Besuch des koreanischen Präsidenten Kim Dae-Jung

Schwerpunktthema: Rede

Berlin, , 9. März 2000

Tischrede von Bundespräsident Johannes Rau anlässlich eines Abendessens für den koreanischen Präsidenten Kim Dae-Jung im Schloss Bellevue

Herr Präsident,

sehr verehrte Frau Lee,

meine Damen und Herren,

ich heiße Sie noch einmal herzlich willkommen in Deutschland.

Ich freue mich besonders darüber, dass ich Sie weniger als zwei Jahre nach dem letzten deutschen Staatsbesuch in Seoul bei uns begrüßen kann. Es gibt wohl kaum ein besseres Zeichen für die engen Beziehungen zwischen Korea und Deutschland, die sich in guten und in schwierigen Zeiten bewährt haben.

Unsere Völker verbindet vieles. Deutsche und Koreaner haben einander vor mehr als hundert Jahren kulturell "entdeckt". Recht, Medizin und Musik aus Deutschland haben im koreanischen Alltag Eingang gefunden. Wie sehr die koreanische Kultur uns Deutsche fasziniert, hat sich im vergangenen Jahr bei den großen Ausstellungen koreanischer Kunst in Berlin und in Essen gezeigt.

Zu den engen und vertrauensvollen Bindungen und Beziehungen, die wir heute pflegen, tragen seit langem auch die über 20.000 Koreaner bei, die in Deutschland leben. Das ist eine kleine, überaus kreative Gemeinde, die hohes Ansehen hat, sei es als Künstler, als Geschäftsleute und im Bereich der Dienstleistungen. Sie sind hervorragende Botschafter ihres Landes.

Herr Präsident, Sie haben als "Vater der koreanischen Demokratie" in Deutschland viele Bewunderer und viele Freunde. Manche von uns haben aus der Ferne erlebt, erfahren und zum Teil zu begleiten versucht, was Sie an Opfern und Leiden in Ihrem Einsatz für Demokratie und Gerechtigkeit auf sich nehmen mussten. Das hat Sie nie in der Überzeugung beirren können, dass der Wunsch nach Demokratie allen Menschen eigen ist – unabhängig davon, in welcher kulturellen Tradition sie aufgewachsen sind.

Demokratie erlaubt der Gesellschaft zu atmen. Wenn Demokratie im Namen kultureller Besonderheiten eingeschränkt werden soll, dann ist das oft nur ein Versuch, Menschenrechtsverletzungen zu bemänteln. Ihr Land hat mit Ihnen, Herr Präsident bewiesen, dass Demokratie nicht bloß eine privilegierte Nische der westlichen Kultur ist.

Sie selbst haben in Ihrem berühmten Aufsatz in "Foreign Affairs" nochmals verdeutlicht, dass Demokratie auch in asiatischen Kulturen eigene Wurzeln hat. "Asien hat dem Rest der Welt viel zu bieten", so haben Sie argumentiert, "sein reiches Erbe an demokratisch orientierten Philosophien und Traditionen kann zur Entwicklung einer globalen Demokratie einen bedeutenden Beitrag leisten." Die stabilen Demokratien in Japan und Indien und die Welle der Demokratisierung in Ihrem eigenen Land, auf den Philippinen und neuestens auch in Indonesien belegen diese Ihre These.

Wir sind froh darüber, dass Sie in Ihrem Kampf für die Demokratie auch deutsche Mitstreiter an Ihrer Seite hatten. Es waren Freunde wie Willy Brandt, wie Richard von Weizsäcker, wie Hans-Dietrich Genscher, aber auch Stiftungen wie die Friedrich-Ebert-Stiftung, die sich für Sie eingesetzt haben. Gerade die Stiftungen haben im weltweiten Demokratisierungsprozess immer eine bedeutende Rolle gespielt.

Ihre Lebensphilosophie des Ausgleichs und der Versöhnung hat auch die "Sonnenscheinpolitik" gegenüber Nordkorea geschaffen. Ich weiß, dass diese Politik des "Wandels durch Annäherung" – unter dieses Motto hatte Willy Brandt seine Ostpolitik gestellt – auch auf Widerstand gestoßen ist. Umso mehr bewundern wir Deutschen den Mut und die staatsmännische Weisheit, mit der Sie diesen Weg gehen. Unsere eigene Erfahrung sagt uns: Aus Sonnenschein wird auf lange Sicht Tauwetter. Ich wünsche Ihnen, dass die Regierung in Pjöngjang die Gesprächsbereitschaft des Südens als Chance begreift.

Die Erfahrung einer geteilten Nation verbindet uns und unsere Völker. Deutschland hat die unnatürliche Grenze in seiner Mitte überwunden. Ihr Land leidet noch heute unter der willkürlichen Trennung von Freunden und Familien durch das letzte Stück des Eisernen Vorhangs.

Wir mögen die Zeit der Teilung hinter uns haben - aber wir haben diese Zeit noch nicht vergessen. Wir haben lernen müssen, dass das Leben in unterschiedlichen Gesellschaftssystemen die Menschen tiefer geprägt hat, als wir das vermutet hätten. Der Weg zueinander ist oft länger und schwieriger, als man glaubt.

Für Deutschland kam der Fall des "Eisernen Vorhangs" überraschend. Wenn für Ihr Land die Chance zur Beendigung der Teilung kommt, werden Sie nach den deutschen Erfahrungen besser wissen, wie Sie es anpacken sollen. Wir werden Ihnen mit Rat und Tat zur Seite stehen, wenn Sie uns brauchen.

Herr Präsident, Korea gilt weit über Asien hinaus als wirtschaftliches Musterland. Fortschritt ist aber oft nicht ohne Rückschläge zu haben. Ihr Land hat gerade eine schwere Wirtschaftskrise überstanden. Solche Turbulenzen können für eine junge Demokratie zur bedrohlichen Probe aufs Exempel werden. Wer wüsste das besser als wir Deutschen, deren erste demokratische Staatsordnung, die Weimarer Republik, von der Weltwirtschaftskrise 1929 so weit destabilisiert wurde, dass sie zur Beute der Nationalsozialisten werden konnte.

Korea hat die Krise glänzend bewältigt: mit Besonnenheit, mit Mut und mit dem Fleiß, der Ihrem Volk eigen ist. Die Erfolge der Strukturreformen, die Sie inmitten der Wirtschaftskrise in Angriff genommen haben, haben Ihrer Politik der Öffnung von Wirtschaft und Gesellschaft recht gegeben.

Dass deutsche Unternehmen, die seit vielen Jahren in Korea vertreten sind, immer an die Reformfähigkeit Ihres Landes geglaubt haben, haben sie gerade während der Wirtschaftskrise durch verstärkte Investitionen bewiesen.

Koreanische Firmen haben inzwischen auch viel in Deutschland investiert, besonders in den Neuen Ländern. Deutschland ist in der Tat ein attraktiver Standort. Von hier aus lassen sich der europäische Binnenmarkt und die nahen Märkte in Mittel- und Osteuropa besonders leicht erschließen.

Korea und Deutschland sind einander in hundert Jahren näher gerückt. Wir teilen die Erfahrung, dass geografische Entfernungen im Zeitalter der Globalisierung nicht mehr viel bedeuten. Aber die neue Nähe bereichert uns:

Gewachsene Gemeinsamkeit steht in der heutigen Welt oft in fruchtbarer Spannung zu dem Reiz, der aus den Unterschieden der Kulturen erwächst. Universelle Zivilisation und kultureller Pluralismus schließen sich so wenig aus wie Vielfalt und Einheit etwa im heutigen Europa. Vor einer offenen Gesellschaft braucht sich niemand zu fürchten.

Die Herausforderungen der Globalisierung werden wir am besten meistern, wenn wir im Bewusstsein dereinenWelt handeln und eine Kultur der guten Nachbarschaft als Muster der Außenpolitik entwickeln. Das gilt unabhängig von der Geographie. In dieser Verantwortung werden Korea und Deutschland auch weiterhin als gute Partner zusammenarbeiten.

Meine Damen und Herren, ich darf Sie bitten, mit mir das Glas zu heben und einen Toast auszubringen auf die Gesundheit von Präsident Kim Dae-Jung, auf das Wohl des koreanischen Volkes und auf die Freundschaft zwischen Korea und Deutschland.