Rede von Bundespräsident Johannes Rau vor dem mexikanischen Senat

Schwerpunktthema: Rede

Mexiko-Stadt, , 19. November 2003

Haben Sie ganz herzlichen Dank für die Einladung, zu Ihnen zu sprechen. Ich weiß, dass das wahrlich keine Selbstverständlichkeit ist, sondern ich sehe es als Ehre und als Ausdruck der guten und freundschaftlichen Beziehungen zwischen unseren beiden Ländern.

Wenn ich sage, dass die bilateralen Beziehungen gut und freundschaftlich sind, dann ist das kein Klischee, sondern die angemessene Beschreibung unser rund 200-jährigen Zusammenarbeit. Das deutsche Interesse an Mexiko geht bis ins frühe 19. Jahrhundert zurück und es ist bis heute wach geblieben. Das zeigen gerade in diesem Jahr der Erfolg mexikanischer Ausstellungen in Deutschland. Mexikanische Kultur und Lebensweise in Musik und Tanz und kulinarische Spezialitäten Mexikos sind längst ins deutsche Alltagsleben aufgenommen und dort viel präsenter, als Sie alle vielleicht glauben mögen. Umgekehrt gehören deutsche Firmen mittlerweile zu den wichtigsten Investoren in Mexiko. Mehr als 800 deutsche Firmen haben sich in Mexiko niedergelassen, sie steuern rund 5 % zum Bruttoinlandsprodukt Mexikos bei.

Ich freue mich darüber, dass der Dichte des wirtschaftlichen und des kulturellen Austausches mittlerweile auch ein verstärkter Dialog zwischen unseren Parlamenten entspricht. Sie, Herr Senatspräsident, waren mit Ihren Kollegen Gast bei der Habitat-Konferenz in Berlin im Mai diesen Jahres. Bundestagsvizepräsident Lammert hat diesen Besuch im Juli erwidert, und der Petitionsausschuß des Deutschen Bundestags hat Mexiko im September besucht.

Mexiko und Deutschland haben beide eine bundesstaatliche Verfassung, und in beiden Ländern diskutieren wir über die Ausgestaltung des Föderalismus in der Zukunft, aber auch die Debatte über die Reform der Sozialsysteme und des Arbeitsmarkts sind Themen und Fragestellungen, zu denen sich unsere Parlamente austauschen könnten und, wie ich meine, sollten. Das Gespräch zwischen unseren Ländern sollte sich nicht allein auf die gesellschaftlichen Akteure und Regierungsvertreter beschränken, sondern es sollte auch die jeweiligen Legislativorgane einbeziehen.

Als Mitglieder des Senats haben Sie eine besondere Verantwortung für Mexikos Rolle in der Welt. Deutschland und Mexiko teilen gemeinsame Werte wie das Bekenntnis zu den Menschenrechten, zu Rechtsstaatlichkeit und zur Demokratie. Wir sehen uns auch - und das nicht erst seit den fürchterlichen Anschlägen des 11. September 2001 - international mit sehr ähnlichen Herausforderungen konfrontiert. Terrorismus, die Verbreitung von Massenvernichtungswaffen, Regionalkonflikte, aber viel mehr noch Armut, Hunger, Umweltzerstörung und die ungerechte Verteilung des Reichtums gehören zu den dringendsten Problemen, die wir gemeinsam lösen müssen. In Deutschland ist sehr genau beachtet worden, dass Mexiko in den letzten Jahren international mehr Verantwortung übernommen hat. Wir begrüßen das sehr. Deutschland ist gerne bereit, sich in der Zukunft noch enger mit Mexiko in Fragen der internationalen Politik abzustimmen. Dabei können wir anschließen an die gute Zusammenarbeit beider Länder während unserer gleichzeitigen Zugehörigkeit zum Sicherheitsrat der Vereinten Nationen.

Die Vereinten Nationen sind und bleiben für uns das zentrale Entscheidungsgremium in der internationalen Politik. Sie sind unverzichtbar, aber sie sind auch reformbedürftig. Reformbedürftig, weil ihre Instrumente an die Herausforderungen angepaßt werden müssen, die ich soeben genannt habe, und weil ihre innere Verfasstheit mehr den Gegebenheiten von 1945 entspricht als denen von heute. Unverzichtbar sind die Vereinten Nationen, weil nur sie auf globale Akzeptanz ihrer Entscheidungen hoffen können. Das aber ist Voraussetzung für eine friedliche internationale Ordnung.

Mexiko hat heute rund 100 Millionen Einwohner. Sein Außenhandel ist größer als der aller anderen Ländern Lateinamerikas zusammen. Das NAFTA-Mitglied Mexiko liegt zudem geografisch an strategisch wichtiger Stelle zwischen Nordamerika und den Staaten Mittel- und Südamerikas. Seit Gründung der NAFTA hat Mexiko eine besondere Pionierfunktion und Verantwortung für den freien Welthandel und für das Gelingen der Globalisierung. Seien Sie also sicher: Mexikos Stimme wird gehört, Mexikos Stimme hat Gewicht.