Grußwort von Bundespräsidenten Johannes Rau zum vierzigsten Jubiläum der VolkswagenStiftung

Schwerpunktthema: Rede

Berlin, , 14. März 2002

I.

Vierzig Jahre VolkswagenStiftung wollen wir heute feiern. Das ist ja eigentlich noch kein so ganz rundes Jubiläum. Ich wünsche der VolkswagenStiftung dass sie 50 Jahre, 75 Jahre, 100 Jahre alt werden möge! Wir alle wünschen ihr das.Aber was ist an vierzig so Besonderes?
  • Mit vierzig sind wir nicht mehr so ganz jung - aber wir fühlen uns auch noch längst nicht alt.

  • Mit vierzig hat man schon so manches hinter sich - aber auch noch Entscheidendes vor sich.

  • Wer mit vierzig Grund zum Feiern hat, der hält gewiss auch ein wenig nachdenklich inne - aber er spürt ebenso neue Aufbruchstimmung.

  • Vierzig - das ist wie die Dialektik von "schon" und "noch nicht". Die Schwaben, denen Berlin bekanntlich auch den Philosophen Hegel verdankt, haben diese Dialektik zwischen "schon" und "noch nicht" auf den Punkt gebracht: Mit vierzig werden die Schwaben g'scheit, sagen sie, und sie fügen hinzu: Die anderen nie. Das möchte ich heute nicht kommentieren.

Schon vierzig und noch nicht fünfzig oder mehr - wir feiern hier in Berlin die VolkswagenStiftung nicht zuletzt deshalb, weil uns ihre bisherige Geschichte neugierig und gespannt darauf sein lässt, was sie in Zukunft machen wird.II.

Am Anfang ihres Weges standen bekanntlich etwas komplizierte, um nicht zu sagen: unübersichtliche Eigentumsverhältnisse. Wieder einmal zeigt sich aber: Auch aus ungeordneten Verhältnissen kann etwas Gutes wachsen.

Die VolkswagenStiftung verdankt ihre Entstehung einem Vertrag, den die Bundesrepublik Deutschland und das Land Niedersachsen geschlossen haben. 60% der Aktien der neuen Volkswagen AG wurden verkauft, um die Stiftung auszustatten.

Am 19. Mai 1961 wurde sie mit einem Grundkapital von rund einer Milliarde DM gegründet - aus öffentlichen Geldern. Im Frühjahr 1962 kam dann zum Geld und zum Programm noch die erste Sitzung des Kuratoriums dazu - und die Arbeit konnte beginnen.

Inzwischen blicken Sie auf 129 Kuratoriumssitzungen zurück, wenn ich die von heute Morgen mitzähle. Eine Fülle von Förderinitiativen und Schwerpunkten, von Programmen und Wettbewerben unterstreichen das selbstbewusste Motto: "Wir stiften Wissen”.

Schauen wir etwas genauer hin, was da jeweils gefördert wurde und wird: Es ist, als schlügen wir ein Kompendium der Fragen auf, denen sich eine Wissenschaft stellen muss, die mitten in der Gesellschaft steht.

In vierzig Jahren hat die VolkswagenStiftung annähernd 27.000 Projekte unterstützt. Mir sind drei Spannungsbögen aufgefallen, die die Programmauswahl kennzeichnen.

Da ist zunächst die Überzeugung: Wo neues Wissen entstehen soll, da darf es keine Berührungsängste zwischen Geistes- und Naturwissenschaften geben.

  • Da geht es zum Beispiel um die Erfahrungen, die wir in Europa mit Diktaturen gemacht haben, um die Frage, wie Menschen sich über Kulturgrenzen hinweg verstehen können oder es geht um Sprachen, die vom Aussterben bedroht sind.

  • Da geht es aber auch um die Interaktion von Genen, darum, wie neuronale Systeme funktionieren oder um eine Umweltforschung, die die Erkenntnisse verschiedener Disziplinen zusammenführt.

Bei der Förderpraxis der VolkswagenStiftung ist mir ein zweiter Grundsatz aufgefallen: Wo neues Wissen geschaffen werden soll, da kann nichts zu klein und nichts zu groß sein für die wissenschaftliche Neugierde.

  • Da geht es zum Beispiel um die Bedeutung von Biomolekülen oder darum, welche Mikrocharakteristik Werkstoffe haben.

  • Oder es geht um die politischen und wirtschaftlichen Strukturen, die wir brauchen, damit die globalisierte Welt nicht aus den Fugen gerät.

Eine dritte Überzeugung der VolkswagenStiftung scheint mir zu sein: Wo neues Wissen geschaffen werden soll, da darf es keine Barrieren geben, weder zwischen Regionen, noch zwischen Nationen oder Kontinenten.

  • Ich denke da an die Initiative zur wissenschaftlichen Zusammenarbeit mit Mittel- und Osteuropa - in den Geistes- und Gesellschaftswissenschaften, aber auch in den Naturwissenschaften.

  • Oder an ein Programm, das die wissenschaftliche Forschung in und über die Region Mittelasien und im Kaukasus unterstützt und das sich so unterschiedlichen Fragen widmet wie der Wassernutzung und der neuen politischen Ordnung der Region.

All das braucht die Wissenschaft: Das Miteinander von Geist und Natur, die Weite zwischen Mikrokosmos und Weltwirtschaftsordnung, das Überschreiten von Grenzen.

Und sie braucht Menschen! Das ist ein Kapitel der Stiftungsgeschichte, mit dem es sich wahrlich zu beschäftigen lohnt. Es handelt von Kuratoren und Wissenschaftlern, von Frauen und Männern, die in den letzten vierzig Jahren das Profil der Volkswagenstiftung maßgeblich geprägt haben.

  • Ich nenne nur drei Naturwissenschaftler, deren Projekte die Volkswagenstiftung unterstützt hat - und kaum zufällig sind es drei Nobelpreisträger: Ich denke anMax Delbrückund seine Virusforschung, anFeodor Lynenoder den erst vor kurzem verstorbenenMax Ferdinand Perutz.

  • Bei den Geisteswissenschaftern ist die Erfolgsgeschichte nicht weniger eindrucksvoll: Früh schon hat die VolkswagenStiftung die spieltheoretischen Arbeiten vonReinhard Seltenunterstützt; sie hat die weltbekannt gewordene Analyse vonDennis L. Meadowsüber "Die Grenzen des Wachstums" finanziert;Carl Friedrich von Weizsäckerkonnte mit ihrer Hilfe seine Studie über "Kriegsfolgen und Kriegsverhütung" erstellen. Dieses Kapitel müsste weiter vonPeter von Oertzen, und vonRichard Löwenthalhandeln, vonJürgen HabermasundHans-Georg Gadamer, vonHartmut von Hentigund von vielen anderen mehr.

III.

Dass Menschen bei uns immer wieder neues Wissen schaffen - darauf sind wir in Deutschland besonders angewiesen. Mehr als die meisten Länder leben wir davon, unsere Güter und Dienstleistungen an andere zu verkaufen. Das Wissen und die Bildung der Menschen ist unser wichtigster Rohstoff.

Darum müssen wir dafür sorgen, dass Wissenschaft, Forschung und Entwicklung beste Voraussetzungen finden und sich auch gut entfalten können. Dabei dürfen sich Bildung und Wissenschaft nie darauf beschränken, junge Menschen auf den Beruf und für den Arbeitsmarkt vorzubereiten. Wer ausschließlich vom "Bedarf" her denkt, hat schon verfehlt, worum es geht. Selbstständig und frei denken zu lernen: darum geht es nach wie vor, übrigens auch mit Blick auf das, was in der Arbeitswelt nötig ist.

In unserem Grundgesetz genießt die Wissenschaft eine außerordentliche Bedeutung. Artikel 5 sagt schnörkellos: "Kunst und Wissenschaft, Forschung und Lehre sind frei."

Die Wissenschaftsfreiheit gehört damit zu den wenigen Grundrechten, die vorbehaltlos gewährleistet sind.

Mit dieser herausragenden Stellung der Wissenschaftsfreiheit verbanden die Mütter und Väter des Grundgesetzes eine hohe Erwartung: Die Wissenschaft sollte ohne Rücksicht auf Politik, auf Religion oder Wirtschaft ihre Erkenntnisse gewinnen können.

Die Wissenschaft kommt uns allen dann am meisten zugute, wenn wir sie keinem Nutzenkalkül unterwerfen, keinem politischen, keinem religiösen und keinem wirtschaftlichen. Wissenschaft soll eigensinnig und frei sein, autonom und nur der ihr eigenen Wahrheit verpflichtet. Sie sollte sich - und hier zitiere ich Hubert Markl - "systematisch und vorbehaltlos" auf die "Suche nach zuverlässigen Erkenntnissen über die ganze Wirklichkeit" machen können.


IV.

Die Wissenschaft sieht sich aber immer stärker - und nicht nur in Deutschland - vor ganz neuen Herausforderungen:

  • Auch wissenschaftliche Experten entwickeln eigene Interessen im Blick auf die wirtschaftliche Verwertung ihres Wissens.

  • Nicht nur in den Geisteswissenschaften, sondern auch in den naturwissenschaftlichen und technischen Fächern sehen wir uns immer wieder mitmehrerenWahrheiten konfrontiert.

  • Wir sehen uns immer neuen Forschungen und Techniken gegenüber, die zum Teil besonders riskant sind oder deren Folgen wir nicht oder nur schwierig abschätzen können.

  • Noch vor einigen Jahrzehnten schien es vor allem in den Naturwissenschaften so, als könne "wissenschaftlich" und "unwissenschaftlich" eindeutig unterschieden werden. Heute hingegen erleben wir immer häufiger, dass Wissenschaftler gleicher Fachrichtung zum gleichen Thema ganz unterschiedliche, ja einander ausschließende Auffassungen vertreten. Dennoch könnte man nicht sagen, der eine oder der andere verletzte die Grundsätze wissenschaftlichen Arbeitens.

  • Die Grenzen zwischen Forschung und Anwendung, zwischen Wissenschaft und Gesellschaft sind unscharf geworden. Wir alle kennen die Sorgen von Landwirten, die ihre Felder in der Nachbarschaft zu Freilandversuchen der grünen Gentechnik bebauen.

Dieter Grimm hat kürzlich diesen Wandel der Wissenschaft und die damit verbundenen Folgen angesprochen. Er hat darauf hingewiesen, dass die Wissenschaft wirtschaftsnäher, aber auch politiknäher geworden ist. Sowohl in der Wirtschaft als auch in der Politik sei der Bedarf an wissenschaftlich gewonnenem Wissen stark gestiegen. Bei der Wirtschaft, weil neue Produkte oder Dienstleistungen in aller Regel auf wissenschaftlicher Forschung beruhen; in der Politik, weil sie ihre Aufgaben ohne wissenschaftlichen Sachverstand nicht erfüllen kann.

Dieter Grimm beschreibt die Auswirkungen dieses Prozesses auf die Wissenschaft so: "Die Wissenschaft gerät dadurch unter die Relevanzkriterien von Wirtschaft und Politik. Zunehmend werden wissenschaftsfremde Gesichtspunkte ausschlaggebend. Wer Geld für Forschung einwerben will, muss nicht Erkenntnis, sondern Nutzen versprechen."

Das wirft drängende Fragen auf für die Wissenschaftspolitik, für unser Verständnis von Wissenschaftsfreiheit und dafür, wie wir unsere Wissenschaftslandschaft am besten organisieren:

  • Wissenschaftsfreiheit haben wir bisher verstanden als Schutz vor religiösem, politischem und wirtschaftlichem Einfluss. Müssen wir heute nicht auch stärker darauf achten, dass die Wissenschaft durch Veränderungen gefährdet sein könnte, die von der Wissenschaft selber ausgehen?

  • Was bedeutet es, wenn Wissenschaftler selber - mehr oder weniger freiwillig - die Autonomie der Wissenschaft preisgeben?

  • Andererseits: Wenn wir in unserem Land hohe ethische Standards für die Forschung festlegen - müssen wir dann nicht damit rechnen, dass wir dann bald nur noch hohe Standards, aber keine international leistungsfähige Forschung mehr haben?

Lassen Sie mich angesichts dieser Fragen drei Bemerkungen machen:

  • Die Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler können zu Recht erwarten, dass Staat und Gesellschaft ihnen Strukturen zur Verfügung stellen, in denen sie autonom und nur der eigenen Wahrheit verpflichtet forschen können.

  • In unserer Demokratie hat nur das Parlament das Recht - aber auch die Pflicht - die Grenzen wissenschaftlicher Forschung und die Grenze für die Anwendung von Forschungsergebnissen festzulegen. Das muss nach sorgfältiger Abwägung geschehen - auch dann, wenn es uns nicht gelingt, alle Unsicherheiten im Blick auf die Zukunft auszuräumen. Es muss gerade dann geschehen, wenn Fragen berührt sind, die weit in unsere Gesellschaft hineinwirken.

  • Die Politik darf nicht dem Wunsch nach niedrigeren Standards nachgeben, der gelegentlich mit dem Hinweis vorgetragen wird, andernfalls wandere die Wissenschaft ab. An diesem Abwertungswettlauf sollten wir uns nicht beteiligen. Die politische Herausforderung liegt doch vielmehr gerade darin, auch international dafür zu sorgen, dass die Voraussetzungen für die Wissenschaftsfreiheit erhalten werden. Das ist die Politik der Wissenschaft und der Freiheit wissenschaftlichen Arbeitens schuldig.
  • V.

    In den Zeiten knapper öffentlicher Haushalte wird verstärkt darüber nachgedacht, welchen Beitrag Stiftungen oder private Hochschulen zum Gedeihen von Forschung und Lehre in Deutschland leisten können. Für die Impulse aus dieser Diskussion sollten wir dankbar sein. Wir sollten die Debatte darüber aber auch richtig, und das heißt umfassend führen.

    Eine falsche Alternative wäre es, private Stiftungen gegen die öffentliche Förderung von Wissenschaft und Lehre zu stellen. Genauso falsch wäre es, private gegen öffentliche Hochschulen ausspielen zu wollen.

    Private Hochschulen werden die öffentlichen Hochschulen nie ersetzen. Sie können aber ein wichtiges Element der Innovation sein. Sie sind ein Labor, in dem wir neue Ideen schneller erproben können. Ihr Anspruch ist es, Neues, Besseres auf den Weg zu bringen. Da sollten wir sie beim Wort nehmen. Solche Impulse brauchen wir, sie können uns voran bringen.

    Bildung und Wissenschaft bleiben in Deutschland eine genuine Staatsaufgabe. Das zeigen schon einige Zahlen:

    In den vierzig Jahren ihres Bestehens hat die nun wahrlich große VolkswagenStiftung rund 2,7 Milliarden Euro ausgegeben. Heute verfügt sie über ein Vermögen von ca. 2 Milliarden Euro, aus dem sie jährlich etwa 100 Millionen Euro an Fördermitteln vergeben kann. Das sind die erfreulichen Zahlen einer großen Stiftung. Da haben wir uns bisher über jede Mark gefreut und ich wünsche uns auch in Zukunft noch manchen Euro mehr.

    Auf 19 Milliarden Euro beläuft sich im Vergleich die Summe, die die Länder und der Bund für Lehre und Forschung an den Hochschulen beispielsweise im Jahr 2000 ausgegeben haben.

    Diese Gegenüberstellung zeigt uns, dass Probleme an unseren Hochschulen, die gewiss vorhanden sind, nicht dadurch gelöst werden können, dass die Arbeit der Hochschulen in staatlicher Trägerschaft und Finanzierung durch private Hochschulen ersetzt wird.

    Auch der häufig zu hörende Hinweis, in den USA sei die Qualität so viel höher führt uns in dieser Debatte nicht weiter. In der Regel werden dabei ja die besten amerikanischen Universitäten mit allen deutschen Hochschulen verglichen. Daraus lassen sich keine weitreichenden Schlüsse ziehen.

    Eine Expertenkommission, die der Stifterverband für die Deutsche Wissenschaft eingesetzt hatte, hat die Arbeit der privaten Hochschulen bewertet. Sie ist vor einigen Monaten zu dem Schluss gekommen, dass bisher durchaus nichtallevon ihnen ihre Autonomie so genutzt haben, wie einige das angekündigt und wie viele sich das erhofft hatten.

    Wir dürfen natürlich der Frage nicht ausweichen, ob unser gegenwärtiges Hochschulsystem so leistungsfähig ist, wie es sein müsste und sein könnte. Wir sollten aufgeschlossen sein für alle Vorschläge zur Reform und zur Verbesserung. Wir können aber nicht einzelne Elemente aus anderen Systemen herausbrechen und so tun, als ließen sie sich bei uns einfach einbauen.

    In Deutschland gibt es gegenwärtig 348 staatliche und staatlich anerkannte Hochschulen. An ihnen waren im vergangenen Wintersemester knapp 1,8 Millionen Studierende eingeschrieben. Von diesen Hochschulen befinden sich 86, also etwa 25%, in privater Trägerschaft. Ein Großteil von diesen wiederum wird traditionell von den Kirchen getragen.

    Jenseits der kirchlichen Hochschulen gibt es 46 private Institute im engeren Sinne. Diese machen etwa 7,6% aller staatlich anerkannten Hochschulen aus - an ihnen sind 1,5% der Studenten eingeschrieben.

    Das Angebot der privaten Hochschulen beschränkt sich bekanntlich auf eine spezifische Fächerauswahl. Manche Privatuniversität könnte ohne öffentliche Gelder gar nicht überleben. Auch die viel gerühmten privaten amerikanischen Vorbilder greifen übrigens zu einem guten Teil auf öffentliche Mittel zurück.


    VI.

    Über das Verhältnis von privatem und öffentlichem Engagement ist in der Vergangenheit oft und lange unter ideologischen Vorzeichen diskutiert worden. Diese Debatte liegt zum Glück zu großen Teilen hinter uns.

    Ich erinnere mich wohl an jene, die mit privaten Hochschulen das Ende der staatlichen Bildungspolitik heraufdämmern sahen. Ich erinnere mich aber auch an diejenigen, die anfangs nur Spott für das öffentliche System übrig hatten und die verkündeten: "Wir werden es Euch zeigen!" Solche vorlauten Fanfaren sind zum Glück verklungen.

    Wer, wie ich, viele Jahre lang die Entstehung, das Wachstum und die Probleme der Universität Witten Herdecke verfolgt hat - der ersten privaten Universität Deutschlands -, der weiß, wie wenig hilfreich es ist, in falschen Gegensätzen zu denken.

    Für mich steht die öffentliche Verantwortung für Bildung und Wissenschaft außer Frage. Genauso wichtig ist mir aber, dass private Träger mit anpacken und Verantwortung übernehmen.

    Zum neuen Realismus in der hochschulpolitischen Debatte gehört für mich auch die Feststellung, dass unsere Hochschulen um einiges besser sind, als das im In- und Ausland manches Mal beschrieben wird. Innerhalb der Fachdisziplinen wird Hervorragendes geleistet, und die deutschen Universitäten sind im Durchschnitt nicht schlechter als die amerikanischen oder die britischen.

    Wir wenden viel auf für sie und doch ist das im internationalen Vergleich noch nicht genug. Wer mehr fordert, der ist dann aber auch den Nachweis schuldig, dass er mit den Ressourcen verantwortlich und wirtschaftlich umgeht.

    Hier kann von den privaten Trägern noch mancher Impuls ausgehen. Auch öffentliche Universitäten müssen Rechenschaft ablegen über die effektive Verwendung der ihnen anvertrauten Geldern.

    Natürlich kann das nicht heißen, dass etwa die Geisteswissenschaften unter das Diktat eines betriebswirtschaftlichen Rechnungswesens gestellt werden. Wir müssen aber darauf achten, dass der Freiraum, den Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler für ihre Arbeit brauchen, gut - und das heißt eben auch: wirtschaftlich - genutzt wird.

    Wir haben in der Bundesrepublik eine besonders reiche und vielgestaltige Forschungslandschaft. Forschungsaktivitäten sind vielfach an Instituten, wie der Max-Planck oder der Fraunhofer-Gesellschaft oder den Helmholtz-Forschungsgesellschaften angesiedelt. Anders als etwa in den USA ist die wissenschaftliche Forschung bei uns nicht nur universitär verankert. Die deutsche Spitzenforschung baut auf unterschiedlichen Säulen auf.

    Wenn aber in den letzten Jahren fast 14% der in Deutschland promovierten Nachwuchswissenschaftler in die USA gegangen sind, dann muss uns das zu denken geben. Ein Drittel von Ihnen geht übrigens mit der Perspektive, länger dort zu bleiben.

    Daraus lese ich zweierlei:

    • Erstens: In Deutschland werden hervorragende Wissenschaftler ausgebildet, die international gefragt sind.

    • Zweitens: Die Perspektive für dieinDeutschland Forschenden können und müssen wir noch verbessern.

    Daher ist es eine gute Zukunftsinvestition, dass die Haushalte der Länder und des Bundes für Bildung und Forschung heute - gegen den Trend - deutlich höher sind als noch vor einigen Jahren Das muss so weitergehen. Es ist wichtig, dass unter Politikern und Experten eine intensive Debatte darüber geführt wird, wie Deutschland zu einem noch attraktiveren Ort der Wissenschaft werden kann.


    VII.

    Mit ihrer Arbeit zeigt die VolkswagenStiftung, dass Stiftungen in Deutschland ein vitales Element der Innovation, der Wissenschaftsförderung und damit eben auch ein Beitrag zum Gemeinwohl sind.

    Der Staat hat eine bleibende besondere Verantwortung. Das gilt für das Gemeinwohl genauso wie für die Wissenschaftsfreiheit und für die Wissenschaftspolitik. Wir haben es hier mit genuinen staatlichen Aufgaben zu tun, aber keineswegs mit einer Aufgabe des Staates allein. Daher brauchen wir neben dem Engagement des Staates auch ein gesellschaftliches Klima, das die privaten Initiativen fördert. Stiftungen sind dafür ein hervorragendes Beispiel.

    Ich kenne viele Menschen, die im Laufe ihres Lebens viel Geld verdient haben. Ich weiß, dass sie sich auch gerne ansprechen lassen, zum Wohl des Ganzen ihren besonderen Beitrag zu leisten. Wohlstand sollte in unserem Lande nicht zuletzt bedeuten, für das Wohl anderer tätig zu werden. Privates Mäzenatentum tut unserem Land gut.

    Dafür benötigen wir günstige Rahmenbedingungen. Die Veränderungen im Stiftungssteuerrecht waren in diesem Zusammenhang gewiss ein großer Schritt in die richtige Richtung. Die Debatte um die Modernisierung des Stiftungsrechts ist im Gange und ich hoffe auf ein gutes Ergebnis.

    Wo soviel Sachverstand und Engagement zusammenkommt, wie morgen auf dem Symposium der VolkswagenStiftung im Schloss Bellevue, da sind gewiss auch zu diesem Thema wichtige Anregungen und Hinweise zu erwarten. Ich bin zuversichtlich, dass es gelingen kann, möglichst viele Privatleute und Unternehmer dazu zu bewegen, der VolkswagenStiftung nachzueifern und "Zukunft zu stiften"[1].

    [1]"Zukunft stiften” ist das Motto des Symposiums der VolkswagenStiftung zur Rolle privater Wirtschaftsförderung in Deutschland und im zusammenwachsenden Europa am 14. März 2002 im Schloss Bellevue.