Grußwort von Bundespräsident Johannes Rau auf der Jahresversammlung 2003 der Max-Planck-Gesellschaft

Schwerpunktthema: Rede

Hamburg, , 6. Juni 2003

Verehrter Herr Präsident Gruß,

hochansehnliche Festversammlung,

I.

ich bin gern gekommen, denn Jahresversammlungen dienen dazu, Rechenschaft abzulegen für das zurückliegende Jahr und zugleich einen Ausblick zu geben auf das, was man vorhat für das kommende Jahr. Jahresversammlungen der Max-Planck-Gesellschaft sind immer auch Orientierungspunkte im Gespräch zwischen Wissenschaft, Gesellschaft und Staat. Mir liegt daran - das wissen Sie, dass dieser Dialog intensiv geführt wird, und darum freue ich mich darüber, dass ich heute hier bei Ihnen sein kann.

Mir liegt daran, zu Ihnen zu sprechen, denn wenn man bei der Max-Planck-Gesellschaft ist, bewegt man sich im Reich der Superlative:

  • Die Max-Planck-Gesellschaft ist ohne Zweifel die bedeutendste Einrichtung der außeruniversitären Grundlagenforschung in Deutschland.
  • Sie spielt erfolgreich in der "Champions League" internationaler Forschungseinrichtungen.
  • Sie zieht Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler aus aller Welt an - gegenwärtig sind über 4.700 ausländische Nachwuchs- und Gastwissenschaftler an Max-Planck-Instituten.
  • Und - was mindestens ebenso wichtig ist: Sie hält die besten Forscher im Land.

Viele Wissenschaftler folgen dem Ruf der Max-Planck-Gesellschaft vor allem deshalb gern, weil sie sich dort auch Forschungsinteressen widmen können, bei denen noch nicht absehbar ist, ob sie und welche Bedeutung sie für die Anwendung einmal haben werden. Das wäre, meine Damen und Herren, nicht möglich ohne die Unabhängigkeit der Max-Planck-Gesellschaft - sie ist ein hohes Gut, ein Gut, das sie gemeinsam mit anderen Wissenschaftsorganisationen und den Universitäten gegen den immensen Spardruck auf allen Ebenen einerseits und gegen wirtschaftliche Interessen andererseits verteidigen muss.

Die großartigen Leistungen, die sich auch in den vielen Preisen widerspiegeln, mit denen ihre "Leute" in jedem Jahr gewürdigt werden, wären aber nicht möglich ohne den Weitblick derer, die in ihr Verantwortung für die strategische Ausrichtung tragen. Sie alle haben darum guten Grund, stolz auf diese Leistungen zu sein.

II.

Diese Leistungen sind natürlich in erster Linie wissenschaftlicher Art. Ich möchte aber die Gelegenheit dieses Grußwortes nutzen, einmal hervorzuheben, dass die Max-Planck-Gesellschaft einen wesentlichen Beitrag zum erneuten Zusammenwachsen unseres auch in der Wissenschaft lange geteilten Landes geleistet hat.

Seit der staatlichen Einheit sind viele international konkurrenzfähige und viel beachtete Einrichtungen und Institute der Gesellschaft in den neuen Ländern gegründet worden. Damit haben Sie dazu beigetragen, dass die neuen Länder auf der internationalen Landkarte der Wissenschaft gut zu erkennen sind.

Ich bin davon überzeugt, dass das mittel- und langfristig auch dabei helfen wird, die wirtschaftliche Entwicklung zu fördern. Zugleich haben Sie die Chance genutzt, Ihr Profil durch die Förderung innovativer Forschungsschwerpunkte zu schärfen.

Ich möchte Ihnen als Beispiele drei Institute nennen, die auch für wichtige Orientierungspunkte der Max-Planck-Gesellschaft stehen.

Erstens: Die Grundlagenforschung:

Im März dieses Jahres konnten Sie, Herr Professor Gruss, den Institutsneubau des 1996 gegründeten Instituts für demografische Forschung in Rostock einweihen. Schon wenige Jahre nach seiner Gründung hat das Institut großes internationales Ansehen. Es ist eine der wenigen Einrichtungen weltweit, die sich der demografischen Grundlagenforschung widmen, die neue statistische Methoden entwickeln und ihre Aussagekraft für demografische Analysen prüfen.

Ich nenne zweitens die Internationalität:

Genau ein Jahr zuvor - unter der Präsidentschaft von Hubert Markl - nahm in Dresden das Institut für molekulare Zellbiologie und Genetik seine Arbeit auf. Es hat vom ersten Tag an große Anziehungskraft auf die Besten ihres Faches ausgeübt und ist heute eine der internationalen Top-Adressen in der entwicklungs- und zellbiologischen Grundlagenforschung. Die Wissenschaftler dieses Instituts in Dresden kommen aus über dreißig Ländern, etwa vierzig Prozent der Mitarbeiter kommen aus dem Ausland.

Ich nenne drittens die Integration ostdeutscher Einrichtungen und Wissenschaftler:

Schon 1992 wurde - damals noch unter der Präsidentschaft von Herrn Professor Zacher - in Halle das Max-Planck-Institut für Mikrostrukturphysik gegründet. Es war das erste Institut der Gesellschaft in den neuen Ländern. Es baute auf dem früheren Institut für Festkörperphysik und Elektronenmikroskopie der Akademie der Wissenschaften der DDR auf.

Das ist ein gutes Beispiel dafür, wie wertvolle Erfahrungen von ostdeutschen Wissenschaftlern für die gemeinsame Forschungsarbeit genutzt werden. Natürlich fällt einem dabei der Name von Heinz Bethge ein, der das DDR-Institut bis 1985 geleitet hatte und es - genauso wie die Leopoldina, deren Präsident er bis 1990 war -, durch seine persönliche Integrität und durch seine wissenschaftliche Exzellenz vor allzu starker politischer Einflussnahme bewahrt hatte.

Meine Damen und Herren, so verlockend es wäre, weiter im Bereich der Superlative zu verweilen und auch alle anderen Institutsneugründungen zu nennen, so möchte ich doch einen Punkt ansprechen, der für den Superlativ weniger geeignet ist, bei dem es mehr auf Abwägen und auf Augenmaß ankommt.

III.

Im achtzehnten Jahrhundert hat sich eine Partnerschaft von Staat und Wissenschaft entwickelt, die seither noch enger und vertrauensvoller geworden ist. Das ist kein Zufall. Diese Partnerschaft ist Ausdruck der beiden gemeinsamen Orientierung auf das Gemeinwohl und der Verpflichtung auf universale Werte.

Diese Partnerschaft zeigt sich konkret daran, dass der Staat bis heute der wichtigste Mäzen der Wissenschaft ist, jedenfalls da, wo es um Grundlagenforschung geht. Diese Aufgabe wird er angesichts des wachsenden Drucks privater Forschungsförderung hin zu einer stärker anwendungsbezogenen Forschung auch künftig übernehmen müssen.

Der Staat darf allerdings nicht seinerseits zum Auftraggeber von Forschung werden. Der Staat ist zwar in allen Industrieländern ein wichtiger Mäzen der Grundlagenforschung. Es liegt aber ein guter Sinn darin, dass er sich nicht in den Vordergrund drängt, sondern seine finanziellen Wohltaten an die Wissenschaft über nachgeordnete staatliche, halbstaatliche und autonom agierende Institutionen der Wissenschaftspflege verteilt.

Das Geflecht der Förderinstitutionen sieht in jedem Land ein bisschen anders aus und man kann sicher lange darüber streiten, welches "System" das beste ist. Mir scheint vor allem der Grundsatz wichtig: Das Geld für die Grundlagenforschung kommt in erster Linie vom Staat, aber der Staat regelt die Details der Verteilung nicht selber, sondern er überlässt das der Expertise der Wissenschaftler.

Auch die Max-Planck-Gesellschaft verdankt ihre wissenschaftliche Exzellenz im Bereich der Grundlagenforschung und ihr international hohes Ansehen diesem Grundsatz der Selbstverwaltung. Die Autonomie nutzt der Wissenschaft, weil sie die Züchtung erkenntnisfeindlicher Monokulturen verhindert. Sie nutzt letzten Endes aber auch dem Staat und der Gesellschaft: Nur wenn die Forschungsförderung nicht stromlinienförmig organisiert ist, kann sich die Wissenschaft auch mit dem noch nicht Vorstellbaren beschäftigen und sie kann uns auf das Unvorhersehbare vorbereiten.

IV.

Mir ist bewusst, dass im Zusammenhang der Neuordnung der Finanzbeziehungen zwischen Bund und Ländern auch die Frage der Finanzierung der großen Wissenschaftsorganisationen zur Debatte steht. In die Details dieser Debatte will ich mich nicht einmischen. Das Verflechtungsgestrüpp, das zwischen Bund und Ländern in der Wissenschaftsförderung über die Jahrzehnte gewachsen ist, ist gewiss nicht überall zeitgemäß.

Wie jedes System der Wissenschaftsförderung hat auch das deutsche seine spezifischen Probleme: Wenn sich sechzehn Länder und der Bund einigen müssen, braucht man viel Zeit für Absprachen und Koordinierung. Ich weiß aus meiner Zeit als Wissenschaftsminister in Nordrhein-Westfalen, dass das sehr ermüdend sein kann, aber ich weiß auch, dass dadurch viele Chancen für Vielfalt und Flexibilität entstehen, die man nicht leichtfertig verschenken sollte.

Mir ist vor allem wichtig, daran zu erinnern, dass eine Neuordnung der Förderstrukturen nur dann sinnvoll ist, wenn sie der Wissenschaft nützt. Sie muss größere Planungssicherheit bringen und sie darf nicht eingreifen in die Autonomie der Wissenschaft.

V.

Institutionelle Fragen sind wichtig, aber man sollte ihre Bedeutung nicht überschätzen. Natürlich muss man sich darüber einig werden, ob man auf den Straßen Rechtsverkehr oder Linksverkehr einführt. Entscheidend ist aber, dass man überhaupt fahren kann und dass man sein Ziel fest vor Augen hat und die Mittel dafür, dem richtigen - oder vielleicht besser gesagt: einem richtigen Weg zu folgen.

Die Max-Planck-Gesellschaft zeigt uns jedes Jahr neu, dass sie das kann, dass auch manche Schotterpiste sie nicht davon abhalten kann, ihren Weg zu gehen und wissenschaftliche Spitzenleistungen zu erzielen, die international beachtet werden. Ich bin mir gewiss, dass Ihnen das auch im kommenden Jahr erneut gelingen wird und wünsche Ihnen dafür viel Kreativität, viel Einfallsreichtum, viel Phantasie und viel Erfolg. Herzlichen Dank.