Grußwort von Bundespräsident Johannes Rau anlässlich des fünfzigjährigen Bestehens des Malteser Hilfsdienstes

Schwerpunktthema: Rede

Köln, , 27. September 2003

Meine Damen und Herren, wer mich kennt, kann es ein bisschen hören, dass die Chinareise und das anschließende Wochenende in Jerusalem und in Tel Aviv mich doch stärker beansprucht haben - der Wechsel zwischen Klimaanlage und feuchter Außenluft.

Manchmal hat selbst so ein bergischer Reformierter wie ich ein richtig katholisches Wochenende. Da habe ich heute Vormittag in meiner Bonner Residenz den Großmeister und die Leitung des Malteserordens empfangen. Jetzt bin ich hier. Ich verlasse Sie früh, damit ich pünktlich beim Maximilian Kolbe Werk in Berlin bin, mit Kardinal Lehmann. Den verabschiede ich dann, weil ich ja morgen früh in Bamberg bei der Görres-Gesellschaft sein soll.

Also da ist evangelisch bleiben etwas richtig Tapferes. Aber jetzt füge ich hinzu: Es gibt noch eine Schwierigkeit, denn es gibt eine ungeschriebene Regel im Bundespräsidialamt: Wichtige Organisationen werden in den fünf Dienstjahren des Bundespräsidenten nur einmal besucht. Ich war schon bei den Maltesern am 21. Juni 2000 zur Johannisfeier. Das war damals zusammen mit den Johannitern. Darum habe ich entschieden: Da ich damals auch Namenstag hatte, rechnen wir das nicht.

Jetzt kommt das dritte Problem: 900 Jahre gibt es den Malteserorden, eine würdige, eine Weltzeit. Was macht man da mit fünfzig Jahren Malteserhilfsdienst? Aber ich sage Ihnen: Fünfzig Jahre Malteser Hilfsdienst in Deutschland, das ist fünfzig Jahre lang Minderung von Leid, Abwehr von Gefahr, Rettung von Menschen, Zuwendung zum Anderen.

In dieser Gesellschaft, in der man manchmal glaubt, dass eigentliche Symbol sei der Ellenbogen und nicht die ausgestreckte Hand, in dieser Zeit ist nichts so wichtig wie die Zuwendung zum Anderen, der Trost im Leid, die Hilfe bei Gefahr, dass aus dem "Anderen" ein "Du" werden kann. Wer könnte das besser als evangelische oder katholische Christen? Die sind nicht besser als die anderen, die haben es besser als die anderen,

  • weil sie ihr Leben nicht sich selber verdanken und das wissen,
  • und weil die Weitergabe dieses Wissens unsere Welt wärmer macht als sie ist, unsere Welt wohnlicher macht als sie ist,
  • und weil sie unsere Blicke schärft dafür, dass längst nicht alles in Ordnung ist, auch nicht in den Wohlstands- und Wohlfahrtsländern zu denen wir gehören.

Lassen sie sich einmal die Zahlen sagen von Kindern, die ihren Lebensmittelpunkt auf der Straße haben und zwar nicht in Manila, nicht in Buenos Aires, sondern in Berlin, in Hamburg, in Köln, in Frankfurt. Lassen sie sich einmal die Zahlen sagen von Menschen, die Gefährdungen durch bisher unheilbare Krankheiten durchzustehen haben. Gehen sie einmal diesen Statistiken nach, die ihnen sagen, wie viele Menschen allein sterben und abgeschoben sind, wenn sie die letzte Stunde ihres Lebens durchzustehen haben.

Nein wir sind kein unbarmherziges Volk, wir sind keine Gesellschaft von lauter Karrieristen. 22 Millionen von den 82 Millionen, die wir sind in Deutschland, tun irgendetwas Ehrenamtliches: im Roten Kreuz, bei Maltesern, bei Johannitern, in Kirchenchören, bei der Feuerwehr.

Es gibt sehr, sehr viel Bereitschaft zum ehrenamtlichen Tun. Aber es ist noch Platz auf der nach oben offenen, nicht Richter -, sondern Bruder-und-Schwester-Skala. Die Skala müssen wir verändern, damit diese Gesellschaft bei allem Wohlstand nicht erfriert und damit wir eine junge Generation bekommen, die nicht nur von allem den Preis kennt, sondern vom Wichtigsten den Wert.

Deshalb sind Malteser, sind Johanniter, sind viele andere auch mit anderen Glaubensüberzeugungen unersetzlich und dürfen sich nicht verstecken. Ein Jubiläum, wie das Ihre, ist das Gegenteil von Verstecken, ist sich aufstellen, sich darstellen; hoffentlich nicht sich Großmachen, sondern sich zu erkennen geben.

Da meine ich wäre es richtig, wenn der Bundespräsident in fünf Jahren auch ein zweites Mal käme und sagte, was im alten Testament steht und was ich leider nur - selbst die Kölner werden es nicht übel nehmen - in der Lutherfassung zitieren kann, der war ja früher auch katholisch: "Seid getrost, tut Eure Hände nicht ab, denn Euer Werk hat seinen Lohn."