Rede von Bundespräsident Johannes Rau anlässlich der Eröffnung des Museums zur Geschichte des Naturschutzes

Schwerpunktthema: Rede

Königswinter, , 12. März 2002

I.

Über das Siebengebirge gibt es viele Sagen und Märchen. Zu seiner Entstehung heißt es zum Beispiel, dass der Drachenfels in alten Zeiten mit dem Rolandsbogen durch einen Höhenzug verbunden war. Dahinter stand ein gewaltiger See. Das ärgerte die Bewohner, und um diese Seen nach dem Meer abzuleiten, holten sie aus dem Reich der Riesen sieben besonders große Kerle, die einen Damm durch das Gebirge graben sollten. Drei Monate lang wühlten sich die Riesen in den Berg hinein, und endlich bahnten die Fluten des Rheines sich einen Weg durch den Berg. Die Wasser flossen ab und eine fruchtbare Ebene wuchs zu beiden Seiten des Rheines. Mit reichem Lohn beladen zogen die Riesen ab. Vorher aber klopften sie von ihren Spaten den Dreck ab, und da wuchsen sieben Berge empor - das Siebengebirge eben.

Wann das gewesen sein soll, das erfahren wir nicht. Wir wissen aber, dass vor 170 Jahren in Bonn Stephan Sarter geboren wurde, und wir wissen, dass Stephan Sarter ein Vermögen an der Börse verdiente - das ging schon damals - oder muss ich sagen: Damals ging das noch?

Mit diesem Geld erfüllte er sich vor genau 120 Jahren einen Traum: Das Schloss Drachenburg. Er hat zwar nie hier gewohnt, aber schön ist es trotzdem.

Bekannt war das Siebengebirge bis dahin hauptsächlich wegen seiner vielen ergiebigen Steinbrüche, aus denen auch die Steine für den Kölner Dom kamen. 1836 kaufte der preußische Fiskus die Kuppe des Drachenfelsens, um sie vor der Zerstörung zu bewahren. Die Steinbrüche in anderen Teilen des Siebengebirges arbeiteten weiter, bis der "Verein zur Rettung des Siebengebirges" auch deren Stillegung erreichte. Das waren wohl die ersten Erfolge staatlichen Naturschutzes und einer aufkeimenden Umweltbewegung.

1923 wird das Siebengebirge zum Naturschutzgebiet erklärt, 1958 zum Naturpark. Gibt es einen besseren Platz für ein Museum zur Geschichte des Naturschutzes als im ältesten Naturschutzgebiet Deutschlands?

II.

Die Idee, ein solches Museum zu errichten, entstand, so habe ich mir sagen lassen, an einem historischen Datum: Am 9. November 1989 in der Landjugend-Akademie in Bonn-Röttgen. Dreizehn Jahre von der Idee zur Wirklichkeit - diese Hartnäckigkeit verdient Respekt. Wenn man dann noch sieht, was das Land Nordrhein-Westfalen, die NRW-Stiftung und die Bundesstiftung Umwelt gemeinsam hier geschafft und geschaffen haben, dann empfindet man Freude und Dankbarkeit. Hier ist ein ganz wichtiges Kulturgut gerettet worden, das in Zukunft dazu beitragen wird, das Verständnis für Kulturgüter insgesamt zu stärken.

Naturschutz gilt ja heute überwiegend als eine streng wissenschaftliche und sehr ernsthafte Angelegenheit. Beides muss auch sein, da gibt es keinen Zweifel. Natur ist aber nicht nur dazu da, dass sie gemessen, gewogen und analysiert wird. Die Natur bietet viel Schönes, das beobachtet und bewundert werden will - und natürlich will sie gehegt, gepflegt und geschützt werden. Sonst kann ihr Reiz sehr schnell vergehen.

Wer kennt nicht das Gefühl, sich in einer wunderschönen Landschaft eins zu fühlen mit der Natur und der Schöpfung. Zeit und Raum zu vergessen, die Bäume zu betrachten, die Vögel zu beobachten oder auch nur die Wolken vorbeiziehen zu sehen?

Wie heißt es bei Hölderlin in seinem Gedicht "An die Natur":

O Natur! an deiner Schönheit Lichte,

Ohne Müh und Zwang entfalteten

Sich der Liebe königliche Früchte,

Wie die Ernten in Arkadien.

Wie viele andere Dichter hat die Natur schon zu unvergänglichen Beschreibungen inspiriert. Ich denke an Adalbert Stifter und an den "Heidedichter" Hermann Löns, an Annette von Droste-Hülshoff, an Theodor Fontane, an Eduard Mörike, an den Dichter und Universalgelehrten Albrecht von Haller und an den Lyriker Barthold Hinrich Brockes. Goethe lässt Lotte nur ein Wort sagen, nur einen Namen nennen, um romantisches Naturempfinden auszudrücken: "Klopstock!" sagt Lotte, und der junge Werther ist überwältigt.

Von diesem Naturerleben ist heute viel verloren gegangen. Unsere moderne Zeit ist von Technik und Wissenschaft geprägt. Die vielen Naturfreunde, Wandervereine und Tierbeobachter haben immer versucht, möglichst viel an natürlicher Vielfalt zu bewahren. Bei ihnen liegen die wahren Wurzeln des Naturschutzes. Denken wir nur an die "Jugendbewegung" der Jahrhundertwende, an die "Naturfreunde" und an die Gebirgs- und Wandervereine. Heute sind allein im Deutschen Naturschutzring 94 Mitgliedsverbände zusammengeschlossen, mit mehr als 5,2 Millionen Mitgliedern. Was die für den Naturschutz leisten, ist mit Geld nicht zu bezahlen.

Die Ehrenamtler leisten die Kärrnerarbeit. Ohne sie wäre es schlecht bestellt um unsere Seen, Wälder und Auen, um die Tier- und Pflanzenwelt. Viele davon gäbe es ohne den ehrenamtlichen Einsatz schon seit Jahren und Jahrzehnten nicht mehr. Ohne die Ehrenamtler gäbe es vermutlich auch die rund 90 Naturparks nicht, für die wir alle dankbar sind und über die wir uns freuen können: Hier im Siebengebirge, in der bayerischen Rhön, im Fichtelgebirge, im Erzgebirge und Vogtland, im Harz, in der Märkischen Schweiz und in vielen anderen wunderschönen Regionen unseres Landes.

Der ehrenamtliche, freiwillige Naturschutz ist viel älter als der staatlich organisierte. Die historischen Dokumente, über die wir noch verfügen, stammen aber doch eher aus den wohl geordneten Archiven der Bürokratien. Alles andere ist weit verstreut im ganzen Land. Darum bin ich sehr gespannt darauf, welche Quellen das neue Archiv der Naturschutzgeschichte auftun und erschließen wird.

Vermutlich wird sich wieder einmal zeigen, dass nicht nur einige Persönlichkeiten im Rampenlicht die Geschichte gestalten, sondern viele tausend Menschen, die nie bekannt oder berühmt geworden sind. Bert Brecht stellte ja schon zu Recht die Frage, ob denn Hannibal die Alpen allein überquert hätte.

III.

Auch die moderne Politik und die staatliche Verwaltung dürfen nicht dem Irrglauben unterliegen, sie allein könnten ein funktionierendes Staatswesen garantieren. Die Politik ist aber nicht unschuldig daran, dass manch einer diesem Irrglauben erlegen ist. Wer die Allmacht der Politik suggeriert, der darf sich nicht wundern, wenn ihr auch Fehlentwicklungen angelastet werden, die mit staatlichem Handeln nichts zu tun haben. Politik sollte nur das versprechen, was sie halten kann und sie sollte halten, was sie versprochen hat.

Es wäre blauäugig, wenn man behauptete, die Rückbesinnung auf die Eigenverantwortlichkeit der Bürgerinnen und Bürger in vielen gesellschaftlichen Bereichen habe nichts mit der Finanzlage des Staates zu tun, sondern nur mit höherer politischer Einsicht. Das glaubt in schwierigen Hauhaltsjahren kein einziger Bürger, kein einziger Wähler

Auch wenn das in konjunkturell besseren Jahren gut kaschiert werden kann, so gilt doch immer: Die Politik kann nur den Rahmen setzen. Die konkrete Ausgestaltung obliegt den Bürgerinnen und Bürgern, den Unternehmen, den Interessenvertretungen, Verbänden, Initiativen und den vielen engagierten Gruppen. Dafür ist der Umweltschutz ein gutes Beispiel.

Die Bürokratien mögen rote Listen aufstellen und Verbotsschilder, Grenzwerte festlegen und Richtlinien herausgeben. Aber wer kümmert sich den jeden Tag vor Ort um gefährdete Tiere und Pflanzen, wer bringt den Kindern und Jugendlichen die Natur wieder näher? Das sind doch die Ehrenamtler im Naturschutzbund, im Tierschutzbund, im Naturschutzring, in den vielen regionalen und lokalen Initiativen. Weil das so ist, darum muss der Staat das Ehrenamt auch entsprechend würdigen, anerkennen und fördern.

Wer es mit einer Gesellschaft möglichst vieler aktiver Bürgerinnen und Bürger gut meint, der muss die Mitwirkungsrechte der Bürgerinnen und Bürger stärken. Nach meinem Eindruck geht da die vor kurzem in Kraft getretene Reform des Bundesnaturschutzgesetzes in die richtige Richtung. Weitere Schritte müssen folgen.

Früher wurde Umweltschutz häufig gleichgesetzt mit Askese und Verzicht, mit weniger Lebensfreude, mit steigenden Kosten, mit sinkender Wettbewerbsfähigkeit und einem riesigen Verlust von Arbeitsplätzen. Nichts davon entspricht der Wirklichkeit.

Unsere Anstrengungen im Natur- und Umweltschutz haben dazu beigetragen, dass die Städte lebenswerter wurden, dass der Himmel über der Ruhr heute wieder blau ist, dass nicht nur Klaus Töpfer wieder im Rhein schwimmen kann, sondern heute auch wieder so viele Fische wie zuletzt vor vielen Jahrzehnten. Es ist doch schon ein guter Erfolg, dass in einige Flüssen Nordrhein-Westfalens Lachs, Meerforelle und Meerneunauge wieder heimisch geworden sind.

VI.

Ich weiß, dass viele Menschen in Regionen mit hoher Arbeitslosigkeit auch heute noch meinen, die Politik verhindere neue Arbeitsplätze durch zu hohe Umweltstandards. Es sei, so hört man manchmal, doch allemal besser, einen Arbeitsplatz in einer zerstörten Umwelt zu haben als arbeitslos in prächtiger Natur zu leben. Dann könne man es sich doch immerhin leisten, wenigstens einmal im Jahr in die Südsee zu fliegen, um dort Natur pur zu erleben.

Das ist ein Trugschluss. Ökologische und ökonomische Erfordernisse müssen in einem vernünftigen Verhältnis zueinander stehen. Die Zukunft liegt in der Gemeinsamkeit von Arbeit, Umwelt und Natur. Ganz konkret heißt das auch, dass wir unsere Welt nicht in eine Arbeits- und eine Freizeitwelt aufteilen können.

Darum sollten wir das Grün nicht nur in den herrlichen Gegenden schützen, wo die vielen schmucken Einfamilienhäuser stehen oder wo man angenehme Spaziergänge unternimmt. Unser Ziel muss es sein, Grün dorthin zu bringen, wo die Welt jetzt noch zu grau ist und wo Menschen eng zusammenleben. Auch das verstehe ich unter Umwelt- und Naturschutz.

V.

So ganz neu ist das ja alles nicht. Darüber habe ich selber schon vor siebzehn Jahren auf dem Bundeskongress des Touristenvereins Naturfreunde gesprochen. Die Rede findet sich vielleicht auch irgendwann in Ihrem Archiv.

Der Kongress hatte übrigens das Motto: "Zukunft in Frieden und gesunde Umwelt". Da steckt schon all das drin, was uns auch heute noch bewegt: Der Mensch als ein Teil der Natur und die intakte Natur als überlebensnotwendige Existenzbedingung des Menschen.

Die Zerstörung und rücksichtslose Ausbeutung der Natur war und ist in vielen Teilen der Welt Anlass für Kriege, für menschliches Leid, für Elend und Vertreibung. Wer für Frieden, Sicherheit und für eine gerechte Entwicklung auf der Welt eintritt, der sollte auch den Schutz der natürlichen Lebensgrundlagen immer im Blick behalten.

VI.

Naturschutz hat schon viele Generationen bewegt. Naturschutz hat Geschichte, das kann man hier überall sehen. Naturschutz ist aber noch lange nicht Geschichte. Er ist aktuell und ich bin dankbar dafür, dass sich so viele Menschen aktiv dafür einsetzen. Ich wünsche mir, dass das Museum dazu beiträgt, noch mehr Menschen dafür zu begeistern. Was ich bisher vom Museum gesehen habe, das spricht sehr dafür.

Ich könnte mir übrigens vorstellen, dass auch eine Liste der Naturschätze in Deutschland viele Menschen begeistern könnte: Ein aktuelles und auch historisch angelegtes Archiv der Naturschutzgebiete in Deutschland. Das Original und die Kopie des Reichsnaturschutzbuches ging ja leider zwischen 1943 und 1945 verloren. Vielleicht findet sich ja jemand, der bereit ist, das auf die eine oder andere Weise zu fördern.

Schon jetzt sage all denen meinen herzlichen Dank, die mitgeholfen haben, den architektonischen Traum von Stephan Sarter zu erhalten und die mitgeholfen haben, der Region Bonn und Königswinter einen neuen Anziehungspunkt zu schenken. Sie haben gute Arbeit geleistet!