Grußwort von Bundespräsident Johannes Rau für die indische Zeitung "Financial Express"

Schwerpunktthema: Rede

Neu-Delhi, , 28. Februar 2003

Meine Frau und ich freuen uns über das Wiedersehen mit Indien. Der Besuch Ihres Landes vor fünfzehn Jahren, mein Gespräch mit Ministerpräsident Ghandi und das Treffen meiner Frau mit Mutter Theresa in Kalkutta haben einen tiefen und bleibenden Eindruck hinterlassen. Uns geht es wie dem deutschen Dichter Hermann Hesse, der geschrieben hat: "Wer einmal nicht nur mit den Augen, sondern mit der Seele in Indien gewesen ist, dem bleibt es ein Heimwehland."

Die Beziehungen zwischen Indien und Deutschland waren stets freundschaftlich und vertrauensvoll. Indien ist für uns ein besonders wichtiger Partner in Südasien.

Angesichts der großen Herausforderungen, vor denen wir weltweit stehen und die wir nur gemeinsam lösen können, ist die deutsch-indische Zusammenarbeit wichtiger denn je. Der Terrorismus ist zu einer weltweiten Bedrohung geworden. Wir wissen uns mit Indien darin einig, dass wir ihn mit ganzer Kraft bekämpfen, und zugleich alles dafür tun, um die Ursachen dafür zu beseitigen, dass fanatisierte Mörder Sympathie und Unterstützung erfahren. In diesem Zusammenhang können wir, kann die Welt viel von Indien lernen. In wohl kaum einem Land finden sich so viele Völker, Sprachen, Kulturen und Religionen, in kaum einem Land verbindet sich ein so reiches geschichtliches Erbe mit so viel Dynamik und Offenheit für Neues. Indien ist es gelungen, einen demokratischen Staat aufzubauen und eine offene Gesellschaft zu gestalten. Es schmerzt, dass sich trotzdem religiöse Spannungen immer wieder in tragischen Gewaltakten entladen. Ich bin aber überzeugt davon, dass diese Probleme angesichts der inneren Stärke der säkularen Demokratie Indiens überwunden werden können. Indiens Erfolge zeigen, dass die Demokratie keine westliche sondern eine universelle Staatsform ist. Sie ist die einzige politische Ordnung, in der alle Menschen ihre Talente und Kräfte am besten entfalten können.

Indien nimmt in der Welt einen Spitzenplatz in moderner Technologie und in den Naturwissenschaften ein. Ich freue mich deshalb besonders darüber, dass Deutschland und Indien in diesem Bereich seit Jahrzehnten eng und zum Nutzen beider Staaten zusammenarbeiten. Ein Beispiel dafür ist die zivile Weltraumforschung. Ich freue mich darüber, dass ich in Haiderabad die National Remote Sensing Agency besuchen werde.

Viele tausend indische Wissenschaftler haben an deutschen Universitäten und Hochschulen studiert. Mit einigen von ihnen werde ich mich in der Universität von Haiderabad über ihre Erfahrungen unterhalten können, auch darüber, wie deutsche Hochschulen und Forschungseinrichtungen für Studierende und für Wissenschaftler aus anderen Ländern noch attraktiver werden können.

Gut und ausbaufähig ist auch die Wirtschaftskooperation. Indien ist heute ein integraler Bestandteil der globalisierten Weltwirtschaft und Partner in der internationalen Arbeitsteilung, mit allen Problemen, aber auch mit allen Vorteilen, die das mit sich bringt. Viele große deutsche Unternehmen nehmen Dienstleistungen in Anspruch, die hier kostengünstig und mit hoher Qualität angeboten werden. Dazu gehören SAP, Bosch, Daimler-Chrysler und Lufthansa, um nur einige zu nennen. Die deutsch-indische Handelskammer vereint 6.500 Unternehmen, sie ist damit die größte deutsche Außenhandelskammer.

Wenn ich mir den riesigen indischen Wachstumsmarkt auf der einen Seite ansehe und die Warenpalette deutscher Unternehmen auf der anderen, dann sehe ich noch ein großes Entwicklungspotential. Das gilt auch für die deutschen Investitionen in Indien. Unternehmen aus Deutschland sind zwar nach Großbritannien der zweitgrößte europäische Investor, aber das sind lediglich 0,3 Prozent aller deutschen Auslandsinvestitionen. Ich bin überzeugt davon, dass sich das ändern wird. Dazu trägt die Reformpolitik bei, die Indien seit Anfang der 90er Jahre betreibt. Für den Ausbau der gemeinsamen Wirtschaftsbeziehungen wäre es gewiss gut, wenn weitere Handels- und Investitionshemmnisse abgebaut werden - nicht nur in Indien, sondern auch in Europa. Hier sind vor allem die Regierungen gefragt. Der deutsch-indischen Handelskammer wünsche ich weiter Erfolg bei der Aufgabe, im gemeinsamen Interesse Brücken zu schlagen zwischen unseren beiden Ländern.