Gemeinsame Pressekonferenz von Bundespräsident Johannes Rau und dem portugiesischen Staatspräsidenten Jorge Sampaio

Schwerpunktthema: Rede

Lissabon, , 5. Mai 2003

Bundespräsident: Ich bin sehr dankbar dafür, dass ich auf Einladung des portugiesischen Präsidenten für einige Tage hier in Portugal sein kann, um die ausgezeichneten Beziehungen, die zwischen unseren Ländern bestehen, zu bekräftigen und zu ihrer Vertiefung beizutragen. Deutsche Parteien haben mitgeholfen beim Aufbau der Demokratie in Portugal und die deutsche Öffentlichkeit hat den Eintritt Portugals zur Europäischen Union immer wieder gewünscht und gefördert. Um so wichtiger ist es, dass in einer Zeit der Osterweiterung deutlich wird, Europa hat im Westen seiner Geographie wichtige Partner, mit denen wir freundschaftlich verbunden sind und bleiben. Darum war ich in Spanien, darum fahre ich nach Portugal, darum werde ich in Irland sein.

Es gibt keine Probleme, die wir miteinander zu besprechen haben, aber in der Zeit des Aufbaus des europäischen Hauses durch institutionelle Veränderungen gibt es die Notwendigkeit eines vertieften Gedankenaustausches. Viele deutsche Unternehmen sind in Portugal tätig und sie sind es mit großem Erfolg und sie sind es sehr gerne.

Sie kennen das umfangreiche und reizvolle Programm, das wir in diesen Tagen zu absolvieren haben, und ich freue mich schon darauf, Ihnen von den Eindrücken noch erzählen zu können, die ich in diesen Tagen noch gewinne.

Für das herzliche Willkommen noch einmal herzlichen Dank.

Frage: Herr Bundespräsident, Sie treffen sich nach einer Phase, in der in der Irakfrage die Regierungen Europas sehr divergent geredet und gehandelt haben. Welche Möglichkeiten sehen Sie und haben Sie diese auch erörtert, Europa in außenpolitischen und sicherheitspolitischen Fragen wieder näher aneinander zu bringen? Und an Herrn Präsidenten de Sampaio die Frage, speziell Sie als Oberbefehlshaber der portugiesischen Streitkräfte: Wie beurteilen Sie den Vierergipfel von Brüssel, ist das für Sie mehr ein Schritt in Richtung Annäherung oder wieder ein Auseinanderdriften Europas?

Bundespräsident: Wenn Sie erlauben - ich kann nur den ersten Teil der Frage beantworten. Wir haben darüber gesprochen, dass zu Beginn der Auseinandersetzungen um Jugoslawien drei europäische Außenminister nach Belgrad fuhren, nicht um den Reichtum Europas zu zeigen, sondern weil es drei europäische Konzeptionen für Jugoslawien gab und das geht dann bis hin bis zu dem "Brief der Acht" und zu der Haltung, die etwa die Bundesrepublik wahrgenommen hat. Aus dem allen schließen wir, dass wir eine gemeinsame europäische Außen- und Sicherheitspolitik brauchen, damit wir ein verlässlicher Pfeiler im atlantischen und transatlantischen Bündnis sein können. Die Entwicklung einer gemeinsamen europäischen Außen- und Sicherheitspolitik muss Vorrang auf der Tagesordnung haben. Ich nehme an, dass wir darin einig sind, so haben wir uns jedenfalls verständigt.

Präsident Sampaio: Die große Lehre, die wir aus den Irakkrise zu ziehen haben, ist die, dass das Vertrauen unbedingt wiederhergestellt werden muss. Und dazu sind mehrere Erfordernisse notwendig: zuerst einmal ein genaues und tiefes und besseres Verständnis der Außenpolitik und außerdem die Idee, eben die gemeinschaftliche Sicherheits- und Verteidigungspolitik zu schaffen, aber selbstverständlich immer als eine Säule im europäischen Gefüge. Die Herausforderung, vor der wir stehen, ist die Wiederherstellung der transatlantischen Beziehungen und zwar, um es so zu nennen, unter Erwachsenen, also wirklich ohne irgend welche kindlichen Allüren, und das ist für mich die Hauptsache im Augenblick.

Frage: Ich habe eine Frage. Unter welchen Bedingungen würde, und zwar möchte ich gerne ganz genau die Bedingungen wissen, Portugal in der Lage sein, Truppen in den Irak zu schicken und dieselbe Frage stelle ich auch an den Präsidenten der Bundesrepublik Deutschland?

Präsident Sampaio: Meiner Ansicht nach hat sich die Situation nicht geändert. Aber selbstverständlich würde eine solche Anwesenheit der portugiesischen Truppen nur unter dem Mandat einer internationalen Organisation vor sich gehen, zu der wir ja auch gehören, die ganz genau festlegen müsste, wie und unter welchen Bedingungen eine solche Präsenz sein muss. In diesem Fall wäre es durchaus möglich, allerdings immer unter der Voraussetzung, wie ich schon sagte, dass internationale Organisationen daran beteiligt sind.

Bundespräsident: Für uns in Deutschland stellt sich diese Frage gegenwärtig nicht. Für uns stellt sich die Frage, ob wir da, wo wir mit deutschem Militär außerhalb der Grenzen Deutschlands Dienste leisten, also in Afghanistan, im Kosovo und an vielen anderen Stellen, den leidenden Völkern helfen, zu Sicherheit und Frieden zurückzukehren. Das ist eine riesige Herausforderung, die wir gern wahrnehmen und die gegenwärtig alle Kräfte beansprucht. Sollten zusätzliche Anfragen kommen, müsste der Deutsche Bundestag die Möglichkeiten prüfen und die Chancen und Risiken abwägen.

Frage: Die Europäische Union steht vor ihrer großen Osterweiterung in einer Reform ihrer Institutionen. Herr Rau, Sie haben nun betont, dass es so eine Art Gleichklang zwischen den großen und kleinen Mitgliedern geben soll. Wie kann das in einer so großen Gemeinschaft funktionieren? Und die Frage an den portugiesischen Präsidenten: Befürchten Sie nicht, dass so ein kleineres Land wie das Ihre, in einem so großen Europa weniger Gehör findet?

Bundespräsident: Wir haben ein gemeinsames Interesse an der Stärkung der europäischen Institutionen und an der Mitwirkung aller Nationalstaaten. Aber wie das im Einzelnen entschieden wird, das bleibt den Verhandlungen der nächsten Monate überlassen. Dazu können wir in einer solchen Zwischensituation kaum Hilfreiches beitragen.

Präsident Sampaio: Ich verstehe überhaupt nicht, wie es möglich ist, ein Europa aufzubauen, in dem Portugal nicht gehört wird. Das hätte dann überhaupt nichts mehr zu tun mit dem Europa der "Founding Fathers", der Gründer, die ja ein Europa der Nationalstaaten wollten. Wenn eine solche Situation eintreten sollte, ich sage das nur als eine sehr unwahrscheinliche Hypothese, wäre das eigentlich das Ende der Europäischen Gemeinschaft als einer Föderation der souveränen gleichberechtigten Nationalstaaten. Vorhin hat Präsident Rau schon gesagt, wie wichtig es ist, dass die Arbeit am Aufbau Europas weitergeht und ich würde hier vor allen Dingen drei Prinzipien in den Vordergrund stellen: nämlich einerseits die Gleichberechtigung, die Gleichheit der verschiedenen Mitgliedstaaten, die Erhaltung der Beziehungen zwischen Staaten und Bevölkerungen und dann auch die Kohäsion, die von außerordentlich großer Bedeutung ist. Wollen wir größere Effizienz? Natürlich. Wollen wir aber auch eine größere Kohäsion, wollen wir Solidarität? Selbstverständlich. Das kann ich nur sehr betonen und ich möchte mir wünschen, dass ein vielfältiges Europa, in dem jeder einzelne Staat seine Stimme und jedes Volk seine Stimme und seine Meinung hat, von größter Bedeutung ist. Und da sind eben von ganz besonderer Bedeutung für mich auch die zukünftigen Beziehungen zur Bundesrepublik und dann auch die Arbeit, die die Bundesrepublik in der Europäischen Union heute leistet und in Zukunft leisten wird, um einen Ausgleich der verschiedenen Perspektiven der verschiedenen Prinzipien zu erreichen. Dass wir auf die Weise ein neues Gleichgewicht erhalten und eine neue Nähe zu den Bürgern, das ist für mich von ausschlaggebender Bedeutung.