Tischrede anlässlich des Abendessens mit dem Orden Pour le mérite für Wissenschaft und Künste

Schwerpunktthema: Rede

Berlin, , 11. Juni 2001

Eine gute Rede hat einen guten Anfang und ein gutes Ende, und beide sollten möglichst nahe beieinander liegen. Das hat Mark Twain einmal gesagt. Er war zwar nicht Mitglied des Ordens, aber er hatte Recht, mindestens für heute, denn Sie haben vor meiner kleinen Tischrede bereits Gelegenheit gehabt, profund über die Mühen des Sisyphos und den Mut des Prometheus zu reflektieren.

Es mag dem einen oder anderen von Ihnen nicht behagen, aber wer Mitglied des Orden Pour le mérite ist, muss darauf gefasst sein, zur gesellschaftlichen Elite gezählt zu werden. Natürlich dürfen wir in Deutschland bei dem Stichwort "Elite" an mehr als vierzig Persönlichkeiten denken. Gleichwohl: Das französische Lehnwort des lateinischen "eligere" bezeichnet die Sonderstellung einer ausgewählten Minderheit. Auch in der Demokratie brauchen wir die, die hervorragen. Wir brauchen also auch eine freie Vereinigung von hervorragenden Gelehrten und Künstlern.

Eine Elite soll - und da zitiere ich Schleiermacher - "die Aufforderung spüren, auf die große Mehrheit der Bevölkerung anregend zu wirken". Eine Elite, die auf die Mehrheit anregend wirkt, ist das Gegenteil einer Elite, die bedacht ist auf die Durchsetzung von Vorrechten und eigenen Interessen. Die Demokratie braucht die anregende Wirkung solcher Eliten. Das wird in diesen Tagen besonders deutlich, in denen darum gerungen wird, wie wir die großen Chancen des wissenschaftlichen Fortschritts nutzen können und welche Grenzen wir dabei auf keinen Fall überschreiten wollen.

Wissenschaft und Forschung dringen in bisher nicht für möglich gehaltene Bereiche vor. Das stellt uns alle vor die Aufgabe, wissenschaftlichen Forschergeist, ökonomische Anreize und ethische Werte produktiv, demokratisch und zukunftsfähig miteinander zu verbinden. Wo es in der Demokratie darum geht, Widerstrebendes miteinander in den Dialog zu bringen, da bedarf es des anregenden Geistes. Wo es in der Demokratie darum geht, verantwortungsvoll entscheiden und handeln zu können, da kommt der Bildung und der Ausbildung der Menschen eine wichtige Rolle zu. Bildung fordert und fördert Begabung, und den Begriff Begabung sollten wir auch transitiv verstehen. Wir geben in unseren Schulen, Betrieben und Universitäten etwas weiter: Wir begaben die jungen Menschen. Otto Galo, der Schriftsteller, hat einmal gesagt: "Nicht wissen wollen ist die erste intellektuelle Todsünde, nicht wissen lassen die zweite."

Wir brauchen die Anregungen aus Ihrem Kreis, aus Ihren ganz unterschiedlichen Fachgebieten. Bildung ist kein privilegierter Status in der Gesellschaft, sondern ein Prozess, dessen Ideal der mündige Bürger ist, nicht der bevormundete. Wer mündig ist, der sucht Orientierung, und das heißt, dass er stets neu die Frage stellen wird, wie die Wertekoordinaten lauten, die das menschliche Miteinander möglich machen.

Als Theodor Heuss den Orden 1952 wiederbelebt hat, war es ihm wichtig, an die Gründungstradition einer freien, sich selber ergänzenden Gemeinschaft anzuknüpfen. Sie haben heute wieder die Ordenszeichen an fünf im vergangenen Jahr neu gewählte Ordensmitglieder überreicht. Ich gratuliere diesen fünf zu ihrer Wahl und dem Orden zu seiner Auswahl.

Jede neue Berufung in den Orden erinnert uns zugleich an bedeutende Persönlichkeiten, die im vergangenen Jahr von uns gegangen sind. Sie haben ihrer heute gedacht. Das Prinzip der Selbstergänzung hat etwas Ermutigendes, etwas unmittelbar Bereicherndes. Ich kenne sonst kein vergleichbares Forum, auf dem hervorragende Vertreter der Physik und der Psychologie, der Kunst und der Schriftstellerei, der Wirtschaftswissenschaft sich frei auf das besinnen, was sie gemeinsam angeht.

So begrüße ich Sie alle ganz herzlich und darf Sie einladen zu einer, wie ich hoffe, anregenden Tischgemeinschaft.