Grußwort von Bundespräsident Johannes Rau anlässlich der Verleihung des Deutschen Umweltpreises 2003

Schwerpunktthema: Rede

Osnabrück, , 26. Oktober 2003

Ganz leicht ist das nicht, bei einem solchen Umweltpreis zu reden, denn man ist natürlich in der Gefahr vieles von dem zu wiederholen, was die Laudatoren, in Filmen und Gesprächen bereits gesagt haben. Also versuche ich ein paar zusätzliche Akzente zu setzen.

Ich bin ein paar Mal in China gewesen, zweimal in der Zeit, in der ich Ministerpräsident war, einmal als Bundespräsident. Als wir 1983 und 1988 in Peking waren, da konnte man, wenn man über seine eigene Zukunft nachdachte, sagen: "Wenn das nichts wird zu Hause, dann werde ich hier ein Fahrradfabrikant, das brauchen die immer;" denn es gab nur Fahrräder. Ich erinnere mich an eine Fahrt zu einem großen Stahlwerk, das war weit im Lande. Da kam aus den Schornsteinen ein gelb-bräunlicher Ausstoß. Ich fragte den Fabrikdirektor, was das sei, denn ein nordrhein-westfälischer Ministerpräsident weiß mit Immissionen und Emissionen gut umzugehen. Er sagte, das mache nichts, er wisse es nicht genau.

Als wir jetzt in China waren, hatten wir den Eindruck, wir kommen in Autostädte. Shanghai, Peking: Städte in denen es brummt. Die chinesische Wirtschaft ist begeistert vom eigenen Schwung; so begeistert, wie ich es mir manchmal in Europa und auch bei uns in Deutschland wünschen würde. Aber jetzt ist die Situation anders, auch in China. Jetzt sprechen chinesische Politiker und Unternehmer von Umweltschutz und fragen danach, wie wir das gemacht haben auf dem Weg zur Industrialisierung? Was haben Sie getan? Waren Sie früh genug bei der Nachhaltigkeit? Sind wir vielleicht schon zu spät?

Mich hat das sehr bewegt, weil ja Umweltschutz kein nationales Thema ist, sondern ein weltweites, ein wirkliches Globalisierungsthema.

Wasser kennt keine Grenzen, Luft kennt keine Grenzen, inzwischen kennt auch Kapital keine Grenzen mehr. Manchmal hat man den Eindruck, auch Menschen sollen keine Grenzen mehr kennen. Das halte ich dann für zu weit gehend, aber, weil das so ist, müssen wir darauf achten, welche Stelle wir dem Umweltschutz einräumen. Weil ich glaube, dass er nach ganz vorne gehört, bin ich bisher jedes Jahr zur Verleihung des Deutschen Umweltpreises gekommen und ich meine, das ist richtig gewesen.

Wenn ich auf die Preise sehe, fällt es mir natürlich leicht, stolz zu sein: Auf einen so erfolgreichen Unternehmer und einen so originellen, umstrittenen, aber offenbar auch erfolgreichen Wissenschaftler. Das ist schön. Ein bisschen bekümmert bin ich, wenn ich dann anschließend lese, der Anteil der deutschen Patente im Umweltschutz ist seit fünf Jahren rückläufig. Die anderen Patentbereiche nehmen zu. Das war einmal anders und das ist an vielen Stellen anders. Es gibt Bereiche im Umweltschutz, da ist Deutschland Weltspitze, aber wir müssen aufpassen, dass wir nicht drittklassig werden, indem die Phantasie erlahmt und die Energie nachlässt. Umweltschutz muss ein bleibendes, muss ein Dauerthema sein.

Wir haben zu viele Jahre, zu viele Jahrzehnte in Deutschland geglaubt - mindestens bis Mitte der 70ger Jahre - esgebe einen Gegensatz zwischen Ökologie und Ökonomie. Ich kann mich gut erinnern, wie Rudolf von Bennigsen-Foerder, der damalige VEBA-Chef, 1975 die erste große Rede hielt zum Thema "Arbeit und Umwelt"; wie wir mühsam miteinander gelernt haben, dass Umweltschutz Arbeitsplätze schafft und nicht vernichtet.

Es gibt Menschen, die haben von Umweltschutz und Ökologie eine zu romantische Vorstellung, die glauben, dass wir alle morgens nur Müsli essen, dass wir Kunstgewerbekleidung tragen, dass wir so ein handgestricktes Leben führen. Nein, das ist nicht richtig. Umweltschutz ist nicht im billigen Sinne zurück zur Natur, sondern Umweltschutz ist ein neuer Blick, sind neue Augen für die Schöpfung. Das zu lernen, ist eine Daueraufgabe. Da kann man helfen, indem man Bäume und Kinderbücher zum Gegenstand seines Lebens macht oder indem man Filteranlagen schafft und andere Dinge, die ich technisch überhaupt nicht verstehen kann.

Ich finde, wir haben heute einen besonderen Tag mit besonderen Preisträgern. Darüber bin ich sehr froh, auch wenn ich in den letzten Tagen viele Briefe bekommen habe, in denen mir geschrieben wurde, ich solle nun auch noch zu einzelnen Preisträgern und ihren Werken Stellung nehmen. Das ist nicht Sache des Bundespräsidenten. Ich weiß, so wie früher bei Archimedes geht es nicht mehr. Der hat ja seine Erfindungen in der Badewanne gemacht, wie wir alle gelernt haben. Wenn er etwas erfand, hat er einen Freudenstoß ausgerufen. Ich weiß nicht, wann Herr Schulte 'Heureka' gerufen hat, ich weiß das auch von ihnen nicht, Herr Professor Mattheck. Ich wünschte mir aber ein solches Heureka auf vielen, vielen Gebieten, damit deutlich wird, diese Welt die uns gehört, ist in Wirklichkeit ein Geschenk. Dieses Geschenk gehört unseren Kindern und Enkelkindern und denen die nach uns kommen.

Einer trage des anderen Last, steht in Galater 6. Da steht aber auch von dem gesegneten Menschen. Der ist wie ein Baum gepflanzt an den Wasserbächen, der seine Frucht bringt zu seiner Zeit und seine Blätter verwelken nicht. Ich wünsche mir, dass der Umweltschutz nicht verwelkt. Ich wünsche, dass wir ihn nicht zurückschreiben in die Feuilletons, sondern dass er auf der Agenda der Politik bleibt, in allen Parteien und in allen gesellschaftlichen Gruppen.

Ich gratuliere den beiden Preisträgern herzlich, und grüße frühere Preisträger, die ich hier im Saal sehe. Weil ich nun das letzte Mal als Bundespräsident dabei sein werde bei der Verleihung des Deutschen Umweltpreises, wünsche ich der Deutschen Bundesstiftung Umwelt Energie, Phantasie und viele, viele, die mitmachen.

Ich wünsche Osnabrück und Niedersachsen und unserem ganzen deutschen Volk von Herzen Gottes Segen.