Grußwort von Bundespräsident Johannes Rau anlässlich des Festaktes zum dreißigjährigen Bestehen des Deutschen Nationalkomitees für Denkmalschutz

Schwerpunktthema: Rede

Bonn, , 8. Dezember 2003

Denkmalschützer denken in langen Zeiträumen. Da sind dreißig Jahre - angesichts der Aufgaben, die sich das Deutschen Nationalkomitees für Denkmalschutz gestellt hat, nun wirklich keine lange Zeit. Ich vermute, daran liegt es wohl, dass ich der erste Bundespräsident bin, den Sie zu einer Geburtstagsfeier des Deutschen Nationalkomitees eingeladen haben. Dafür danke ich Ihnen. Ich bin gerne in das Alte Rathaus nach Bonn gekommen, um mit Ihnen zu feiern.

Zum Denkmalschutz gäbe es wahrlich viel zu sagen. Die Aufgabenfelder reichen schließlich zurück bis zu den Spuren von Langhäusern und Großsteingräbern aus der Jungsteinzeit und noch weiter in Bodenschichten, die uns Zeugnisse des Lebens aus erdgeschichtlicher Zeit bewahren.

Wenn ich nun meine Würdigung des Denkmalschutzes in der Jungsteinzeit beginne, dann werden die Ersten unter Ihnen auf die Uhr schauen und sich fragen, wann sie heute Abend wohl zu Hause sein werden. Seien Sie unbesorgt, ich will mich an Gustav Heinemann halten. Der sprach zum achtzigsten Geburtstag der Industriegewerkschaft Bergbau und Energie. Die Zuhörer hatten sich auf eine würdige und lange Rede gefasst gemacht. Er sagte ihnen: "Immer noch besteht das Geheimnis der Langweiligkeit darin, bei jeder Gelegenheit alles zu sagen."

Also nicht alles, aber soviel will ich doch sagen: Was hier in Bonn vor dreißig Jahren mit der ersten Sitzung des Deutschen Nationalkomitees für Denkmalschutz begann, das kann sich wahrlich sehen lassen. Das können wir in unseren Städten und in unserem Land bestaunen und bewundern. Das ist aller Ehren wert. Allen, die sich dafür engagieren, möchte ich von Herzen danken.

Sie wollen das Interesse der Menschen für den Denkmalschutz gewinnen; sie wollen neben dem öffentlichen auch das private Engagement fördern und erhalten. Auf diesem Weg sind wir inzwischen ein gutes Stück vorangekommen.

Gewiss: Bei vielen Bauherren löst der Gedanke an den Denkmalschutz gemischte Gefühle aus. Er ist ehrenvolle Verpflichtung und Last. Wenn die Forderungen hoch sind, die Fördermittel aber niedrig, dann ist das auch gut zu verstehen. Privates Engagement für den Denkmalschutz ist aber auch besonders reizvoll, denn die Menschen wissen ja nicht nur, sie spüren förmlich: Von alten und gewachsenen Siedlungen geht ein Charme aus, der an keinem Reißbrett zu planen ist. In gewachsenen Siedlungen fühlen Menschen sich wohl. Da sind die Gebäude nicht gesichtslos, da wird Geschichte lebendig. Dann spricht sich auch herum: Denkmalpflege, das muss nicht Last sein, sie kann auch Lust sein.

Menschen wollen keine durchrationalisierten Schlafsilos mit Tiefgaragen und Autobahnanschluss. Menschen brauchen Lebensräume und eine lebendige Nachbarschaft. So manch neue Errungenschaft, die einmal als ganz rational und effektiv angepriesen wurde, hat sich bald als unwirtlich und menschenfeindlich erwiesen.

Wir leben in Zeiten, in denen die ökonomische Vernunft mit scheinbar unanfechtbarer Autorität daherkommt. Aus diesem Blickwinkel sieht man schöne Gärten und Streuobstwiesen vor allem als ungenutzte Investitionsflächen, ein altes Haus wird auf den Umsatz pro Quadratmeter taxiert und selbst die Ehefrau wird zum fragwürdigen Investitionskalkül und Kinder werden dann - ich zitiere - zu einer "utliltaristischen Präferenzentscheidung".

Das ist eine Entwicklung, die einen am Verstand des homo sapiens zweifeln lässt. Es ist ein Nobelpreisträger der Wirtschaftswissenschaft, der unserer so ökonomischen Zeit einen bemerkenswert klaren Gegen-Satz ins Stammbuch geschrieben hat: Wenn der Mensch nur noch als homo oeconomicus daherkommt und nur noch Nutzen und Präferenzen im Kopf hat, sagt Amartya Sen, dann wird er - und auch da zitiere ich - zum "rationalen Trottel".

An der Front des ökonomischen Denkens entscheidet sich bekanntlich auch so manches Gefecht in der Denkmalpflege. Wir sollten uns aber davor hüten, unsere Sichtweise allein auf das Ökonomische zu verengen. Schön, dass auch Ökonomen das so sehen können.

Mit seiner Arbeit trägt das Deutsche Nationalkomitee erfolgreich dazu bei, den zu engen Sichtweisen auf unser kulturelles Erbe den nötigen weiteren Horizont zu geben. Das ist oft genug mühsam. Viele Bücher und Broschüren dokumentieren die in den vergangenen Jahrzehnten geleisteten Anstrengungen. Im Lauf der Zeit sind diese Publikationen zu einer lesenswerten und aufschlussreichen Bibliothek gewachsen, in der zu blättern ich jedem nur empfehlen kann. Ihre Beiträge gehören längst zu den Standardwerken der Denkmalpflege; sie werden von der Fachöffentlichkeit ebenso wie von Bürgerinnen und Bürgern im In- und Ausland genutzt.

Die Dokumentationen zeigen die Pracht aber auch die Verletzlichkeit historischer Gärten und Parks. Da werden wir durch Häfen, auf Bahnhöfe und in Kirchengebäude geführt. Da erhalten Bauherren Tipps zur Energieeinsparung bei Baudenkmälern und da wird gezeigt, wie Denkmalpflege Arbeit schafft, wie sie das Handwerk und die Handwerkskunst fördert. Da werden wir mit Leuten vom Fach auf geradezu detektivische Spurensuche mitgenommen und entwickeln einen Blick - etwa für die Sünde mancher von wenig Sachkenntnis getrübter Restauration eines Fachwerkhauses.

Wer glaubt, Denkmalpflege sei irrational und sentimental und habe vor allem mit der Vergangenheit und ihren Lasten zu tun, der irrt gründlich. Das Gegenteil ist richtig: Denkmalpflege ist eine Investition in die Zukunft. Baudenkmäler und ganze Ensembles, historische Stadtkerne und neu genutzte Bauten der Industriegeschichte tragen zur Urbanität und Lebensqualität in unseren Städten bei. Menschen wissen zu schätzen, wenn sie in ihrer Region etwas besonderes haben, das zu ihnen gehört und das sie ihren Besuchern zeigen können. Auch Unternehmen und Verwaltungen wissen, wie attraktiv es für Mitarbeiter und Kunden ist, wenn neues Leben in alte Mauern gebracht wird.

In Zeiten einer Flexibilisierung, die viele zu entwurzeln droht, schafft Denkmalpflege Heimat, sie schafft Verbundenheit und Identität. Denkmalpflege öffnet die Augen für das Erbe und das Unverwechselbare unserer Kultur. Denkmalpflege lehrt Selbstkritik und Bescheidenheit: Nicht immer ist das Neue besser und schöner als das Alte und nicht jeder Fortschritt ist ein Schritt nach vorne.

Wenn wir uns fragen, was wir bewahren wollen oder was wir erneuern sollten, dann brauchen wir Diskussionen mit klaren Kriterien und guten Argumenten. Dazu muss und kann das Deutsche Nationalkomitee für Denkmalschutz in einer Weise beitragen, die die Menschen langfristig überzeugt.

Denkmalpflege ist kein Luxus, den wir uns in guten Zeiten gönnen und den wir bei knapper Kasse beliebig zurückfahren oder ganz bleiben lassen können. Bürgersinn und bürgerschaftliches Engagement allein können die großen Aufgaben nicht bewältigen, vor die der Denkmalschutz uns stellt. Allein in Deutschland haben wir zur Zeit rund eine Million Denkmäler. Sie können ohne staatliche Hilfen nicht erhalten werden. Auch wenn in den Haushalten von Bund, Ländern und Gemeinden gespart werden muss, sollten wir die großen öffentlichen Streichkonzerte nicht in unseren Kulturhaushalten aufführen. Denkmalpflege treibt die öffentlichen Haushalte nicht in den Ruin, aber ohne Denkmalpflege wären wir alle ärmer.

Denkmalpflege ist manchmal so aktuell, dass sie uns und unseren Vorstellungen von dem, was schön und erhaltenswert ist, auf den Leib rückt: Wenn wir heute darüber nachdenken, ob wir mit der Architektur der sechziger und siebziger Jahre weiter leben wollen, oder wenn wir uns Rechenschaft darüber ablegen müssen, wie wir mit den Bauwerken umgehen, die in der Geschichte der DDR eine wichtige Rolle gespielt haben, dann merken wir schnell: Denkmalschutz rückt uns nahe, er betrifft uns und unser gewohntes Denken.

Denkmalpflege konfrontiert uns mit Urteilen und Vorurteilen, mit hehren Vorstellungen und leeren Kassen. Denkmalpflege hat mit dem zu tun, was wir für die Zukunft unserer Kinder bewahren und was wir in unser Land investieren wollen.

Ich danke dem Deutschen Nationalkomitee für sein Engagement und ich wünsche mir, dass es der Denkmalpflege überall in Europa gelingt, unser großartiges Erbe in seiner ganzen Vielfalt lebendig zu erhalten.