Grußwort von Bundespräsident Johannes Rau beim Empfang zum 50-jährigen Bestehen des Deutschen Frauenrates

Schwerpunktthema: Rede

Schloss Bellevue, , 19. April 2002

Herzlich willkommen im Schloss Bellevue! Es ist schön, dass Sie heute hier meine Gäste sind.

Frauen brauchen eine Lobby - und dass das inzwischen Allgemeingut ist, dafür ist auch dem Deutschen Frauenrat zu danken.

Frauen brauchen eine Lobby, weil ihre Anliegen und ihr Wissen in einer viel zu sehr von Männern dominierten Gesellschaft noch immer leicht aus dem Blick geraten.

Das ist nicht nur für die Frauen schlecht, sondern für unser ganzes Land. Es geht nicht, dass noch immer für Frauen die Lasten in der Familie eher höher, der Aufstieg im Beruf schwerer, die Verdienstmöglichkeiten meist gerin­ger und die Altersversorgung unsicherer sind.

Dabei geht es nicht um sture Gleichmacherei, sondern darum, Grenzen zu öffnen - und dann finden Frauen ihren eigenen Weg schon selber. Sie haben damit längst begonnen, und das hat viele Lebensbereiche schon spürbar verändert. Gewiss kämpfen immer noch viel zu oft konkurrierende Alphamännchen miteinander, aber immer häufiger wird das Klima durch Fä­higkeiten wie emotionale Intelligenz und Teamfähigkeit geprägt. Die bringen Frauen vielleicht in größerem Maße mit und die tun unserem Land auf vielen Feldern gut.

Sie wissen selber am besten, wie schwierig es ist, den Frauen gleiche Chancen und Entwick­lungsmöglichkeiten zu eröffnen; aber wenn ich die heutige Lage am Zustand zu Beginn der Arbeit des Deutschen Frauenrates messe, dann sind die Fortschritte beträchtlich. Das ist nicht zuletzt Ihrer beharrlichen Arbeit zu danken.

Die Gleichstellung der Frau als revolutionäre Forderung passt auf jedes Plakat, sie aber durchzusetzen ist eine ganz andere Sache, die viele sachverständige Reformschritte verlangt. Der Deutsche Frauenrat, mit dem ich auf Landesebene in Nordrhein-Westfalen oft das Gespräch gesucht und geführt habe, wird dieser Querschnittsaufgabe besonders gut gerecht, denn er bündelt Erfahrungen aus nahezu allen Lebensbereichen und ist keiner politischen Richtung verpflichtet, sondern den Anliegen der Frauen.

Das Besondere an diesen Anliegen ist, dass sie weit mehr sind als bloße Sonderinteressen. Deshalb ist Politik für Frauen eine Frage der Gerechtigkeit und darüber hinaus immer zugleich gute Familienpolitik, gute Gesundheitspolitik, gute Bildungs- und Sozialpolitik, gute Wirtschaftspolitik und damit ein Stück Zukunftssicherung für alle.

Ich versuche, auf diese Zusammenhänge immer wieder hinzuweisen. Das habe ich zuletzt getan beim "Forum Bildung", als ich gesagt habe, endlich müssten die Voraussetzungen dafür geschaffen werden, dass die Frauen von heute - die die bestausgebildeten aller Zeiten sind! - Familie und Beruf besser in Einklang bringen können. Dass Männer da auch Nachholbedarf haben - wenn auch in anderer Weise - das gehört genauso zum Alltag in den Familien. Meist werden "Synergieeffekte" mehr beredet als erzeugt - aber hier wären sie wirklich möglich: Ein besseres Angebot an Kindertagesstätten und Ganztagsschulen, anspruchsvollere pädagogische Betreuung, Freiräume für Familien und Alleinerziehende, mehr Selbstverwirklichung der Frauen auch im Berufsleben und schließlich ein viel vernünftigerer volkswirtschaftlicher Gebrauch ihrer Talente und Fähigkeiten - all das wäre so erreichbar und würde sich in seinen positiven Wirkungen gegenseitig verstärken. Dafür bleibt in Deutschland noch viel zu tun, und darum sollte der Deutsche Frauenrat nicht aufhören, seine Überzeugungsarbeit zu leisten.

Sie engagieren sich auch für die europäische und die internationale Zusammenarbeit und setzen sich besonders dafür ein, das Los von Frauen in der Dritten Welt grundlegend zu verändern. Auch das ist unverzichtbar, und auch dabei wünsche ich Ihnen viel Erfolg.

Auf meinem Programm steht, ich gebe heute einen Empfang. Ich verstehe "Empfang" so, dass ich nicht nur zu meinen Gästen spreche, sondern auch mit meinen Gästen. Darum freue ich mich darauf, nachher im Gespräch noch mehr über Ihre Arbeit zu erfahren. Aber zuerst hat jetzt Frau Dr. von Bönninghausen das Wort. Ich heiße Sie alle noch einmal herzlich willkommen.