Rede von Bundespräsident Johannes Rau anlässlich der Eröffnung der Deutsch-Russischen Kulturbegegnungen

Schwerpunktthema: Rede

Berlin, , 9. Februar 2003

I.

Sehr verehrter Herr Präsident Putin,

verehrte Frau Putina,

meine Damen und Herren,

herzlich willkommen in Berlin zur Eröffnung der deutsch-russischen Kulturbegegnungen. Wir haben vor zwei Jahren diese Begegnungen verabredet und wir haben uns auf den heutigen Tag sehr gefreut. Wir begrüßen von Herzen die St. Petersburger Philharmoniker unter der Leitung von Michail Pletnjow mit Werken von Tschaikowski und Beethoven.

Und ich gestehe Ihnen, für mich ist das auch deshalb eine bewegende Stunde, weil sie in diesem Saal stattfindet. Ich habe viele Veranstaltungen und Konzerte in diesem Saal erlebt, aber ein Abend geht mir nicht aus der Erinnerung. Am 2. Oktober des Jahres 1990 hat sich hier die DDR verabschiedet. Am nächsten Morgen haben wir die deutsche Einheit in der Oper gefeiert. Auch zehn Jahre Staunen und Glück darf man nicht verschweigen. Wie haben wir damals gezittert, ob das wohl gelingen würde: die deutsche Einheit, die an diesem Tag begann. Und wie glücklich sind wir über die Schritte, die wir haben gehen dürfen.

Am Beginn des 21. Jahrhunderts sind die deutsch-russischen Beziehungen in einem solchen Ausmaß von Partnerschaft geprägt, wie wir das seit langem nicht mehr erlebt haben.

Wie reich die deutsch-russischen Kulturbegegnungen sind, das werden wir in den nächsten Wochen hier erleben. Sie sollen ja mithelfen, dass Russen und Deutsche einander besser kennen lernen und möglichst viel erleben vom kulturellen Erbe und von der zeitgenössischen Kultur des anderen Landes.

Es gibt viele Beispiele für den reichen kulturellen Austausch zwischen unseren Ländern:

  • Der deutsche Philosoph Leibniz hat im Auftrag des Zaren in St. Petersburg eine Akademie gegründet.
  • Der große russische Naturwissenschaftler Michail Lomonossow hat in Marburg studiert, bevor er später bahnbrechende Entdeckungen in der modernen Chemie machte.
  • Alexander von Humboldt hat als einer der ersten 1829 mit Unterstützung von Zar Nikolaus I. Sibirien bereist und erforscht.
  • Peter Iljitsch Tschaikowsky hat seine Sinfonien in Dresden aufgeführt und Richard Wagner seine Opern in St. Petersburg selber dirigiert.
  • Alfred Schnittke, ein russischer Komponist deutscher Herkunft, wird in Russland und bei uns gleichermaßen geschätzt. Ich freue mich darüber, dass eine Schnittke-Oper innerhalb der deutsch-russischen Begegnungen in einer Inszenierung aus Nowosibirsk zu uns kommt.

II.

Sie, verehrter Herr Präsident Putin, haben in Ihrer bedeutenden Rede vor dem Bundestag darauf hingewiesen, dass "die Kultur immer unser gemeinsames Gut war und die Völker verbunden hat." Diese Einsicht hat auch die schrecklichen Ereignisse des 20. Jahrhunderts überdauert.

Nach dem Zweiten Weltkrieg hatten viele gemeint: Diese Last ist zu schwer für unsere beiden Völker. Wir haben nicht die Kraft und nicht die Bereitschaft, aufeinander zuzugehen. Es ist anders gekommen. Schon unter den ganz ungünstigen Bedingungen der Zeit des Kalten Krieges haben sich viele um Versöhnung und Verständigung bemüht. Ich danke allen, die dafür gearbeitet haben.

In den vergangenen Jahren haben unsere Völker bewiesen, dass sie miteinander Zukunft gestalten wollen. Unsere gemeinsamen europäischen Wurzeln, der Wille, sich über Hass und Rachegefühle hinwegzusetzen, und unser Mitleid mit den Opfern - das alles hilft uns dabei. Sie, Herr Präsident, haben vor einer Woche in Wolgograd auch der gefallenen deutschen Soldaten gedacht, die wir mit dem Namen Stalingrad verbinden. Das war ein wichtiges Zeichen. Wir wollen die dunklen Seiten unserer Geschichte nicht vergessen und nicht verdrängen. Russen und Deutschen haben die Kraft und den Willen, im Bewusstsein ihrer Geschichte gemeinsam an einer Zukunft zu bauen, die geprägt ist von Frieden, von Freiheit, von Wohlstand und von Gerechtigkeit.

III.

Berlin ist wie keine zweite deutsche Stadt vielen Russen zur Heimat geworden - in den Jahren nach dem Ersten Weltkrieg und jetzt wieder, in den vergangenen zwölf Jahren. In Berlin leben mehr als 130.000 Menschen, deren Muttersprache russisch ist. Die Zahl russischer Unternehmer wächst, es gibt sogar eine eigene russischsprachige Zeitung. Wenn Wladimir Kaminer hier in Berlin aus seinen Texten vorträgt, dann wird die Begegnung deutscher und russischer Kultur greifbar

Darum freue ich mich darüber, dass wir die Deutsch-Russischen Kulturbegegnungen hier in Berlin eröffnen können. Es wird eine Fülle von Veranstaltungen in den Jahren 2003 und 2004 geben, die den Menschen in beiden Ländern die Gelegenheit schaffen, die kulturelle Vielfalt und den Reichtum im jeweils anderen Land kennen und schätzen zu lernen. Zunächst in Berlin und dann in Moskau wird der zweite Teil der großartigen Ausstellung "Moskau-Berlin 1950-2000" gezeigt. Das junge russische Kino ist gegenwärtig zu Gast bei der Berlinale und Russland ist Gastland der diesjährigen Frankfurter Buchmesse.

Ich danke allen, die dazu beigetragen haben, dass aus dieser großartigen Idee ein faszinierendes Programm wurde. Ich danke allen, die mit ihren Projekten die Deutsch-Russischen Kulturbegegnungen unterstützen und gestalten.

Und jetzt, meine Damen und Herren, wünsche ich Ihnen viel Vergnügen, neue Einsichten und interessante Begegnungen - zuerst heute, und dann in den zwei Jahren der deutsch-russischen Kulturbegegnungen.

Noch einmal herzlich willkommen.