt oder ungewollt ? zu einer Einebnung kultureller Traditionen?

III.

Dass Kultur und Geld nicht aus zwei verschiedenen Welten stammen, das kann jeder wissen, der sich einmal mit der Geschichte der Künste beschäftigt hat.

Mir scheint wichtig, in welchem Verhältnis Kultur und Geld zueinander stehen.

Nach meinem Eindruck ist in den vergangenen Jahren eine ziemlich einseitige Betrachtungsweise durch eine andere, genauso einseitige, ersetzt worden:

  • Früher begegnete man nicht nur in der Kommunalpolitik und nicht nur bei Finanzministern der Haltung, dass Kunst und Kultur in erster Linie ziemlich teure Angelegenheiten seien.
  • In den letzten Jahren hört man nicht nur von Kommunalpolitikern und von Wirtschaftspolitikern, dass Kunst und Kultur wichtige Standortfaktoren seien, mit denen man gutes Geld verdienen könne.

Wer Kultur in erster Linie als Kostenfaktor sieht, der liegt nach meinem Verständnis genauso falsch wie der, der bei Kunst und Kultur in erster Linie an wirtschaftliche Gewinnchancen denkt.

Ich finde es gut und richtig, dass zunehmend auch die wirtschaftliche Bedeutung von Kunst und Kultur erkannt wird.

Das darf aber nicht dazu führen, dass Filme und Bücher, Musik und Bilder, Skulpturen und Videokunst nicht mehr als Kulturgüter, sondern nur noch als Handelsware gesehen und behandelt werden.

Darum bin ich froh darüber, dass die Bundesregierung gemeinsam mit der französischen Regierung und unseren Partnern in der Europäischen Union darauf dringt, dass Kunst und Kultur auch nach einer weiteren Liberalisierung des Welthandels nicht wie x-beliebige Produkte behandelt werden.

IV.

Lassen Sie mich mit Blick auf Filme eine ganz persönliche Bemerkung anfügen:
In vielen Fernsehprogrammen werden Filme, auch große Filme, durch Werbung unterbrochen.

Ich empfinde das als Zumutung gegenüber Drehbuchautoren und Regisseuren, gegenüber Schauspielern und allen, die mit Leib und Seele dafür arbeiten, dass ein Film gelingt.

Ich gebe zu, dass man diese Entwicklung auch anders sehen kann. So, wie Loriot das anlässlich der Immatrikulationsfeier der Freien Universität Berlin am 20. Oktober letzten Jahres getan hat.

"Die Universitäten neigen dazu, "so sagte er, "durch ein überreichliches Arbeitspensum das geregelte Fernsehen zu erschweren.
Ihr aber solltet nicht nachlassen, vor allem die Werbung intensiv zu verfolgen, die ja leider alle paar Minuten durch unverständliche Spielfilmteile unterbrochen wird.

Dann wisst ihr, was unser Leben so glücklich macht:
Nicht Wissen, nicht Bildung, nicht Kunst und Kultur ... Nein, nein ..., es ist der echte Kokosriegel mit Knusperkruste, die sanfte Farbspülung für den Kuschelpullover und der Mittelklassewagen für die ganze glückliche Familie mit Urlaubsgepäck und Platz für ein Nilpferd."

Soweit Loriot über die Welt des Films im Fernsehen.

Diese Entwicklung ist ein weiterer Grund dafür, dass wir nicht nur die Berlinale brauchen, sondern möglichst viele Kinos mit einem attraktiven Programm.

Ich bin sehr für Vielfalt, auch im Kino, und ich wünsche mir, dass der deutsche Film in den kommenden Jahren kräftig ? vielleicht noch ein bisschen kräftiger ? zu dieser Vielfalt beiträgt.

Unterschiedliche Lebensformen und Lebensstile sind eine Bereicherung unseres Lebens. Das setzt Neugier auf den anderen oder das andere voraus. Wenn das auch in fünfzig Jahren nicht nur im Kino funktioniert, dann wird dieses Filmfestival darüber weiter bildhaft Zeugnis ablegen.

V.

Die Berlinale ist ein Nachkriegskind. Sie ist durch manch raue See gesteuert. Auf diesem Wege sind das "Internationale Forum des Jungen Films" und die "Stiftung Deutsche Kinemathek" entstanden.

Sie hilft mit, dass die Erinnerung an viele Regisseure und Schauspieler jüdischen Glaubens wachgehalten wird, die in den dreißiger Jahren Deutschland verlassen mussten und von denen manche in den USA ihre Karriere erfolgreich fortsetzen konnten.

Andere, wie Marlene Dietrich, nach der der Platz vor dem Berlinale-Palast benannt ist, haben Deutschland aus Abscheu gegenüber den Nationalsozialisten den Rücken gekehrt, obwohl sie exzellente Angebote hatte.

Der historische Ort, an dem wir hier sind, verpflichtet uns, auch das in Erinnerung zu behalten.

Die fünfzigste Berlinale wird heute mit dem neuesten Film von Wim Wenders eröffnet.
Er gehört zu denen, die dem deutschen Film - weit über unser eigenes Land hinaus - immer wieder neues Interesse, neue Anerkennung und ? das kann und soll man durchaus anfügen ? auch neuen Glanz gebracht haben.

Ich freue mich mit Ihnen auf "The Million Dollar Hotel". Wir alle sind sehr gespannt auf das, was wir sehen und hören werden.
Damit diese Spannung weichen kann, erkläre ich die Internationalen Filmfestspiele Berlin, die Berlinale, hiermit für eröffnet.