Erklärung anlässlich des Besuchs eines Bauernhofes in Schlangen

Schwerpunktthema: Rede

Schlangen, , 5. Juli 2001

Im Dezember letzten Jahres hat mir Herr Tornede einen Brief zur BSE-Krise geschrieben, der mir gefallen hat, weil er nachdenklich war und zugleich ganz praktisch.
Er hat mich eingeladen, seinen Hof hier in Schlangen zu besuchen. Das ist ein Hof, auf dem es keinen BSE-Fall gegeben hat, der aber trotzdem unter der Krise leidet.

Die Medien haben vor einigen Monaten jeden Tag ausführlich über jeden neuen BSE-Fall berichtet.

Ich habe viele pauschale Schuldzuweisungen gehört und viele gute Vorsätze. Manchmal hatte man auch den Eindruck, dass sich eine regelrechte Hysterie ausbreite. Hysterie aber hilft genauso wenig wie Schönfärberei.

Auch wenn das Interesse der Medien nachgelassen hat, bleibt BSE weiter ein großes Problem.

Leider gewinnt man auch den Eindruck, dass sich viele Verbraucherinnen und Verbraucher an die Krise gewöhnt haben - und mit der Eröffnung der Grillsaison geraten viele gute Vorsätze wieder ins Wanken.

Darum sage ich: Jetzt beginnt erst die wirkliche Arbeit und dabei dürfen wir die Landwirte nicht allein lassen.

Darum bin ich auch heute nach Schlangen gekommen, um mit Herrn Tornede und anderen Landwirten aus der Region zu sprechen, stellvertretend für die vielen anderen Landwirte in unserem Land, die noch immer schwere Zeiten durchmachen.

Die Landwirte sind nicht die Hauptverantwortlichen für die Krise. Das will ich auch deutlich sagen. Die wirklichen Probleme liegen in den Strukturen der Nahrungsmittelwirtschaft, die sich in den vergangenen Jahrzehnten in eine falsche Richtung entwickelt hat.

Wir brauchen eine Wende im Agrarbereich im Interesse der Gesundheit der Menschen und damit wir die Existenzgrundlagen der landwirtschaftlichen Betriebe nachhaltig sichern.

Wenn alle Nahrungsmittel gesundheitlich unbedenklich sind, dann werden die Menschen auch wieder Vertrauen in die Produkte fassen.

Ich sehe fünf Eckpunkte, wie wir das schaffen können; fünf Eckpunkte für eine Neuorientierung der Agrarpolitik:

  • Die Verbraucherinnen und Verbraucher müssen mehr Bewusstsein für die Qualität von Lebensmitteln entwickeln. Der Preis darf beim Kauf nicht das einzig entscheidende Kriterium sein. Mit Rücksicht auf die Gesundheit ist die Qualität noch wichtiger. Wir müssen auch bei Lebensmitteln akzeptieren, dass Qualität ihren Preis hat.
  • Natur-, Umwelt- und Tierschutz müssen in der Lebensmittelherstellung eine größere Bedeutung bekommen. Dazu gehört es auch, dass die regionale Vermarktung gestärkt wird. Dann können wir auch auf einen großen Teil der für die Tiere so qualvollen Transporte über große Entfernungen verzichten. Dazu kann auch der Lebensmittelhandel einen guten Teil beitragen.
  • Für den Import von Lebensmitteln und für Tierfutter müssen die gleichen Anforderungen und Qualitätsnachweise gelten wie für inländische Produkte.
  • Nicht alle Bauernhöfe sollen Ökohöfe werden. Kein Bauer sollte jedenfalls dazu gezwungen werden. Auch die traditionellen landwirtschaftlichen Betriebe müssen wieder naturnäher, umwelt- und tiergerechter wirtschaften.
    Dass das geht und auch die Betriebe krisenfester macht, das zeigt der Hof von Herrn Tornede, den ich hier in Schlangen besichtigt habe.
  • Die Erwerbsmöglichkeiten für Landwirte im Bereich Naturschutz und Landschaftspflege, Forstwirtschaft und sanfter Tourismus müssen ausgebaut werden. Auch die Stromerzeugung aus Biomasse und Wind kann zusätzliche Einnahmequellen erschließen. Warum sollen Landwirte nicht auch Energiewirte sein?

Wir brauchen eine leistungsfähige Landwirtschaft in Deutschland. Die Bäuerinnen und Bauern sind bereit, ihren Teil dafür zu tun. Das weiß ich aus vielen Gesprächen und Briefen.

Wenn Politik, Handel, Verbraucher und Landwirte gemeinsam in eine Richtung gehen, dann kann es gelingen, dass eine wirtschaftlich gesunde Landwirtschaft auch gesunde Nahrungsmittel produziert.