Meine Damen und Herren,
für mich besteht kein Zweifel: Die Leistungsfähigkeit unserer Wirtschaft und damit auch der Wohlstand, den wir erwirtschaften können, hängt entscheidend ab von der Qualifikation unserer Arbeitnehmer. Darum ist es so wichtig, dass wir ein modernes Ausbildungssystem haben und darum wird es zunehmend wichtiger werden, dass wir einen gut ausgebauten, einen modernen und einen flexiblen Weiterbildungssektor haben. Beides, Ausbildung und Weitbildung, ist kein Luxus, sondern ein existentielles Gut.
II.
- Die Hauptschulen müssen allen Schülerinnen und Schülern die Grundfähigkeiten im Lesen, Schreiben und Rechnen vermitteln.
- Die Hauptschulen müssen stärker als bisher die individuellen Begabungen der jungen Menschen fördern und fördern können, das ist die zweite Anforderung.
- Drittens müssen die Hauptschulen wieder stärker gesellschaftliche Werte vermitteln. Die jungen Menschen müssen ihre Rolle in der Gesellschaft finden können. Sie müssen wissen und erfahren, dass sie gebraucht werden und sie müssen erfahren, dass sie Verantwortung tragen, für sich und andere.
Die Betriebe begründen ihre Zurückhaltung bei der Ausbildung häufig damit, dass sie die Lehrlinge nach der Prüfung nicht übernehmen könnten. Mehr als eine Vermutung kann das aber doch nicht sein. Die wirtschaftliche Lage kann sich in drei Jahren ganz anders darstellen, aber auch wenn das nicht so wäre: Ohne eine abgeschlossene Berufsausbildung hat ein junger Mensch auf dem Arbeitsmarkt heute keine Chance.
Viele sagen auch, die Ausbildung im eigenen Betrieb sei ihnen zu teuer. Sie erwarten offensichtlich, dass andere die Ausbildungskosten tragen und sie selber den Nutzen haben. Das ist weder vorausschauend noch verantwortungsvoll gedacht. Wer nur betriebswirtschaftlich rechnet, der fährt auf sehr kurze Sicht, denn er schafft sich und anderen heute die Probleme, die er dann morgen nicht lösen kann. Die duale Ausbildung darf jedenfalls nicht als Sündenbock herhalten dafür, dass sich mancher Betrieb seiner gesellschaftlichen Verantwortung entzieht.
Es bleibt dabei: Die berufliche Ausbildung junger Menschen ist eine Aufgabe, die die Betriebe erbringen müssen, für sich, für die jungen Frauen und Männer und in unser aller Interesse. Ich kenne viele Betriebe, die über ihren eigenen Bedarf hinaus ausbilden. Dafür bin ich dankbar und dafür sage ich den verantwortungsvollen Unternehmern und Handwerksmeistern meinen Dank.
Es gibt auch andere gute Beispiele dafür, wie die Verbände die Ausbildung unterstützen können. So ist im Rahmen des Bündnisses für Arbeit und Ausbildung ein Patenschaftsprogramm auf die Beine gestellt worden, das Auszubildende und potentielle Ausbildungsbetriebe finanziell und logistisch unterstützt. Ich habe über dies Programm die Schirmherrschaft übernommen. Ich wäre froh, wenn sich an diesem Programm möglichst viele Unternehmen beteiligten.Meine Damen und Herren, wer Reformbedarf im Ausbildungssystem sieht, der muss ihn konkret definieren und konsensorientiert an einer gemeinsamen Lösung mitzuwirken versuchen. Allgemein gehaltene Kritik reicht nicht aus, und sie führt auch nicht wirklich weiter.Ein ganz konkretes Problem, das in den nächsten Jahren gelöst werden muss, auch das haben wir schon gehört, sehe ich zum Beispiel darin, dass sich Handwerker aus einigen EU-Staaten mit den in ihren Heimatländern geltenden Qualifikationsanforderungen in Deutschland selbständig machen und niederlassen können - und das auch ohne Meisterbrief. Ein gut ausgebildeter deutscher Handwerker dagegen braucht den Meisterbrief, um einen eigenen Betrieb gründen zu können. Dass das vernünftig sein soll, das ist nicht nur den Betroffenen schwer zu erklären. Ich will mich jetzt nicht beteiligen an der Diskussion um den Meisterbrief, um den großen Befähigungsnachweis als eine notwendige Grundlage für eine selbständige Existenz. Nur so viel: In dieser Frage, die auch mit der Attraktivität einer Handwerkslehre zu tun hat, erwarte ich von den Unternehmen und ihren Verbänden mehr Flexibilität und die Bereitschaft, ausgetretene Pfade zu verlassen.Es ist nicht immer die Schuld der Politik, wenn notwendige Reformen verzögert oder ausgebremst werden. Beharrungstendenzen und Besitzstandswahrung kenne ich auch in der Wirtschaft und in ihren Verbänden.
III.
Meine Damen und Herren, wir wissen inzwischen alle, dass sich die Anforderungen an einen Arbeitnehmer im Laufe seines Berufslebens erheblich wandeln können. Die eine Berufsausbildung für ein ganzes Leben gibt es eben nicht mehr.Technische Veränderungen und die Internationalisierung der Wirtschaft, die Globalisierung der Märkte machen es nötig, alle beruflichen Qualifikationen ständig weiter zu entwickeln. Darum ist die Weiterbildung, das lebensbegleitende Lernen, ein Kernelement der beruflichen Bildung geworden. Auf dem Papier scheint das allen Verantwortlichen in den Unternehmen und in den Verbänden klar zu sein.Es gibt wohl kaum noch ein Unternehmensleitbild, in dem der Hinweis auf die permanente Fortbildung fehlt, auf lebenslanges Lernen der Beschäftigten. Gelebte Wirklichkeit ist es trotzdem leider noch viel zu selten. Da muss auch das Personalmanagement in den Unternehmen noch manches lernen: So wie die Berufsschule elementarer Bestandteil der beruflichen Bildung ist, so ist die Weiterbildung der Mitarbeiter ein Kernelement moderner Unternehmensführung.Es gibt in der Weiterbildung noch nicht genügend gruppenspezifische Angebote. Die demographische Entwicklung zeigt uns ganz deutlich, der Anteil älterer Arbeitnehmer im Berufsleben deutlich wird zunehmen. Ältere Menschen lernen aber anders als junge Menschen. Das muss in den Weiterbildungsangebote bedacht und berücksichtigt werden.Gerade auf diesem Feld habe ich den Eindruck, dass es nicht nur praktische, sondern auch theoretische Defizite gibt. Wir wissen zu wenig. Darum bin ich froh darüber, dass sich Ihr Kongress in mehreren Foren mit diesem Thema beschäftigen wird.Es gibt ja häufig noch das Vorurteil, ältere Arbeitnehmer könnten mit den neuen Kommunikationsmedien nicht umgehen. Das entspricht schon lange nicht mehr der Wirklichkeit. Im Gegenteil, viele so genannte Senioren, zu denen ich auch rechne, besuchen inzwischen Computerkurse - das tue ich nicht - surfen im Internet, sie kommunizieren mit Freunden via e-Mail. Sie benutzen Schreibprogramme, sie spielen Schach oder sie gestalten ihren Garten am PC. Wir sollten die Lernfähigkeit älterer Menschen nicht unterschätzen.Was für die Senioren gilt, das gilt noch vielmehr für diejenigen Älteren, die im aktiven Berufsleben stehen. Dies Potenzial und deren Fähigkeiten müssen in Zukunft viel stärker gefördert und genutzt werden. "Mit 50 beruflich nicht mehr vermittelbar" - dieser Satz muss bald der Vergangenheit angehören. Der Satz ist eine geistige und eine menschliche Bankrott-Erklärung, die wir uns nicht leisten können.Für die junge Generation ist es wichtig, dass die Grundlagen für lebensbegleitendes Lernen schon im jungen Lebensalter gelegt werden. Darum halte ich es für so wichtig, dass in unseren Schulen und auch in den Betrieben nicht nur Wissen vermittelt wird. Das ist auch richtig und wichtig. Mindestens genauso bedeutsam ist es aber, jungen Menschen beizubringen, sie zu lehren, vielleicht Ihnen vorzumachen, wie sie am besten lernen und wie sie immer wieder Neues aufnehmen können. Das brauchen sie für ihr eigenes berufliches Fortkommen, es ist aber auch wichtig für die wirtschaftliche Zukunft unserer Unternehmen.IV.
Meine Damen und Herren, bei all diesen möglichen und nötigen Reformen, die ich natürlich nur kurz ansprechen konnte, weil die zeitlichen Möglichkeiten meiner Teilnahme an Ihrem Kongress leider sehr begrenzt sind, können wir doch mit Fug und Recht sagen: Unser duales Ausbildungssystem hat sich bewährt. Es ist international ein anerkanntes Markenzeichen Deutschlands, um das uns viele Länder beneiden.Ich würde mich freuen, wenn das BIBB weiter im ständigen Austausch mit Gewerkschaften, Arbeitgebern und der Politik nach Wegen suchte, wie wir unser Berufsbildungssystem auch in Zukunft modern halten können, wie es auf der Höhe der Zeit bleibt. Damit helfen Sie, jungen Menschen eine Perspektive, unserer Gesellschaft eine Zukunft zu geben. Dass Sie neben vielen Referenten aus dem Inland auch viele Experten aus anderen Ländern gewonnen haben, das finde ich dankens- und lobenswert, denn ich ahne, was da für eine organisatorische Leistung vollbracht worden ist.Ich bin froh darüber, dass Ihre Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter, Herr Professor Pütz, so viel Kraft und Mühe investiert haben in die Vorbereitung des Kongresses. Ich bin gespannt auf die Ereignisse und auf die Ergebnisse. Auch wenn ich nicht dabei sein kann, hoffe ich, davon zu hören.