Rede von Bundespräsident Johannes Rau anläßlich des Staatsbankettes gegeben von Staatspräsident Ricardo Lagos Escobar

Schwerpunktthema: Rede

Santiago de Chile, , 24. November 2003

Ich danke Ihnen herzlich für den überaus freundlichen Empfang, den Sie und die Bürger von Santiago uns in den ersten beiden Tagen unseres Besuchs bereitet haben.

I.

Zwischen unseren beiden Ländern, Herr Präsident, bestehen seit langem enge und freundschaftliche Beziehungen. Sie reichen weit in die Geschichte zurück.

Schon 1540 kam der erste Deutsche, Bartholomäus Blumen aus Nürnberg nach Santiago, wo er das Amt des Prokurators übernahm. Mir scheint, es ist mehr als ein Zufall, daß zu den ersten Deutsch-Chilenen ein Nürnberger gehört. In Nürnberg wurden die Reichsinsignien des deutschen Kaisers Karl V aufbewahrt, in dessen Reich die Sonne bekanntlich nicht unterging. Er war als Karl I. auch König der spanischen Länder.

Fast auf den Tag genau vor einem Jahr haben wir gemeinsam den hundertfünfzigsten Jahrestag der deutschen Einwanderung nach Chile festlich begangen. Im Jahr 1852 hatten ersten deutschen Einwanderer ihre neue Heimat erreicht, die Küste des südlichen Chile - die ersten Einwanderer, die organisiert aus Deutschland dorthin kamen. Meine Delegation und ich freuen uns auf den morgigen Tag, wenn wir in Valdivia sein werden.

Die Deutschen, die damals zu einer ungewissen und strapazenreichen Reise in das ferne, unbekannte Land - am Ende der Welt - aufbrachen, träumten von einer besseren Zukunft für sich und für ihre Kinder, von wirtschaftlicher Sicherheit und politischer Freiheit. Ihre Hoffnung hat sie nicht getrogen. Jeder Neuankömmling erhielt ein Stück Land und materielle Hilfe. Chile, das zu jener Zeit schon seit vielen Jahren eine Republik war, gewährte ihnen auch die erhofften Freiheiten. In kurzer Zeit gelang es ihnen, blühende Siedlungen aufzubauen, die sie selber verwalten konnten.

Überwiegend waren es evangelische Familien, die ins katholische Chile auswanderten. Für die damalige Zeit erscheint das durchaus ungewöhnlich. Aber es gibt eine gute Erklärung dafür: Der neue Staat, der sich erst wenige Jahrzehnte zuvor von Spanien losgesagt hatte, war ein Land der Toleranz, er garantierte die Religionsfreiheit.

Die Deutsch-Chilenen, die in der neuen Welt ihr Glück gefunden haben, haben die Verbindungen in die alte Heimat nie abreißen lassen. Und in ihrer neuen Heimat haben sie und ihre Nachkommen mit Fleiß und Begabung daran mitgearbeitet, Chile wirtschaftlich, kulturell und politisch zu entwickeln. Sie haben dabei mitgeholfen, daß Chile ein weltoffenes Land geworden ist.

Zur Zeit des Dritten Reiches hat Chile vielen meiner Landsleute und vielen anderen Europäern eine neue Heimat geboten. Dafür sind wir bis heute dankbar. Nach 1973 haben viele Chilenen in Deutschland wiederum Zuflucht und Sicherheit gefunden, in beiden deutschen Staaten.

II.

Nach der Rückkehr zur Demokratie ist Chile heute wieder ein stabiles Land - politisch, wirtschaft und sozial. Diese Stabilität ist nur möglich geworden, weil das Land die Zeit der Diktatur aufgearbeitet hat. Wie in Südafrika, das ich im Januar 2002 besucht habe, ist Chile dabei seinen eigenen Weg gegangen. Die Gespräche zwischen Angehörigen der Streitkräfte, Menschenrechtsanwälten und Vertretern der Kirche am "Mesa de Diálogo" waren ein wichtiger Beitrag zur Versöhnung der chilenischen Gesellschaft. Sie, Herr Präsident, haben sich dabei große Verdienste erworben. Sie haben aus der Opposition heraus mutig für Demokratie und Menschenrechte gekämpft und dabei auch persönliche Opfer gebracht. Heute treten Sie, als Staatsoberhaupt und Regierungschef, als dritter Präsident der "concertacion", dafür ein, daß die Verbrechen der Vergangenheit aufgeklärt werden. Dafür gebührt Ihnen Dank und Respekt.

III.

Mein Land arbeitet gern und gut mit dem demokratischen Chile zusammen. In allen Bereichen sind daher in den letzten Jahren die bilateralen Beziehungen kontinuierlich ausgebaut worden. Die politischen Konsultationen sind eng und intensiv. Sie, Herr Präsident, waren schon zweimal in Berlin.

Deutschland ist das wichtigste europäische Land für chilenische Exporte. Bei Investitionen in Ihrem Land sehe ich für die deutsche Wirtschaft allerdings noch große und viele Möglichkeiten. Deshalb habe ich auch eine Delegation mittelständischer Unternehmer mitgebracht. In Chile ist auch eine Delegation hessischer Unternehmer zu uns gestoßen.

Ich freu mich besonders darüber, daß gerade die kulturellen Beziehungen so eng sind. Von Chile gehen wichtige kulturelle Impulse aus. Pablo Neruda hat den Nobelpreis für Literatur erhalten; Isabel Allende ist eine Autorin, deren Bücher in aller Welt viel und gern gelesen werden. Zwischen deutschen und chilenischen Hochschulen und Forschungseinrichtungen bestehen rund fünfzig Abkommen. Die dreiundzwanzig deutschen Schulen genießen aufgrund ihrer Leistungsfähigkeit großes Ansehen in Chile.

IV.

Umfassend und fruchtbar ist unsere Zusammenarbeit auch im Bereich der internationalen Politik. Unsere beiden Länder arbeiten Seite an Seit im Sicherheitsrat der Vereinten Nationen. Deutschland und Chile haben sich in der Irakfrage gegen den Krieg ausgesprochen. Jetz vertreten wir gemeinsam die Auffassung, daß den Vereinten Nationen eine zentrale Rolle zukommen muß, wenn es gilt, einen demokratischen Irak aufzubauen. Deutschland unterstützt die chilenischen Bemühungen um breite Teilnahme an Friedensmissionen der Vereinten Nationen, indem wir chilenische Militärs dafür ausbilden. Für ganz besonders wichtig halte ich die Zusammenarbeit in Fragen der Menschenrechte, die beim Besuch von Bundesminister Fischer im März 2002 vereinbart wurden.

V.

Daß sich die Beziehungen Chiles auch zur Europäischen Union so gut entwickelt haben, ist besonders erfreulich. Das im letzten Jahr geschlossene Abkommen ist das umfassendste, das die Union mit einem Drittstaat getroffen hat. Es ist mehr als ein Handelsabkommen. Es schließt praktisch alle Bereiche der Zusammenarbeit ein: Den politischen und kulturellen Dialog ebenso wie die wissenschaftliche Kooperation.

VI.

Lassen Sie mich zum Schluß auf ein Thema kommen, daß in Europa und in Lateinamerika eine gleichermaßen große Rolle spielt. Deutschland wird die nächste Fußballweltmeisterschaft im Jahre 2006 ausrichten. Chile hat bei der letzen Weltmeisterschaft auf deutschem Boden teilgenommen. Wir hoffen daher, daß Ihr Land, Herr Präsident, auch in drei Jahren wieder mit einer Mannschaft vertreten sein wird.

Meine Damen und Herren, ich bitte Sie mit mir, mein Glas zu erheben auf das Wohlergehen von Präsident Lagos Escobar, auf eine glückliche und friedliche Zukunft des chilenischen Volkes und auf die Freundschaft zwischen Deutschland und Chile.