Grußwort von Bundespräsident Johannes Rau anlässlich des Johannis-Empfangs der Evangelischen Kirche in Deutschland und der Verabschiedung von Präses i.R. Bundesminister a.D. Dr. Jürgen Schmude

Schwerpunktthema: Rede

Berlin, , 26. Juni 2003

Herr Ratsvorsitzender, Herr Prälat Reimers, meine sehr verehrten Damen und Herren,

ich darf, nachdem schon Kirkegaard und Nietzsche zitiert wurden, mich Jürgen Schmude zuwenden. Da hat man natürlich manche Assoziationen. Soeben, als Prälat Reimers den Text verlas, in dem Sören Kierkegaard hier am Gendarmenmarkt die Berliner beobachtete, fiel mir ein, was das für eine Persönlichkeit war, dieser Mann des Zweifels und des Glaubens.
Wenn man in Kopenhagen vor seinem Grab steht, kann man einen Vers lesen, der heute kaum noch gesprochen wird:

"Noch eine kurze Zeit, dann ist's gewonnen,
dann ist der ganze Streit in Nichts zerronnen.
Dann werde ich mich laben an Freudenbächen
und ewig, ewiglich mit Jesus sprechen".

Gäbe es doch noch solche Sehnsüchte und gäbe es noch Menschen, die das Wort von Pfarrersohn Friedrich Nietzsche ernstnehmen, der gesagt hat, die Christen müssten ihm erlöster aussehen, wenn er an ihrem Erlöser glauben sollte.

Wir haben genug Stoff zum Nachdenken bei den Vätern, bei den Weggegangenen und Abgefallenen, aber zum Glück haben wir auch außer der Wolke der Zeugen noch die Weggefährten. Für mich ist Jürgen Schmude ein solcher Weggefährte.

Ich habe seine Biografie noch einmal genau gelesen. Es ist nur ein einziger dunkler Punkt darin und der steht nicht einmal drin. Das war 1983, als er es abgelehnt hat, trotz zweistündigen Auf ihn Einredens, Kultusminister im Kabinett Rau zu werden. Sonst ist alles gut.

Was ist das für ein Mann, der zur Minderheit der sogenannten Laien gehört, was viele Gremien angeht. Es ist ja bei uns Evangelischen ein bisschen schwierig mit den Laien. Wir sagen immer, es gebe die Trennung von Geistlichen und Laien nicht. Wir leben nur ein bisschen anders. Die Laien haben es ja auch schwer, obwohl schon Zinzendorf gesagt hat: "Gesegnet sei die Gnadenzeit,/ in der auch ungeübte Knaben/ Befehl und Macht erhalten haben,/ zu werben für die Seligkeit". Das war jetzt ein Schuss Herrnhut. Das hilft auch in Berlin.

Jürgen Schmude kenne ich jetzt etwa 45 Jahre lang. Er war achtzehn Jahre lang Präses der Synode und brachte gleichzeitig das Kunststück fertig, klares politisches Profil damit zu verbinden, dass er nie in den Ruf der Parteilichkeit gekommen ist. Ich finde, das ist eine großartige Lebensleistung.

Wir haben ja andere Zeiten erlebt. Wir haben ja erlebt, dass der erste Präsident, der erste Präses der Synode, der damaligen gesamtdeutschen Synode, abgewählt wurde mit dem Vorwurf der Parteilichkeit; nicht weil er parteilich war, sondern weil er die Partei gewechselt hat. Dann kam als Nachfolger Constantin von Dietze aus Freiburg, auch ein Glücksfall nach Gustav Heinemann.

Jetzt reden wir aber von diesen achtzehn Jahren, in denen Jürgen Schmude nach einer glanzvollen und dennoch wortkargen politischen Karriere die Evangelische Kirche in Deutschland in ihrem Parlament, in ihrer Synode auf eine für mich außerordentlich eindrucksvolle Weise repräsentiert hat.

Ich denke, wenn wir jetzt die Chance hätten, Texte von Jürgen Schmude zu lesen, dann würden wir entdecken, dass dieser in Insterburg geborene und dann in Moers lebende - also in der Stadt, in der Gerhard Tersteegen geboren ist und gelebt hat - dass dieser evangelische Christ Zeichen gesetzt und Richtungen gegeben hat. Dafür sollten wir ihm alle dankbar sein, die evangelischen Christen, aber nicht nur die, denn er streitet für die Demokratie als Herrschafts- und Lebensform.

Er sagt: "Heute ist die gesellschaftliche Umwelt offen für kirchliches Reden. Christen haben viele Positionen in Politik, Wirtschaft und an anderer Stelle übernommen. Die Chancen, gehört zu werden, sind also unvergleichlich besser. Natürlich und erfreulicherweise kann man auch ohne Demokratie Christ sein. Aber gerade die deutschen Erfahrungen bestätigen die Einsicht, die Karl Barth mit den Worten ausgedrückt hat: ´Dass man in einer Demokratie zur Hölle fahren und unter einer Pöbelherrschaft oder Diktatur selig werden kann, das ist wahr. Es ist aber nicht wahr, dass man als Christ ebenso ernstlich die Pöbelherrschaft oder die Diktatur bejahen, wollen, erstreben kann, wie die Demokratie.´"

Das hat er, Jürgen Schmude, im Beruf und im politischen Mandat viele Jahre belegt, gezeigt und damit hohe Anerkennung gefunden. Nun sind wir Evangelischen und wir Christen ja immer in der Gefahr zu sagen, man dürfe Menschen nicht loben. Das ist falsch. Gelobt muss sein, sagt der Apostel Paulus. Deshalb lobe ich diesen aufrechten Demokraten, diesen überzeugten Christen und diesen Mittäter in unserer demokratischen Gesellschaft in der Erinnerung daran, dass auch die Weimarer Republik nicht daran zugrunde gegangen ist, dass es zu viele Radikale gab, sondern zu wenig Demokraten.

Dass wir diesen Demokraten in politischer und kirchlicher Verantwortung gehabt haben, das war ein Geschenk, für das wir ihm danken, für das wir seiner Frau Gudrun danken. Auch wir kennen uns aus jenen Zeiten, als man noch mit Rechtsanwälten verhandeln musste, um über die Grenze zu kommen.

Ich wünsche viele, viele gute Jahre und Gottes Segen für jeden Tag.