Ansprache in Kalavryta

Schwerpunktthema: Rede

Kalavryta, , 4. April 2000


Herr Präsident,
Herr Bürgermeister,
meine Damen und Herren,

die Uhr des Kirchturms von Kalavryta zeigt noch immer jene Minute des 13. Dezember 1943 an, die der Beginn der Leidensgeschichte für die Einwohner dieser Stadt war. Wo einst der Freiheitskampf der Griechen seinen Ursprung genommen hatte, herrschten an jenem Dezembertag 1943 Gräuel und Verwüstung, die deutsche Soldaten angerichtet haben, als die Wehrmacht aus Rache alle männlichen Einwohner, darunter Kinder und Jugendliche, umbrachte.

Ich bin hierher gekommen, um die Erinnerung daran in Deutschland wach zu halten. Ich empfinde hier, an dieser Stätte, tiefe Trauer und Scham.

Nur wer seine Vergangenheit kennt und annimmt, kann den Weg in eine gute Zukunft finden.

Ich danke Ihnen beiden, Herr Präsident, Herr Bürgermeister, dass Sie mich hierher begleitet haben, an einen Ort, an dem Sie selber Angehörige und Freunde verloren haben.

Ein halbes Jahrhundert nach Ende des Krieges gehen Griechen und Deutsche zusammen den Weg in eine gemeinsame europäische Zukunft. Gemeinsam haben wir die Chance, für Europa eine Zukunft des Friedens, der Menschenrechte und der Demokratie zu gestalten. In einem solchen Europa werden Gräuel und Verwüstung nirgendwo mehr einen Platz haben.

Die jungen Menschen in unseren Ländern haben ein eigenes Interesse daran, dass sie sich allen Formen des Hasses, der Intoleranz, der Verachtung der Menschenwürde, der Barbarei und des Krieges widersetzen.

Die Erfahrung lehrt uns: Das gelingt am besten, wenn wir alte Trennlinien in Europa überwinden, wenn wir uns neuen Barrieren entgegenstellen und gute Nachbarschaft über die Grenzen hinweg pflegen. Nur in einer Welt, in der nicht Gewalt, Hass und Ausgrenzung regieren, können junge Menschen ihre Begabungen und Fähigkeiten voll entfalten.

Schon im alten Griechenland hatten die Zusammenkünfte der Jugend zu sportlichem Wettkampf friedenstiftende Funktion und sie dienten der Völkerverständigung. Das wünsche ich mir in Zukunft auch für möglichst viele Begegnungen zwischen griechischen und deutschen Jugendlichen.

Darum habe ich gerne eine Idee aus Wolfsburg aufgegriffen, einer Stadt in Norddeutschland, und ich lade eine Gruppe von Jugendlichen aus Kalavryta zu einem Deutschlandbesuch ein. Ich hoffe, dass dieser Besuch der Beginn einer langen Kette von Kontakten zwischen jungen Griechen und jungen Deutschen sein wird.

Dann wird sich zeigen, dass von hier, von Kalavryta, diesem Ort der Erinnerung, auch ein Weg in die Zukunft seinen Anfang nimmt.