Ansprache von Bundespräsident Johannes Rau anlässlich des Staatsbanketts am 10. September 2001 in Helsinki

Schwerpunktthema: Rede

Helsinki, , 10. September 2001

Änderungen vorbehalten. Es gilt das gesprochene Wort.

Frau Präsidentin,
sehr geehrter Herr Arajärvi,
meine Damen und Herren,

für die Freundlichkeit und Gastfreundschaft, mit der Sie meine Frau und mich und die uns begleitende Delegation in Ihrem Land empfangen haben, danken wir Ihnen von Herzen. Der Besuch bei Ihnen ist nicht nur ein Besuch bei europäischen Nachbarn, er ist ein Besuch bei Freunden.

Ich freue mich darauf, bei meinem Staatsbesuch in Finnland und bei den sich anschließenden Besuchen in Schweden und Dänemark die Vielfalt des großartigen europäischen Nordens noch besser kennen zu lernen, gemeinsame europäische Wurzeln zu entdecken und das uns Verbindende zu vertiefen.

Wie intensiv die deutsch-finnischen Beziehungen sind, kommt auch in der Dichte der gegenseitigen Besuche zum Ausdruck. Sie selbst, Frau Präsidentin, haben Deutschland als Außenministerin und als Staatsoberhaupt Ihres Landes wiederholt besucht, zuletzt noch vor wenigen Wochen anlässlich des Schleswig-Holstein-Musikfestivals, bei dem in diesem Jahr Finnland das Gastland war.

Unsere Beziehungen beruhen auf gemeinsamen Werten. Jahrhunderte lang sind über das einigende Band der Ostsee hinweg geistige und kulturelle Anregungen in beide Richtungen gegangen. Der große finnische Reformator Michael Agricola hat als Theologiestudent bei Luther und Melanchthon in Wittenberg entscheidende Anstöße für sein Wirken erfahren. Der Vater der finnischen Aufklärung Gabriel Porthan und der Philosoph Johan Vilhelm Snellman haben sich in Deutschland inspirieren lassen und dort befruchtend gewirkt.

Die Musik von Jean Sibelius, finnische Literatur und Kunst erfreuen sich in Deutschland großer Beliebtheit. Besondere Bedeutung hat auch die weltberühmte moderne finnische Architektur. Mir würde in meinem Heimatland Nordrhein-Westfalen nicht verziehen, wenn ich an dieser Stelle nicht das von Alvar Aalto entworfene Opernhaus in Essen erwähnte.

Neben dem Großen und Spektakulären gibt es auch eine gute Tradition des Austauschs im Kleinen. Ich denke an die Deutsche Schule in Helsinki und freue mich darauf, die Schule morgen gemeinsam mit Ihnen, Frau Präsidentin, anlässlich ihres 120jährigen Gründungsjubiläums zu besuchen.

Nicht verschweigen will ich, dass es auch im deutsch-finnischen Verhältnis dunkle Kapitel gibt. Die Zerstörung von Rovaniemi, der Hauptstadt Lapplands, beim Rückzug deutscher Truppen 1944 und die deutsche Politik der verbrannten Erde in Lappland werden wir nie vergessen dürfen.

Dankbar erinnern wir uns an die finnische Unterstützung zur Wiedererlangung der deutschen Einheit, die ohne die "Konferenz für Sicherheit und Zusammenarbeit in Europa", deren Schlussakte untrennbar mit dem Namen Helsinki verbunden ist, nicht möglich geworden wäre.

Seit den Tagen der Hanse haben Handel und Verkehr unsere Beziehungen bestimmt. Sie waren immer auch Gelegenheit zur persönlichen Begegnung und zum Kennenlernen. Seit der Wiedervereinigung ist Deutschland wieder Finnlands wichtigster Handelspartner und der Beitritt Finnlands zur Europäischen Union hat dem Handelsaustausch einen kräftigen zusätzlichen Schub verliehen. Die Wirtschafts- und Währungsunion, die mit der Einführung des Euros als Zahlungsmittel am 1. Januar 2002 vollendet wird, wird unseren Wirtschaftsbeziehungen eine neue Qualität verleihen.

Die finnische Wirtschaft gehört zu den modernsten Volkswirtschaften in der Welt und die Stärke und die Innovationskraft ihrer Unternehmen macht sie international wettbewerbsfähig. Finnische Unternehmen stellen sich seit mehreren Jahren durch umfangreiche Investitionen gerade in Deutschland auf den großen europäischen Markt ein. Besonders freut es mich, dass dabei auch Chancen in den neuen Ländern der Bundesrepublik erfolgreich wahrgenommen werden.

Unsere beiden Länder haben zur europäischen Zusammenarbeit mit ihrer integrationsfreundlichen Haltung wichtige Beiträge leisten können. Das wurde besonders deutlich in der Zeit unserer aufeinanderfolgenden EU-Präsidentschaften im Jahre 1999.

Unsere Positionen zur Erweiterung der Europäischen Union stimmen weitgehend überein. Ich weiß, wie sehr Finnland sich gerade für die Einbindung der baltischen Staaten einsetzt, die auch von Deutschland nachhaltig gefördert wird. Mein Besuch in Riga vor drei Wochen, anlässlich des 800jährigen Stadtjubiläums, an dem auch die Präsidenten von Litauen und Estland teilgenommen haben, hat mir nicht nur die unvergleichliche Schönheit der Stadt gezeigt: Mir ist auch erneut deutlich geworden, dass die baltischen Staaten eine zutiefst europäische Tradition und Orientierung haben.

Deutschland und Finnland haben beide ein großes Interesse an einer stabilen Entwicklung im Ostseeraum. Wir sind überzeugt davon, dass die Einbeziehung Russlands in die internationalen Strukturen unabdingbar ist. Ich möchte ausdrücklich hervorheben, welche Bedeutung das Konzept der "Nördlichen Dimension", das Finnland als eine neue Politik in die Europäische Union eingebaut hat, auch aus deutscher Sicht hat. Russland einzubinden und die europäische Integration zu vertiefen und zu erweitern sind zwei parallele, politische Prozesse, die über die Zukunft Europas entscheiden.

Ich bin seit meinem Amtsantritt als Präsident der Bundesrepublik Deutschland oft, so auch wieder bei meinem Besuch in Riga, gefragt worden, ob nicht Deutschland "als Nummer eins in der Europäischen Union" einen stärkeren Einfluss auf die Gestaltung der europäischen Zukunft nehmen sollte. Ich habe darauf stets geantwortet, dass Deutschland nicht die Nummer eins in Europa sein will, und kein Land die Nummer eins sein sollte. Europa lebt davon, dass Staaten unterschiedlicher Größe miteinander arbeiten, so wie Deutschland und Finnland das erfolgreich tun. Europa kann nur gelingen, wenn es aus seiner Vielfalt entsteht und diese Vielfalt als seinen ererbten Schatz bewahrt und pflegt.

In diesem Sinne bitte ich Sie, meine Damen und Herren, gemeinsam mit mir das Glas zu erheben und anzustoßen auf das Wohl von Staatspräsidentin Halonen, von Herrn Arajärvi, auf die traditionelle deutsch-finnische Freundschaft und auf eine gemeinsame glückliche und friedliche Zukunft in einem geeinten Europa.