Grußbotschaft von Bundespräsident Johannes Rau an die muslimischen Mitbürgerinnen und Mitbürger in Deutschland aus Anlass des Festes des Fastenbrechens

Schwerpunktthema: Rede

Berlin, , 16. Dezember 2001

Liebe muslimische Mitbürgerinnen und Mitbürger,


am 16. Dezember endet für Sie die Fastenzeit des Ramadan. Mit Ihren Familien und Freunden feiern Sie das Fest des Fastenbrechens. Aus diesem Anlass sage ich Ihnen meine herzlichen Grüße und guten Wünsche.

Fasten und Beten, das sind in vielen Religionen wichtige Elemente der Vorbereitung und der Besinnung. Für Muslime ist der Ramadan ein Monat der Versöhnung, er steht für Barmherzigkeit, Vergebung und Befreiung. Christliche Adventszeit und Ramadan liegen in diesem Jahr ganz eng beieinander. Viele Christen bereiten sich in diesen Wochen auf Weihnachten vor, das für sie ein Fest der Versöhnung und des Friedens auf Erden ist.

Ich freue mich darüber, dass es in unserem Land Schulen gibt, in denen Schülerinnen und Schüler sich gegenseitig zu ihren religiösen Festen einladen. Christlich geprägte Kinder lernen so die Bräuche des Ramadanfestes kennen und muslimische Kinder erleben die Weihnachtszeit. Schon unsere Kinder sollen und können Respekt gegenüber anderen, ihnen fremden Traditionen lernen und erfahren. Den Gefühlen von Angst und Fremdheit, so verständlich sie sein können, müssen wir von Anfang an den Nährboden nehmen.

Für die meisten von uns ist die Begegnung mit Menschen einer anderen Religion noch ganz ungewohnt. Ich verstehe, dass da viele verunsichert sind. Manche werden sich dabei auch erst ihrer eigenen Traditionen bewusst. Alle aber können erleben, dass das gemeinsame Feiern über den Festtag hinaus verbinden kann.

Die große Mehrheit der Muslime lebt gerne in unserem Land. Sie haben im Betrieb und im Büro gute Kollegen und in der Nachbarschaft Freunde gefunden. Manche Muslime fühlen sich in Deutschland aber auch fremd. Diese Probleme dürfen wir nicht leugnen. Niemandem ist mit Angst oder mit Träumereien geholfen. Ich weiß, dass gerade die vergangenen Wochen und Monate für viele von Ihnen nicht leicht gewesen sind.

Da ist in den Medien viel vom Islam die Rede gewesen - meist aber nur ganz allgemein und im Zusammenhang mit den Anschlägen von New York und Washington. Darum bin ich froh darüber, dass die meisten Menschen in Deutschland fundamentalistischen Terrorismus und gläubige Muslime nicht gleichsetzen. Das ist richtig und wichtig, denn der Fundamentalismus ist der Feind jeden Glaubens.

Unser aller Ziel muss sein, dass muslimische Familien, die aus anderen Heimatländern auf Dauer zu uns nach Deutschland gekommen sind, sich bei uns heimisch fühlen. Der erste Schritt in diese Richtung ist es, dass alle gut deutsch sprechen. Daher habe ich die herzliche Bitte: Tun Sie alles dafür, dass vor allem Ihre Kinder gut Deutsch sprechen können. Wir wissen doch: Kinder, die diesen ersten Schritt getan haben, kommen in der Schule gut mit. Wir alle freuen uns, wenn ihr Weg weiter zu einer guten Berufsausbildung und dann in den Beruf führt. Gute Ausbildung und ein Arbeitsplatz sind die besten Voraussetzungen für ein gedeihliches Miteinander, für gelungene Integration.

Wer in Deutschland heimisch werden will, der darf natürlich an seinem Glauben und an vertrauten Traditionen festhalten. Unser Grundgesetz garantiert die Religionsfreiheit. Sie gilt nicht nur für die Christen. Gewiss hat das Christentum unser Land tief geprägt, mehr als manchem bewusst ist. Das Grundgesetz schützt aber auch das Bekenntnis zu anderen Religionen.

Unsere Verfassung schützt und garantiert Grundrechte und Bürgerrechte. Ihre Regeln darf niemand außer Kraft setzen, auch nicht mit dem Hinweis auf seine kulturellen Überzeugungen. Dazu gehört zum Beispiel, dass nach dem Grundgesetz Frauen die gleichen Rechte wie Männer haben.

In diesen Tagen werde ich eine vor zehn Jahren gebaute Moschee mit Kuppel und Minarett und eine benachbarte städtische Grundschule besuchen. Ich habe die Einladung dazu gerne angenommen, weil ich mir ein Bild davon machen möchte, wie christliche und muslimische Schülerinnen und Schüler gemeinsam lernen. Ich möchte hören, was sie beschäftigt. Ich möchte erfahren, wie sie Probleme miteinander lösen und wie sie zusammen feiern. Darauf freue ich mich.

Schauen wir in die Augen unserer Kinder! Sehen wir da nicht Ermunterung und Aufforderung genug, gemeinsam etwas für ein friedvolles Miteinander in Deutschland zu tun? Am besten tun wir das ganz konkret dort, wo wir mit unseren Familien leben, arbeiten und lernen. Hier gibt es viele gute Ideen und jeder kann auf seine Art etwas beitragen.

Heute danke ich besonders all denen, die mit ihren Ideen und mit ihrer Arbeit dazu beitragen, dass Menschen unterschiedlicher Herkunft gerne, zuversichtlich und nachbarschaftlich miteinander leben können. Sie tun das für uns und unsere Kinder und damit für eine gute gemeinsame Zukunft in Deutschland.