Ansprache von Bundespräsident Johannes Rau zur Begrüßung der Humboldt-Stipendiaten bei der Jahrestagung der Alexander von Humboldt-Stiftung

Schwerpunktthema: Rede

Potsdam, , 21. Juni 2002

Meine Damen und Herren,

zuerst bedanke ich mich bei Ministerpräsident Stolpe dafür, dass wir heute hier zu Gast sein können, denn normalerweise findet dies Stipendiatentreffen im Schloss Bellevue statt. Das geht im Augenblick nicht, denn bei uns sind Bauarbeiten, und außerdem wollen wir heute noch ein Sommerfest zusammen feiern. Da würde eine so große Zahl von Menschen uns die Vorbereitungen unmöglich machen.

Für mich ist das Treffen mit den Humboldt-Stipendiaten immer ein besonders fröhlicher und schöner Anlass, und ich möchte Sie alle ganz herzlich begrüßen. Am schönsten finde ich, wenn ich hier die vielen Köpfe sehe, die guten Gesichter, dass auch 277 Kinder heute mit dabei sind. Die kann ich nicht alle sehen, die spielen wahrscheinlich auch viel lieber ungestört weiter, aber die grüße ich ganz besonders herzlich und wünsche ihnen, dass es ihnen in Deutschland gefällt. Man kann ein Land auch daran erkennen, wie es mit seinen Kindern umgeht. Dass Sie - in Deutschland sagt man: mit Kind und Kegel - gekommen sind, darüber freuen wir uns ganz besonders.

Zwei Zahlen habe ich mir gemerkt: die 277 Kinder und die 68 Länder, aus denen Sie kommen. China hat dabei einen ganz besonderen Stellenwert, denn aus China kommen ganz besonders viele der Stipendiaten dieses Jahres. Es ist gut, dass aus allen Kontinenten und aus allen Erdteilen immer wieder Menschen zu uns kommen, die unsere Sprache lernen, die unser Leben zu verstehen versuchen, die uns von sich erzählen und von dem, was sie an wissenschaftlichen Erkenntnissen einbringen in eine längst international und global gewordene Welt. Ich hoffe, dass Sie eine gute Zeit bei uns haben.

Eine Zahl habe ich mir nicht merken können: Das ist die Zahl der Länder, in denen Alexander von Humboldt gewesen ist. Ich weiß nur, Herr Professor Frühwald, wohin ich auch immer komme, überall gibt es Staatspräsidenten und Botschafter, die mir sagen: "Hier hat Humboldt so und so lange gelebt". Das gibt es in Südamerika, das gibt es in Europa, das gibt es in Asien - überall. Wenn der überall gelebt hat, wo mir die Staatspräsidenten das fest versprechen, dann ist der älter geworden als Mose mit seinen 273 Jahren.

Dieser Alexander von Humboldt, der ist ein großer Briefschreiber gewesen, und der hatte eine wunderschöne Schlussformel in seinen Briefen. Sie lautete: "Mit unveränderlichen Gesinnungen stets der Ihre"; sie hat mir immer besonders gut gefallen. Dieser Alexander von Humboldt hat Menschen in Deutschland und in aller Welt gelehrt, dass das Streben nach Wissen und das Suchen nach Erkenntnis dem Menschen mitgegeben ist, und dass er selber - der Mensch - reifer und reicher wird, wenn er diesem Streben folgt, wenn er sich selber erprobt, wenn er versucht, so viele seiner Gaben zu entdecken, wie es nur möglich ist, damit er viele der Aufgaben, die diese Welt uns stellt, erfüllen kann.

Darum ist dieser Alexander von Humboldt für uns ein großes Beispiel - nicht nur der Internationalität, nicht nur der Wissenschaftlichkeit, sondern auch der Humanität, der Menschlichkeit und der Mitmenschlichkeit wegen.

Wir leben hier in Deutschland in einem Land, dem es relativ gut geht, verglichen mit vielen, vielen anderen Ländern, aber wir haben auch unsere Probleme, wir haben auch unsere Sorgen. Gegenwärtig gehört zu unseren Sorgen, dass nicht nur in Europa, sondern weltweit wieder Stimmungen Platz greifen könnten, die versuchen, Menschen nach ihrem Aussehen, nach ihrer Rasse, nach ihrem Glauben, nach ihrer Herkunft zu klassifizieren. Wir müssen solchen Versuchungen widerstehen und wir müssen deutlich machen: Jeder Mensch, der auf dieser Erde lebt, ist gleich wertvoll, auch wenn er nicht gleich ist mit den anderen Menschen.

Dem dient die Internationalität unserer Arbeit, das müssen wir alle lernen, das hat keiner von uns gewissermaßen "mitbekommen", sondern das muss man sich immer wieder erarbeiten und bewusst machen. Helfen Sie mit, dass uns das gelingt. Haben Sie Freude an der Zeit, die Sie in Deutschland verbringen können, und denken Sie auch ein bisschen an mich: Ich muss nächste Woche, nein, morgen schon, nach Thailand, nach Korea, nach Japan, und ich reise viel weniger gern als meine Frau. Ich freue mich schon jetzt darauf, dass Sie noch da sind, wenn ich wiederkomme. Alles Gute!