Grußwort zur Internationalen Konferenz "RURAL 21"

Schwerpunktthema: Rede

Potsdam, , 5. Juni 2000

Herr Bundesminister,
Herr Generaldirektor,
Herr Ministerpräsident,
Herr Oberbürgermeister,

ich habe sehr gern die Schirmherrschaft über diese Konferenz übernommen, weil ich glaube, dass die Entwicklung ländlicher Räume ein Thema ist, das uns noch stärker beschäftigen sollte, als es das tut. Wir haben sehr viele Diskussionen über "Global Cities", und diese Diskussionen sind wichtig. Wir sollten aber nicht übersehen, dass die weit überwiegende Zahl der Menschen nach wie vor in ländlichen Räumen lebt. Die Tatsache, dass in den sogenannten Entwicklungsländern immer mehr Menschen in die großen Städte ziehen, hängt ja wesentlich mit den Lebensumständen der Menschen in den ländlichen Räumen zusammen.

Vor wenigen Tagen wurde in Hannover die EXPO 2000 eröffnet. Wie Sie alle wissen, steht die EXPO, die einige von Ihnen auch besuchen werden, unter dem Thema "Mensch, Natur, Technik". "Eine neue Welt gestalten" so lautet der Untertitel. Es soll eine Welt sein, in der unsere Kinder gern leben und in der sie gut leben können. Die Richtung, in die es gehen muss, haben die Vereinten Nationen 1992 in Rio skizziert. Der entscheidende Begriff lautet "Nachhaltigkeit".

Wer sich ein bisschen mit der Geschichte der Philologie beschäftigt, der weiß, der Begriff stammt von einem süddeutschen Forstmeister in der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts. Er hat den Begriff geprägt speziell für die Forstwirtschaft und von da aus ist er im Zuge der Veränderungen des letzten halben Jahrhunderts in die politische Sprache aufgenommen worden. Nachhaltigkeit ist auch der Begriff, unter dem die Entwicklung ländlicher Räume steht oder zumindest stehen sollte. Nachhaltigkeit muss ein Prinzip des Wirtschaftens sein, aber auch eines der sozialen und der internationalen Beziehungen. Allerdings wird der Begriff inzwischen inflationär gebraucht. Sein Inhalt ist deshalb unklar geworden. Er scheint zu einem PR-, zu einem Marketingbegriff zu werden, und die Gefahr der Inflationierung und der Entwertung ist groß.

Ich bin deshalb dankbar für die Definition, die Boutros Gali in Rio in seiner Eröffnungsrede gegeben hat. "Die Bedürfnisse der Gegenwart so zu erfüllen, dass die Entwicklung künftiger Generationen nicht gefährdet wird."

Weit über den Kreis der Teilnehmerinnen und Teilnehmer hinaus, hat die Rio-Konferenz damals eine geradezu euphorische Stimmung ausgelöst. Man konnte den Eindruck gewinnen, weltweit seien fast alle Politiker gemeinsam mit den NGOs wirklich bereit, etwas bewegen zu wollen. Der Euphorie ist schnell die Ernüchterung gefolgt und heute muss man sagen, die Erwartungen des Jahres 1992 sind weitgehend enttäuscht worden. Das trifft ganz besonders hart nicht die Menschen, die bei uns leben, sondern die Menschen in den sogenannten Entwicklungsländern, die überwiegend in ländlichen Gebieten leben, die von Ernährungsunsicherheit und Armut geprägt sind. Vielen von Ihnen geht es heute schlechter als vor acht Jahren. Sie leiden zunehmend unter Umweltbelastungen, und sie haben nicht teil an dem, was wir an Vorteilen aus der globalen Wirtschaft ziehen.

Nach meinem Eindruck müssen wir aufpassen, damit die Globalisierung der Wirtschaft nicht zu einer vertieften Spannung in der Welt führt, einer Spaltung in arme und reiche Länder, in dynamische und in perspektivlose Regionen. Viele ländliche Räume in den Entwicklungsländern leiden heute unter fehlenden Arbeitsplätzen, unter niedriger, auch landwirtschaftlicher Produktivität, unter der Konkurrenz um die natürlichen Lebensgrundlagen, vor allem um Boden und Wasser, unter mangelnden Hygiene- und Gesundheitsbedingungen, unter einer mangelhaften Infrastruktur was Bildung, Kapital und Finanzierungsmöglichkeiten angeht.

In den hochindustrialisierten Ländern können wir uns selbst in Gegenden, in denen die Bodenspekulation eine erhebliche und negative Rolle spielt, kaum noch vorstellen, welch existentielle Bedeutung der Produktionsfaktor Boden haben kann.

Ein zentrales Konfliktfeld der Zukunft wird die Versorgung mit Trinkwasser sein. Viele Experten erwarten, dass Kriege in Zukunft weniger um Öl als um Wasser geführt werden. Ich fürchte, sie haben recht. Darum habe ich auch zugesagt, den Internationalen Wasserkongress im Oktober in Berlin zu eröffnen. Auch wenn sich Umweltschutz langfristig rentiert, kurzfristig muss man sich Umweltschutz leisten können. Ich sehe hier eine große Verantwortung der Industrieländer, nicht zuletzt als Kapitalgeber und als Investoren.

Die Bundesrepublik Deutschland unterstützt die ländliche Entwicklung in vielen Regionen der Welt. Die Ziele sind klar umrissen. Es geht darum, die Einkommen aus landwirtschaftlicher Produktion zu steigern. Es geht darum, die natürlichen Ressourcen standortgerecht und umweltverträglich zu nutzen. Es geht darum, Bildung und Ausbildung zu fördern, und es geht darum, eine leistungsfähige physische und soziale Infrastruktur aufzubauen.

Unsere finanziellen Aufwendungen für die Entwicklung ländlicher Räume in den weniger industrialisierten Ländern sind keine Almosen. Es gibt auf lange Sicht kaum Geld, das besser angelegt werden könnte. Jede Mark und jeder Euro helfen, Konflikte zu vermeiden. Sie helfen, den Boden dafür zu bereiten, dass die Menschenrechte weltweit geachtet werden können. Und es nutzt unserer heimischen Wirtschaft, wenn alle Länder in den globalen Handel einbezogen werden können.

Ich wünsche mir einen Wettbewerb um die beste Strategie für weltweiten Umweltschutz und weltweite Entwicklung. Darüber werde ich auch mit dem Generalsekretär der Vereinten Nationen sprechen, wenn er am 3. Juli hier nach Deutschland kommt. Nach den Sommerferien möchte ich zudem mit einem kleinen Expertenkreis im Schloss Bellevue darüber beraten, wie wir den globalen Zustand und die globale Entwicklung unserer natürlichen Lebensgrundlagen stärker ins öffentliche Bewusstsein rücken können.

Die gute wirtschaftliche Entwicklung in Deutschland und in der gesamten europäischen Union darf nicht dazu führen, dass wir wieder in den alten Trott verfallen und Wirtschaftswachstum ohne Rücksicht auf die ökologischen Folgen propagieren. Umweltschutz bleibt überlebensnotwendig für die ganze Menschheit. Umweltschutz ist auch ein Motor für die technische Innovation bei Produkten und Herstellungsverfahren.

Bei Diskussionen über die Erfolge und die Misserfolge in der Entwicklungszusammenarbeit wird immer wieder auf Misswirtschaft, auf krasse Fehlentwicklungen in manchen Ländern des Südens hingewiesen. Ohne Zweifel gibt es das. Aber auch wir müssen uns fragen, ob beispielsweise die europäische Landwirtschaftspolitik unseren eigenen Ansprüchen an Gerechtigkeit und globale Verantwortung entspricht. Schließlich trägt die gemeinsame Agrarpolitik globale Verantwortung für die Welternährung.

Es ist gut, dass die Exportsubventionen für Getreide in wenigen Jahren abgebaut sein werden. Dennoch muss man manchmal den Eindruck gewinnen, dass die rechte Hand nicht nur nicht weiß, was die linke tut, sondern dass sie es auch gar nicht wissen will. So stellt kaum jemand laut die Frage, was unsere subventionierten Agrarexporte in den Entwicklungsländern bewirken oder anrichten können.

Ich weiß, wie wichtig unsere heimische Landwirtschaft für die Versorgung der Bevölkerung und für den Naturschutz ist. Aber das gilt auch für die Landwirtschaft in den Entwicklungsländern. Deshalb bin ich für einen fairen Ausgleich zwischen den Landwirten in Nord und Süd. Deshalb bin ich für eine inhaltliche Abstimmung der Europäischen Agrar- und Handelspolitik mit der Entwicklungspolitik. Deshalb bin ich dafür, dass auch die sogenannten Entwicklungsländer eigenverantwortlich und selbstbewusst an den WTO-Verhandlungen teilnehmen.

Wir müssen neue Wege finden, wie die berechtigten Interessen der deutschen Landwirte so zur Geltung kommen, dass sie nicht zu Lasten ihrer Kollegen im Süden der Welt gehen.

Meine Damen und Herren, ich will noch einmal sagen: Wir haben nur diese eine gemeinsame Welt, und darum sind wir aufeinander angewiesen. Wer in dieser gemeinsamen Welt glaubt, wirtschaftliche Standortkonkurrenz über niedrige Umweltstandards führen zu können, der erliegt einem Irrtum, vor dem er durch entsprechende politische Entscheidungen bewahrt werden muss. Darum halte ich es für eine wichtige und dringende Aufgabe, in Europa endlich eine abgestimmte Umweltpolitik mit ökologischen Mindeststandards zu erreichen.

Natürlich gibt es auch in Europa und bei uns in Deutschland strukturschwache Räume, in denen die wirtschaftliche und soziale Entwicklung besonders gefördert werden muss. Es liegt aber auch auf der Hand, dass die Instrumente, die wir nutzen können, weitaus vielfältiger und die Ergebnisse ermutigender sind. Davon werden Sie bei Ihren Exkursionen manches sehen und in den Arbeitsgruppen hoffentlich besprechen.

Wir sind in den letzten Jahren schon ein gutes Stück vorangekommen. Ich bin aber überzeugt: Wir können es noch besser. Ich verspreche mir von Ihrer Tagung wichtige Impulse für die künftige Entwicklung. Wichtige Anregungen erhoffe ich auch vom EXPO-Projekt "Dorf 2000".

Ich wünsche allen Teilnehmerinnen und Teilnehmern Ihrer Konferenz eine erfolgreiche Tagung, und ich hoffe, dass Sie viel von dem Elan, den Sie hier gewinnen, mitnehmen und dass Sie viele Ideen zuhause verwirklichen können: Zu unser aller Nutzen und für unsere "Eine Welt".

Ich heiße Sie noch einmal herzlich willkommen.