Rede anlässlich der Verleihung der Ehrenbürgerwürde der Stadt Bonn

Schwerpunktthema: Rede

Bonn, , 29. Juni 2001

Sehr verehrte Frau Oberbürgermeisterin Dieckmann,

sehr geehrte Mitglieder des Rates der Stadt Bonn,

liebe Mitbürgerinnen und Mitbürger,

haben Sie herzlichen Dank für die Wahl zum Ehrenbürger der Bundesstadt Bonn. Ich freue mich sehr über diese hohe und schöne Auszeichnung. Seit jeher fühle ich mich Bonn besonders verbunden, ungezählte Tage habe ich hier verbracht, und selbst in den sauersten Arbeitswochen habe ich mich hier stets heimisch gefühlt. Nun habe ich sogar Brief und Siegel darauf, dass Bonn mir zu einem Stück Heimat geworden ist.

Ich weiß auch den Vertrauensvorschuss zu schätzen, den mir Bonn heute gewährt. Immerhin bin ich erst zwei Jahre im Amt, während man bei meinen Vorgängern mit der Auszeichnung stets bis kurz vor Schluss ihrer Amtsperioden gewartet hat, damit sie sich ausreichend bewähren konnten. Schneller als bei mir ist es nach 1949 wohl nur bei einem Bundeskanzler gegangen, bei Konrad Adenauer. Der wurde schon am 5. Januar 1951 Ehrenbürger, aber dabei hat ja vielleicht auch ein Nachbarschafts-Bonus für Rhöndorfer mitgezählt, auf den ich als Bergischer keinen Anspruch erheben kann.

Doch Scherz beiseite: Natürlich liegt mir Bonn schon seit Jahrzehnten am Herzen, oft aus Pflicht, immer aus Neigung.

Als Wissenschaftsminister und später als Ministerpräsident habe ich von Amts wegen dazu beitragen dürfen, das enorme wissenschaftliche, wirtschaftliche und kulturelle Potential dieser Stadt bestmöglich zu fördern und zu entwickeln. Vor zehn Jahren ging es dann zusätzlich auch darum, einen fairen Ausgleich für den Verlust der Hauptstadtfunktion zu sichern. Als Bundespräsident schließlich ist es für mich selbstverständlich, den zweiten Amtssitz in Bonn beizubehalten und einen Teil meiner Amtsgeschäfte hier zu führen, denn auch das ist ein Beitrag dazu, den vereinbarten fairen Ausgleich mit Leben zu erfüllen.

  • Lassen Sie mich gleich anfügen: Dieser Ausgleich zum Wohle nicht nur Bonns und Berlins, sondern ganz Deutschlands ist nach meinem Eindruck vollauf gelungen. Bonn nimmt seine Chancen hervorragend wahr:

  • Die Stadt ist ein idealer Standort für Institutionen und Organisationen der internationalen Zusammenarbeit und der Entwicklungspolitik, um weitere Einrichtungen der Vereinten Nationen für Bonn zu gewinnen: Damit übernimmt die Bundesrepublik Deutschland zusätzliche Verantwortung innerhalb der Staatengemeinschaft. Das ist im deutschen Interesse, und das passt gut zu Bonn.

  • Das Ansehen Bonns als Hort von Wissenschaft und Lehre, von Forschung und Anwendung ist exzellent und wird weiter zunehmen.

  • Die wirtschaftlichen Perspektiven sind gut: Der Strukturwandel hin zu einer modernen Dienstleistungsgesellschaft gelingt, und die Arbeitsplatzverluste nach dem Umzug eines großen Teils der Bundesministerien und des Deutschen Bundestages sind nahezu wettgemacht.

Über all das können sich nicht nur die Menschen in der Region Bonn freuen, sondern alle in Deutschland. Bonn und seine Bürgerinnen und Bürger sind mehr als vierzig Jahre lang gute Gastgeber für die Bundespolitik gewesen. Da stellt es unserem ganzen Land ein gutes Zeugnis aus, dass nach diesen Jahrzehnten die Stadt mit den Problemen der Umstellung nicht alleingelassen worden ist.

All das fiel noch in den Bereich der Pflicht und des Sollens; aber viel lieber spreche ich von meiner ganz persönlichen, ganz außerpflichtgemäßen und überpflichtgemäßen Zuneigung zu Bonn. Sie hat vor allem drei Gründe:

  • Da ist zunächst die äußere Gestalt der Stadt, die so einladend wirkt und auch dem Gast rasch vertraut ist: ihre Einbettung in die Landschaft des Rheins, ihre herrlichen Kirchen, die prächtigen Bauten der Residenz- und Universitätsstadt und die schmucken Bürger­häuser, die Parks und Promenaden und nicht zuletzt die großen innerstädtischen Bereiche, die allein den Fußgängern vorbehalten sind. All das spielt zusammen und führt zu einer sehr gelungenen Mischung von Tradition und Moderne und zu einer Wohnlichkeit, um die manche andere Städte Bonn wohl nur beneiden können.

  • Mit Leben erfüllt und sympathisch gemacht wird Bonn von einem Menschenschlag, der so unverwechselbar wirkt wie sonst nur Völkerstämme in abgelegenen Hochgebirgstälern und der sich doch unablässig aus dem Miteinander von Einheimischen und Zugereisten erneuert. Er ist gastfreundlich und weltoffen, selbstbewusst und humorvoll, großzügig und geschäftstüchtig, erdverbunden und gottesfürchtig und von großem Gemeinschaftsgeist nicht nur im Karneval. Die individuelle Mischung dieser Eigenschaften schwankt natürlich stark, aber insgesamt sorgen sie dafür, dass es sich in dieser Stadt gut leben und arbeiten lässt und dass sich auch die meisten Gäste hier auf Anhieb wohlfühlen. Wie prägend die Bönn'sche Lebenskunst wirkt, das habe ich immer wieder an Politikern unterschiedlicher Parteizu­gehörigkeit und Landsmannschaft beobachten können. Ob sie nun aus dem tiefsten Bayerischen Wald kamen oder aus dem höchsten Norden: Schon bald nach ihrer ersten Ankunft wirkten sie wie halbe Bonner, und nach wenigen Jahren gehörten viele ganz dazu.

  • Der dritte Grund meiner Zuneigung zu Bonn liegt in dem reichen kulturellen und geschichtlichen Erbe, das die Stadt bewahrt.

Da muss ich natürlich zuerst von der Frau Musica sprechen, die spätestens seit der Gregorianik am Cassius-Stift heimisch ist in Bonn und die hier seither immer gute Freunde gehabt hat. Vom "Bönnischen Gesangbüchlein" als bleibendem Beitrag zum protestantischen Kirchenliedgut über die kurfürstliche Kapelle, zu deren Klängen sogar Casanova getanzt hat, spannt sich der Bogen bis hin zu dem vielversprechenden jungen Mann, der wie schon sein Großvater in die kurfürstliche Kapelle eintrat und dem einige Jahre später seine Freunde und Förderer eine Reise zu Joseph Haydn nach Wien ermöglichten - eigentlich ja nur zum vorübergehenden Auslandsstudium.

Beethoven hat Bonn nicht wiedergesehen, aber er hat seine Heimat niemals vergessen. Sein Werk gehört zu den Schätzen, die Bonn nicht nur hüten, sondern durch regen Gebrauch erhalten und mehren muss.

Das Internationale Beethovenfest im vergangenen Jahr hat gezeigt, wie erfolgreich das gelingen kann. Ich wiederhole darum ausdrücklich meinen Dank dafür und meine Ermutigung, auf diesem Weg weiter voranzugehen!

Aber nicht allein Beethovens wegen ist mir Bonn lieb und wert. Immer wieder sind von hier Impulse ausgegangen, die den Horizont für alle erweitert haben. Die rheinische Aufklärung gegen Ende des 18. Jahrhunderts ist dafür ein Beispiel.

Bonn war eine ihrer Hochburgen, und ihre neuen Ideen prägten weit über die Stadt hinaus die Literatur und die Zeitungen, die Spielpläne der Theater und die Programme der Lese- und Debattiergesellschaften. Von da führen auch viele Linien zu den Demokraten des Vormärz und des Jahres 1848, und das heißt in Bonn: zu Ernst Moritz Arndt und Friedrich Christoph Dahlmann, zu Gottfried Kinkel und Carl Schurz.

Die Bonner Universität hatte an dieser Bewegung für Freiheit und Demokratie besonderen Anteil - nicht weniger als sieben ihrer Professoren gehörten der Nationalversammlung in der Frankfurter Paulskirche an. Auch das zählt zur stolzen demokratischen und parlamentarischen Tradition der Stadt Bonn.

Die Rheinische Friedrich-Wilhelms-Universität hat aber natürlich nicht nur politisch den Horizont der Zeitgenossen erweitert, sondern vor allem auch wissenschaftlich. Ich will und kann das hier nicht vertiefen, aber ein besonders schönes Beispiel dafür möchte ich doch wenigstens erwähnen: In der Sternwarte der Universität an der Poppelsdorfer Allee hat Friedrich Wilhelm August Argelander Jahr um Jahr den Himmel beobachtet und dabei einen Atlas mit mehr als 320.000 Sternen erarbeitet, und dieser gewaltige Atlas heißt: "Bonner Durchmusterung". Von da an sah die Welt klarer - dank Bonn!

Auch auf dem Gebiet der bildenden Kunst steht der Name Bonn für neues Sehen und erweiterte Horizonte. Im Anschluss an diese Feierstunde werde ich zu einem Gespräch mit jungen Leuten ins Bonner Kunstmuseum fahren. Ich freue mich auch auf das Wiedersehen mit den Bildern der rheinischen Expressionisten. Ihre erste Ausstellung in Bonn, 1913, war für die Zeitgenossen noch eher schockierend. Heute steht der rheinische Expressionismus in seiner Bedeutung längst neben dem "Blauen Reiter" und der "Brücke", und die Bilder von August Macke und seinen Freunden finden ungezählte Bewunderer. Die alle sollten sich die Ausstellungen im Kunstmuseum Bonn auf keinen Fall entgehen lassen, und außerdem gibt es dort neben den Expressionisten noch viel mehr zu entdecken!

Bei dem Gespräch im Kunstmuseum wird es um das Thema gehen, wie Ausländer in der internationalen Stadt Bonn leben, lernen und arbeiten. Auch da, in Sachen Integration und gegenseitiger Toleranz, kann Bonn auf viel Gutes zurückblicken - vom Schutzedikt des Kurfürsten Clemens August für die jüdischen Einwohner von Bonn bis zu den Jahrzehnten als Stadt der Diplomaten mit friedlich-buntem Völkergemisch. Freilich hat der Zivilisationsbruch der Nazi-Jahre auch Bonn nicht ausgespart. Er hat auch hier alle Lebensbereiche erfasst - von der Entrechtung und mörderischen Deportation der jüdischen Mitbürgerinnen und Mitbürger bis hin zu der schnöden Behandlung von Thomas Mann und Karl Barth durch die Universität. Das zeigt, wie kostbar das gute Miteinander ist und wie sehr wir es hegen müssen. Es lebt vom gemeinsamen Engagement und davon, dass Menschen unterschiedlicher Nation und unterschiedlicher Kultur aufeinander zugehen und ins Gespräch kommen.

Dafür bietet gerade Bonn ideale Voraussetzungen. Seit langem ist die Stadt ein Zentrum der internationalen Zusammenarbeit in Politik, Wissenschaft und Kultur. Aus dem Straßenbild und aus dem städtischen Leben sind die ausländischen Studentinnen und Studenten, die Mitarbeiter der internationalen Organisationen und die Touristen aus aller Welt gar nicht mehr fortzudenken. Es gibt viele vorbildliche Integrationsprojekte, in denen Deutsche und Ausländer zusammen arbeiten und sich besser kennen und verstehen lernen. Auch das verdient Dank und Ermutigung.

Bonns Weltoffenheit macht einen großen Teil des Charmes und auch der Kraft dieser Stadt aus. Ich wünsche uns allen, dass auch künftig aus dem guten Miteinander der Alteingesessenen und der Zugezogenen, der Einheimischen und der Fremden zum Wohle Aller immer nur das eine wird: die unverwechselbare Bönn'sche Mischung.

- Es gilt das gesprochene Wort. -