Grußwort aus Anlass der Einweihung des Ignatz-Bubis-Gedenkstipendienfonds für Jüdische Studien an der Universität Tel Aviv

Schwerpunktthema: Rede

Tel Aviv, , 22. Mai 2001

"Ich glaube an die Sonne, auch wenn sie nicht scheint. Ich glaube an die Liebe, auch wenn ich sie nicht fühle. Ich glaube an Gott, auch wenn er schweigt."

Das ist eine Aufschrift an der Wand eines Kellers in Köln, in dem sich während des Krieges Juden versteckt haben. Zvi Kolitz hat sie uns in seiner bewegenden Erzählung über Jossel Rakover übermittelt. Mir scheint sie wie ein Leitmotiv auch über dem Leben von Ignatz Bubis zu stehen. Und sie kann uns als Leitmotiv in einer Gegenwart dienen, die für Israel und für die Freunde Israels nicht einfach ist.

Ignatz Bubis hat sich als Brückenbauer verstanden. Er wollte Juden das Leben in Deutschland wieder selbstverständlich möglich machen. Er wollte nicht Jude oder Deutscher sein, sondern Jude und Deutscher. Judentum sei kein nationaler Prägestempel, sondern ein Glaubensfrage, so hat er sich geäußert. Er hat das Gespräch mit Andersdenkenden gesucht. Er hat nicht leichtfertig die Position des Inhabers eines guten Gewissens beansprucht, die ihm so einfach zugänglich gewesen wäre. Er hat sich für ein Leben in der Realität eingesetzt und die widersprüchlichen Realitäten zu versöhnen gesucht. Damit hat er deutschen Christen und deutschen Juden einen unendlich großen Dienst erwiesen. Sein Satz "Würden alle Juden Deutschland verlassen, dann gäbe man Hitler nachträglich Recht" war ein Kernsatz der deutsch-jüdischen Versöhnung.

Wir wissen, dass ihn auch Momente der Trauer und der Resignation begleitet haben, besonders in seinen letzten Jahren. An seinem Lebensziel der Versöhnung hat das nichts geändert. Durch die Einrichtung des Ignatz-Bubis-Gedenkstipendienfonds hält die Universität Tel Aviv dieses Lebensziel von Ignatz Bubis über seinen Tod hinaus lebendig. Die Erforschung des gemeinsamen Lebens von Juden und Christen in Deutschland wird den Reichtum der gemeinsamen Geschichte, der wechselseitigen Befruchtung ebenso erkennbar machen wie den Kulturbruch, der diese fruchtbare Symbiose zu einem brutalen Ende gebracht hat. Das ist ein Werk, das wie kein anderes als Ignatz Bubis' Vermächtnis wirken wird.

Es kann auch zum Verständnis für Vorgänge beitragen, die uns, die Freunde Israels, bedrücken, wenn wir die derzeitige Situation in dieser Region betrachten. Mancher Gedanke geht uns durch den Kopf. Aber wir haben nicht das Recht, Ratschläge zu geben in einer Situation, die so schwierig ist wie seit der Zeit vor dem Oslo-Prozess nicht mehr.

Ich gestehe, dass auch ich ratlos bin. Fragen mögen mir erlaubt sein. Die Antworten werden andere geben. Die Antworten wird vor allem die Geschichte geben.

Ich erinnere mich noch, wie Shimon Peres und ich während meines Staatsbesuchs im vergangenen Jahr gemeinsam einen Industriepark im palästinensisch-israelischen Grenzbereich eingeweiht haben. Ich erinnere mich, wie bewegend das war. Wir standen auf einem Gelände, das soeben erst von Minen geräumt worden war. Der Industriepark sollte grenzübergreifend Wohlstand schaffen, sollte Zusammenarbeit fördern und sollte dadurch dem Frieden eine Basis schaffen. Ich frage mich, was aus diesem Projekt inzwischen geworden ist.

Ich frage mich, welche Zielrichtung europäische Politik für diese Region haben sollte. Diese von Gott gesegnete Erde, in der die jüdische, die christliche und - in der weiteren Region - auch die islamische Tradition ihren Ursprung haben, muss wieder zu einer Quelle humaner und kultureller Entfaltung werden. Sie darf nicht zu einem Ort der Vernichtung von Leben und Kultur werden. Es muss im europäischen Interesse sein, die Kräfte der Region zu stärken, die auf Mäßigung zielen.

Der europäische Beitrag wird auch wirtschaftlicher Natur sein müssen. Die politische Verantwortung kann den politischen Akteuren niemand abnehmen. Die einigende Kraft eines großen Wirtschaftsraums mit weniger Barrieren begünstigt langfristig den Frieden. Das zumindest ist die europäische Erfahrung. Die Vertiefung von Trennlinien, die Schaffung von Blöcken dienen dem Frieden nicht.

Demokratie darf auch in einer Krisenregion nicht verhindert werden, sie muss gefördert werden. Der Durchbruch der Demokratie in vielen Ländern der Welt hat oft zur Stabilität und zum Wohlstand geführt. Auch diese Entwicklung zu fördern, halte ich für eine wichtige europäische Aufgabe. Europa, das in der Geschichte mit dem Judentum aufs engste verbunden ist und das selbst erst nach Jahrhunderten der Zerrissenheit seine Einheit gefunden hat, darf sich dieser Aufgabe nicht entziehen.

Ich zitiere Shimon Peres, den eine deutsche Zeitung vor kurzem als "Israels letzten Europäer" bezeichnet hat. Er hat seine europäischen Freunde gewarnt, "dass sie noch entdecken könnten, dass Europa eine Erweiterung des Nahen Ostens wird, wenn sie den Nahen Osten nicht bald als einen Teil Europas begreifen".

Ich glaube, dass dieses Denken in großräumigen Zusammenhängen und Abhängigkeiten ein wesentliches Element in einem Friedenskonzept sein muss. Wenn der Ignatz-Bubis-Gedenkstipendienfonds auch zur Aufdeckung solcher Zusammenhänge beiträgt, dann wird er für Israel und für Europa noch eine wichtige Rolle spielen.