Tischrede anlässlich eines Abendessens für den iranischen Staatspräsidenten Mohammed Chatami

Schwerpunktthema: Rede

Berlin, , 11. Juli 2000

Herr Präsident Chatami,

meine Damen und Herren,

ich heiße Sie noch einmal von ganzem Herzen in Deutschland willkommen. Wir begrüßen Sie als ein Staatsoberhaupt, als einen Theologen und Philosophen, der Okzident und Orient gleichermaßen kennt. Sie kommen in ein Land, das Ihnen durch mehrjährige Arbeit am Islamischen Zentrum in Hamburg vertraut ist. Sie haben damals - vor zwanzig Jahren - unsere Sprache gelernt, Kant studiert und sich intensiv mit der deutschen und der westlichen Geisteswelt auseinandergesetzt.

Wir haben in den Beziehungen zwischen Deutschland und dem Iran schwierige Zeiten hinter uns -und wir haben Aufgaben vor uns, die nicht leicht sind. Ich wünsche mir, dass Ihr Besuch den Dialog zwischen unseren Ländern, der zeitweise ins Stocken geraten war, wieder in Gang setzt. Wir begrüßen in Ihnen den Urheber des Vorschlags, das Jahr 2001 zum Jahr des "Dialogs der Kulturen" zu machen.

Im vergangenen Jahr haben Sie in einer Rede an der Universität von Florenz Lessings "Nathan der Weise" als ein Werk zitiert, in dem - die Spuren islamischer Zivilität bei der Ausbildung des Geistes der Toleranz in Europa deutlich erkennbar - seien.

Dass Ihnen dieses Herzstück deutscher Literatur so nahe steht, berührt mich tief. Lessings Botschaft, die religiöse Toleranz, ist aktueller denn je. Die Aufklärer des 18. Jahrhunderts wussten sehr wohl, dass - bei allem Leid, das sich Christen und Muslime in ihrer wechselvollen Geschichte angetan haben - auch der Islam zu den geistigen Quellen Europas gehört.

Die europäische Moderne ist ohne diese Quelle nicht denkbar. Der klassische aufgeklärte Islam war ja zwischen dem 9. und 14. Jahrhundert selbst Vorbote und Wegweiser der Moderne. In Mathematik und Kartographie, in Philosophie und Medizin waren es islamische Gelehrte, die dem mittelalterlichen Westen die Erkenntnisse der griechischen Antike vermittelten. Schriften von Aristoteles und Plato wären ohne die Übersetzungen von Ibn Sina und Ibn Rushd für uns verloren. Kluge Herrscher wie Kaiser Friedrich II. oder Alfons der Weise von Kastilien arbeiteten mit islamischen Gelehrten. Erst vor wenigen Wochen hatte ich Gelegenheit, den Dom von Monreale bei Palermo zu besichtigen, ein Symbol der fruchtbaren Begegnung normannischer, sarazenischer und byzantinischer Architektur aus dem zwölften Jahrhundert.

Die fruchtbarste kulturelle Begegnung zwischen Deutschland und Persien geschah vor fast zweihundert Jahren in den Formen der Poesie: zwischen Goethe und Hafis. Wir werden das morgen in Weimar symbolisch unterstreichen, wenn wir gemeinsam das Denkmal des Hafis einweihen.

Welch ein Sinnbild für den deutsch-iranischen Dialog! Goethe hat im hohen Alter den persischen Dichter, der 500 Jahre vor ihm lebte, über Raum und Zeit hinweg als Geistesverwandten entdeckt. Im "West-östlichen Divan" hat er ihm ein Denkmal gesetzt. In Hafis war er einem Geist von umfassender Offenheit begegnet, der auch in unruhiger Zeit auf der Suche nach gültigen Werten war. Er lehnte entschieden die selbsternannten Richter ab, die einer versteinerten Orthodoxie dienten.

Zu Goethes Zeiten war der Dialog der Kulturen eine Sache von wenigen. Heute haben wir viel handfestere Motive, das Gespräch zu suchen. Es reicht, in Köln in die U-Bahn zu steigen oder in Kreuzberg Gemüse einzukaufen. In Deutschland bekennen sich über drei Millionen Menschen zum islamischen Glauben. Ästhetischer Genuss, poetische Liebhaberei oder intellektuelle Faszination sind nicht mehr die bestimmenden Motive, sich mit dem Islam zu beschäftigen.

Wir stehen vor ganz praktischen Fragen wie:

  • Wie üben wir alltägliche Rücksichtnahme und Toleranz?
  • Wie soll der Religionsunterricht an unseren Schulen aussehen?
  • Können wir mit einem Minarett in der Nachbarschaft leben?

Ähnliche Fragen werden sich spiegelbildlich in islamischen Ländern gegenüber westlichen Einflüssen stellen. Wir können doch nur gewinnen, wenn wir von einander lernen.

Herr Präsident,

die deutsch-iranischen Beziehungen sind seit vielen Generationen eng und intensiv. Sie beruhen auf einem breiten und soliden Fundament persönlicher, wirtschaftlicher und kultureller Verbindungen, das alle Wechselfälle der Geschichte überdauert hat und, so hoffe ich, auch weiter überdauern wird. Zehntausende von Iranern haben in Deutschland studiert. Viele von ihnen sind in Deutschland geblieben und haben wichtige Positionen in Wissenschaft und Wirtschaft errungen. Sie beleben unsere Kultur.

Was im Iran geschieht, hat Bedeutung über die Grenzen Ihres Landes hinaus. Die Frage, ob eine Synthese zwischen parlamentarischer Demokratie und islamischer Fundierung, wie sie im Iran versucht wird, in einem modernen Staatswesen erfolgreich und auf Dauer verwirklicht werden kann, ist eine Frage, von weltweitem Interesse ist.

Sie, Herr Präsident, haben sich ehrgeizige Ziele gesteckt. Wie auch Deutschland und Europa steht der Iran vor der Herausforderung, seine politischen, gesellschaftlichen und wirtschaftlichen Strukturen so zu verändern und anzupassen, dass sie eine Chance haben, die Globalisierung zu beherrschen, anstatt von ihr beherrscht zu werden.

Wie können wir diese Herausforderung, vor der wir im Okzident wie im Orient stehen, am besten meistern? Lassen Sie mich meine Überzeugung auf einen einfachen Nenner bringen:

Demokratische Regierungsformen, die die Rechtsstaatlichkeit gewährleisten, die Menschenrechte sichern, die Pressefreiheit gewähren und die Minderheiten schützen, sind der beste Weg zu Frieden und Wohlstand. Zu diesen Zielen führen Wege aus allen Kulturen. Deshalb brauchen wir das Gespräch miteinander.

Herr Präsident, die Beziehungen zwischen dem Westen und den islamischen Ländern haben lange darunter gelitten, dass ein echter Dialog zwischen gleichen Partnern unmöglich schien. Sie haben stets daran festgehalten, dass Dialog und Verständigung zwischen den verschiedenen Kulturen nicht nur möglich, sondern notwendig sind.

Wir werden morgen an klassischer Stätte in Weimar eben diesen Dialog zum Thema Westen-Islam führen. Wir wollen sprechen über Toleranz und Verständnis, über Tradition und Moderne. Ich möchte diesen Dialog im Geiste der fruchtbaren Auseinandersetzung fortsetzen, die zwischen Goethe und dem Werk des Hafis stattgefunden hat.

Lassen Sie mich darum zum Schluss die berühmten Verse aus dem "West-östlichen Divan" zitieren, die uns in der Unruhe des politischen und intellektuellen Streits an unsere Pflicht zur Bescheidenheit, zur Mäßigung und zur Versöhnung mahnen, und die uns für unseren Dialog als Motto dienen sollten:

Gottes ist der Orient!

Gottes ist der Okzident!

Nord- und südliches Gelände

Ruht im Frieden seiner Hände.